Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

II Th. Nervenkr. 4 K. Verh. zu den th. Seelenkr.
wirkungen, wenn sie nur von ihrer äußern Empfindung
wesentlich und auf nähere Weise verursachet werden, in
eben der Ordnung und als ob sie den willkührlichen Vor-
stellungen der Seele von ihrer äußern Empfindung folgeten,
als Nervenwirkungen hervorzubringen, davon ist die Mög-
lichkeit überhaupt schon oben §. 435 -- 439. gezeiget wor-
den, und damit muß man sich in dieser dunkeln, gleich-
wohl aber aus viel tausend Erfahrungen unstreitigen Sa-
che begnügen. Es ist höchst wahrscheinlich, daß derglei-
chen Seelenwirkungen der Triebe zu willkührlichen Bewe-
gungen, selbst bey allen Thieren, die wahre Triebe empfin-
den, oft als bloße Nervenwirkungen erfolgen, §. 269. daß
jene sich bey ihnen bald in diese, bald diese sich in jene ver-
wandeln, §. 286. und daß also auch Thiere, die nie em-
pfänden und nie wahre Triebe hätten, blos durch unem-
pfundene äußere sinnliche Eindrücke gereizet, eben so schein-
bar willkührlich handeln könnten, wie der Trieb sie leiten
würde, wenn sie dieselben empfänden und ihn durch ihre
Veranlassung formirten. Vom Athemholen ist dieses schon
insbesondre erwähnet worden. §. 285. 526. Wenn der
Trieb ein Thier reizet, willkührlich nach einer gewissen Ge-
gend zu gehen oder zu laufen, und die Muskeln seiner Bei-
ne sind nur durch seine Seelenwirkung erst in die dazu ge-
hörige Wirkung gesetzet worden, so scheint der bloße äußere
sinnliche Eindruck, den ihre eigne Bewegung in ihre Ner-
ven machet, allein hinlänglich zu seyn, diese zweck- und
regelmäßig abwechselnde Wirkung als seine Nervenwirkung
zu unterhalten: denn man hat Beyspiele von Boten, die
stets einerley Straße reisen, unterwegens fest einschlafen,
sich ihrer nicht bewußt sind, nichts was ihnen vorkömmt,
bemerken, und doch ihren Weg richtig fortsetzen. Will
man sich hier auf dunkle Empfindungen berufen, welche
wohl freylich solchen Schlafwandlern nicht abgesprochen
werden können, (vergl. des A. 2 B. 74. und 78 St.)
so sind die unzähligen Beyspiele von Thieren doch desto un-
widersprechlicher, die, wenn man ihnen im Laufe den Kopf

abschlägt,

II Th. Nervenkr. 4 K. Verh. zu den th. Seelenkr.
wirkungen, wenn ſie nur von ihrer aͤußern Empfindung
weſentlich und auf naͤhere Weiſe verurſachet werden, in
eben der Ordnung und als ob ſie den willkuͤhrlichen Vor-
ſtellungen der Seele von ihrer aͤußern Empfindung folgeten,
als Nervenwirkungen hervorzubringen, davon iſt die Moͤg-
lichkeit uͤberhaupt ſchon oben §. 435 — 439. gezeiget wor-
den, und damit muß man ſich in dieſer dunkeln, gleich-
wohl aber aus viel tauſend Erfahrungen unſtreitigen Sa-
che begnuͤgen. Es iſt hoͤchſt wahrſcheinlich, daß derglei-
chen Seelenwirkungen der Triebe zu willkuͤhrlichen Bewe-
gungen, ſelbſt bey allen Thieren, die wahre Triebe empfin-
den, oft als bloße Nervenwirkungen erfolgen, §. 269. daß
jene ſich bey ihnen bald in dieſe, bald dieſe ſich in jene ver-
wandeln, §. 286. und daß alſo auch Thiere, die nie em-
pfaͤnden und nie wahre Triebe haͤtten, blos durch unem-
pfundene aͤußere ſinnliche Eindruͤcke gereizet, eben ſo ſchein-
bar willkuͤhrlich handeln koͤnnten, wie der Trieb ſie leiten
wuͤrde, wenn ſie dieſelben empfaͤnden und ihn durch ihre
Veranlaſſung formirten. Vom Athemholen iſt dieſes ſchon
insbeſondre erwaͤhnet worden. §. 285. 526. Wenn der
Trieb ein Thier reizet, willkuͤhrlich nach einer gewiſſen Ge-
gend zu gehen oder zu laufen, und die Muskeln ſeiner Bei-
ne ſind nur durch ſeine Seelenwirkung erſt in die dazu ge-
hoͤrige Wirkung geſetzet worden, ſo ſcheint der bloße aͤußere
ſinnliche Eindruck, den ihre eigne Bewegung in ihre Ner-
ven machet, allein hinlaͤnglich zu ſeyn, dieſe zweck- und
regelmaͤßig abwechſelnde Wirkung als ſeine Nervenwirkung
zu unterhalten: denn man hat Beyſpiele von Boten, die
ſtets einerley Straße reiſen, unterwegens feſt einſchlafen,
ſich ihrer nicht bewußt ſind, nichts was ihnen vorkoͤmmt,
bemerken, und doch ihren Weg richtig fortſetzen. Will
man ſich hier auf dunkle Empfindungen berufen, welche
wohl freylich ſolchen Schlafwandlern nicht abgeſprochen
werden koͤnnen, (vergl. des A. 2 B. 74. und 78 St.)
ſo ſind die unzaͤhligen Beyſpiele von Thieren doch deſto un-
widerſprechlicher, die, wenn man ihnen im Laufe den Kopf

abſchlaͤgt,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0578" n="554"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II</hi> Th. Nervenkr. 4 K. Verh. zu den th. Seelenkr.</hi></fw><lb/>
wirkungen, wenn &#x017F;ie nur von ihrer a&#x0364;ußern Empfindung<lb/>
we&#x017F;entlich und auf na&#x0364;here Wei&#x017F;e verur&#x017F;achet werden, in<lb/>
eben der Ordnung und als ob &#x017F;ie den willku&#x0364;hrlichen Vor-<lb/>
&#x017F;tellungen der Seele von ihrer a&#x0364;ußern Empfindung folgeten,<lb/>
als Nervenwirkungen hervorzubringen, davon i&#x017F;t die Mo&#x0364;g-<lb/>
lichkeit u&#x0364;berhaupt &#x017F;chon oben §. 435 &#x2014; 439. gezeiget wor-<lb/>
den, und damit muß man &#x017F;ich in die&#x017F;er dunkeln, gleich-<lb/>
wohl aber aus viel tau&#x017F;end Erfahrungen un&#x017F;treitigen Sa-<lb/>
che begnu&#x0364;gen. Es i&#x017F;t ho&#x0364;ch&#x017F;t wahr&#x017F;cheinlich, daß derglei-<lb/>
chen Seelenwirkungen der Triebe zu willku&#x0364;hrlichen Bewe-<lb/>
gungen, &#x017F;elb&#x017F;t bey allen Thieren, die wahre Triebe empfin-<lb/>
den, oft als bloße Nervenwirkungen erfolgen, §. 269. daß<lb/>
jene &#x017F;ich bey ihnen bald in die&#x017F;e, bald die&#x017F;e &#x017F;ich in jene ver-<lb/>
wandeln, §. 286. und daß al&#x017F;o auch Thiere, die nie em-<lb/>
pfa&#x0364;nden und nie wahre Triebe ha&#x0364;tten, blos durch unem-<lb/>
pfundene a&#x0364;ußere &#x017F;innliche Eindru&#x0364;cke gereizet, eben &#x017F;o &#x017F;chein-<lb/>
bar willku&#x0364;hrlich handeln ko&#x0364;nnten, wie der Trieb &#x017F;ie leiten<lb/>
wu&#x0364;rde, wenn &#x017F;ie die&#x017F;elben empfa&#x0364;nden und ihn durch ihre<lb/>
Veranla&#x017F;&#x017F;ung formirten. Vom Athemholen i&#x017F;t die&#x017F;es &#x017F;chon<lb/>
insbe&#x017F;ondre erwa&#x0364;hnet worden. §. 285. 526. Wenn der<lb/>
Trieb ein Thier reizet, willku&#x0364;hrlich nach einer gewi&#x017F;&#x017F;en Ge-<lb/>
gend zu gehen oder zu laufen, und die Muskeln &#x017F;einer Bei-<lb/>
ne &#x017F;ind nur durch &#x017F;eine Seelenwirkung er&#x017F;t in die dazu ge-<lb/>
ho&#x0364;rige Wirkung ge&#x017F;etzet worden, &#x017F;o &#x017F;cheint der bloße a&#x0364;ußere<lb/>
&#x017F;innliche Eindruck, den ihre eigne Bewegung in ihre Ner-<lb/>
ven machet, allein hinla&#x0364;nglich zu &#x017F;eyn, die&#x017F;e zweck- und<lb/>
regelma&#x0364;ßig abwech&#x017F;elnde Wirkung als &#x017F;eine Nervenwirkung<lb/>
zu unterhalten: denn man hat Bey&#x017F;piele von Boten, die<lb/>
&#x017F;tets einerley Straße rei&#x017F;en, unterwegens fe&#x017F;t ein&#x017F;chlafen,<lb/>
&#x017F;ich ihrer nicht bewußt &#x017F;ind, nichts was ihnen vorko&#x0364;mmt,<lb/>
bemerken, und doch ihren Weg richtig fort&#x017F;etzen. Will<lb/>
man &#x017F;ich hier auf dunkle Empfindungen berufen, welche<lb/>
wohl freylich &#x017F;olchen Schlafwandlern nicht abge&#x017F;prochen<lb/>
werden ko&#x0364;nnen, (vergl. des A. 2 B. 74. und 78 St.)<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ind die unza&#x0364;hligen Bey&#x017F;piele von Thieren doch de&#x017F;to un-<lb/>
wider&#x017F;prechlicher, die, wenn man ihnen im Laufe den Kopf<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ab&#x017F;chla&#x0364;gt,</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[554/0578] II Th. Nervenkr. 4 K. Verh. zu den th. Seelenkr. wirkungen, wenn ſie nur von ihrer aͤußern Empfindung weſentlich und auf naͤhere Weiſe verurſachet werden, in eben der Ordnung und als ob ſie den willkuͤhrlichen Vor- ſtellungen der Seele von ihrer aͤußern Empfindung folgeten, als Nervenwirkungen hervorzubringen, davon iſt die Moͤg- lichkeit uͤberhaupt ſchon oben §. 435 — 439. gezeiget wor- den, und damit muß man ſich in dieſer dunkeln, gleich- wohl aber aus viel tauſend Erfahrungen unſtreitigen Sa- che begnuͤgen. Es iſt hoͤchſt wahrſcheinlich, daß derglei- chen Seelenwirkungen der Triebe zu willkuͤhrlichen Bewe- gungen, ſelbſt bey allen Thieren, die wahre Triebe empfin- den, oft als bloße Nervenwirkungen erfolgen, §. 269. daß jene ſich bey ihnen bald in dieſe, bald dieſe ſich in jene ver- wandeln, §. 286. und daß alſo auch Thiere, die nie em- pfaͤnden und nie wahre Triebe haͤtten, blos durch unem- pfundene aͤußere ſinnliche Eindruͤcke gereizet, eben ſo ſchein- bar willkuͤhrlich handeln koͤnnten, wie der Trieb ſie leiten wuͤrde, wenn ſie dieſelben empfaͤnden und ihn durch ihre Veranlaſſung formirten. Vom Athemholen iſt dieſes ſchon insbeſondre erwaͤhnet worden. §. 285. 526. Wenn der Trieb ein Thier reizet, willkuͤhrlich nach einer gewiſſen Ge- gend zu gehen oder zu laufen, und die Muskeln ſeiner Bei- ne ſind nur durch ſeine Seelenwirkung erſt in die dazu ge- hoͤrige Wirkung geſetzet worden, ſo ſcheint der bloße aͤußere ſinnliche Eindruck, den ihre eigne Bewegung in ihre Ner- ven machet, allein hinlaͤnglich zu ſeyn, dieſe zweck- und regelmaͤßig abwechſelnde Wirkung als ſeine Nervenwirkung zu unterhalten: denn man hat Beyſpiele von Boten, die ſtets einerley Straße reiſen, unterwegens feſt einſchlafen, ſich ihrer nicht bewußt ſind, nichts was ihnen vorkoͤmmt, bemerken, und doch ihren Weg richtig fortſetzen. Will man ſich hier auf dunkle Empfindungen berufen, welche wohl freylich ſolchen Schlafwandlern nicht abgeſprochen werden koͤnnen, (vergl. des A. 2 B. 74. und 78 St.) ſo ſind die unzaͤhligen Beyſpiele von Thieren doch deſto un- widerſprechlicher, die, wenn man ihnen im Laufe den Kopf abſchlaͤgt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/578
Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 554. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/578>, abgerufen am 25.11.2024.