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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

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II Th. Nervenkr. 4 K. Verh. zu den th. Seelenkr.
telbar einbildet, daß es ein Donner sey, oder wenn man
einen Schlag empfängt, und sich einbildet, er sey von einem
Räuber. Diese heftige sinnliche Unlust verändert die Le-
bensbewegungen widernatürlich und heftig, §. 314. 318.
und setzet diejenigen mechanischen Maschinen in Bewe-
gung, welche zur Flucht, Rettung oder Vertheidigung bey
der vorhergesehenen Gefahr wirken müssen, §. 319. 315.
woraus denn die übrigen Wirkungen der Furcht und des
Schreckens in der thierischen Oeconomie durch den Zusam-
menhang aller Kräfte folgen. §. 316. 320. Alle diese
Seelenwirkungen besagter Leidenschaften können die Ner-
venkräfte eben derselben äußern sinnlichen Eindrücke, wel-
che sie erregen, auch allein ersetzen: denn wenn man den
Hintertheil eines voneinander geschnittenen Vielfußes, der
viele Tage noch herum kriecht und sich von jeder Berüh-
rung thierisch reget, zur Zeit wenn er ruhet, auf eine sol-
che Art berühret, oder nur durch einen Schlag auf den Tisch,
worauf er liegt, so erschüttert, daß es ihm, wenn er ehe-
mals wirklich Vorstellungen gehabt hat, Furcht oder Schreck
erregen würde; so wird er davon augenblicklich aus seiner
Ruhe erwecket, und entslieht mit aller Eil und Unordnung
eines furchtsamen und erschrocknen Thieres. Eine lebende
Misgeburt ohne Kopf wird unfehlbar erschrecken, zusam-
menfahren und sich eben so wie ein Erschrockener oder
Furchtsamer geberden, wenn man sie zur Zeit, da sie ruhig
liegt, auf einmal peitscht oder brennt. Wenn ein Ent-
haupteter, dem ein Degen in die Brust gestoßen wird, die
Hände zusammenschlägt, so ist dieß ohne Zweifel eine Ner-
venwirkung, welche die Seelenwirkung des Schrecks aus-
drücket, und eben so ist es, wenn ein enthaupteter Frosch,
den man hart anrühret, davon hüpfet, als wollte er ent-
fliehen, u. s. w.

§. 567.

Nicht einmal eine und eben dieselbe Art von Leiden-
schaften entspringt immer auf einerley Art aus den veran-

lassen-

II Th. Nervenkr. 4 K. Verh. zu den th. Seelenkr.
telbar einbildet, daß es ein Donner ſey, oder wenn man
einen Schlag empfaͤngt, und ſich einbildet, er ſey von einem
Raͤuber. Dieſe heftige ſinnliche Unluſt veraͤndert die Le-
bensbewegungen widernatuͤrlich und heftig, §. 314. 318.
und ſetzet diejenigen mechaniſchen Maſchinen in Bewe-
gung, welche zur Flucht, Rettung oder Vertheidigung bey
der vorhergeſehenen Gefahr wirken muͤſſen, §. 319. 315.
woraus denn die uͤbrigen Wirkungen der Furcht und des
Schreckens in der thieriſchen Oeconomie durch den Zuſam-
menhang aller Kraͤfte folgen. §. 316. 320. Alle dieſe
Seelenwirkungen beſagter Leidenſchaften koͤnnen die Ner-
venkraͤfte eben derſelben aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke, wel-
che ſie erregen, auch allein erſetzen: denn wenn man den
Hintertheil eines voneinander geſchnittenen Vielfußes, der
viele Tage noch herum kriecht und ſich von jeder Beruͤh-
rung thieriſch reget, zur Zeit wenn er ruhet, auf eine ſol-
che Art beruͤhret, oder nur durch einen Schlag auf den Tiſch,
worauf er liegt, ſo erſchuͤttert, daß es ihm, wenn er ehe-
mals wirklich Vorſtellungen gehabt hat, Furcht oder Schreck
erregen wuͤrde; ſo wird er davon augenblicklich aus ſeiner
Ruhe erwecket, und entſlieht mit aller Eil und Unordnung
eines furchtſamen und erſchrocknen Thieres. Eine lebende
Misgeburt ohne Kopf wird unfehlbar erſchrecken, zuſam-
menfahren und ſich eben ſo wie ein Erſchrockener oder
Furchtſamer geberden, wenn man ſie zur Zeit, da ſie ruhig
liegt, auf einmal peitſcht oder brennt. Wenn ein Ent-
haupteter, dem ein Degen in die Bruſt geſtoßen wird, die
Haͤnde zuſammenſchlaͤgt, ſo iſt dieß ohne Zweifel eine Ner-
venwirkung, welche die Seelenwirkung des Schrecks aus-
druͤcket, und eben ſo iſt es, wenn ein enthaupteter Froſch,
den man hart anruͤhret, davon huͤpfet, als wollte er ent-
fliehen, u. ſ. w.

§. 567.

Nicht einmal eine und eben dieſelbe Art von Leiden-
ſchaften entſpringt immer auf einerley Art aus den veran-

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[570/0594] II Th. Nervenkr. 4 K. Verh. zu den th. Seelenkr. telbar einbildet, daß es ein Donner ſey, oder wenn man einen Schlag empfaͤngt, und ſich einbildet, er ſey von einem Raͤuber. Dieſe heftige ſinnliche Unluſt veraͤndert die Le- bensbewegungen widernatuͤrlich und heftig, §. 314. 318. und ſetzet diejenigen mechaniſchen Maſchinen in Bewe- gung, welche zur Flucht, Rettung oder Vertheidigung bey der vorhergeſehenen Gefahr wirken muͤſſen, §. 319. 315. woraus denn die uͤbrigen Wirkungen der Furcht und des Schreckens in der thieriſchen Oeconomie durch den Zuſam- menhang aller Kraͤfte folgen. §. 316. 320. Alle dieſe Seelenwirkungen beſagter Leidenſchaften koͤnnen die Ner- venkraͤfte eben derſelben aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke, wel- che ſie erregen, auch allein erſetzen: denn wenn man den Hintertheil eines voneinander geſchnittenen Vielfußes, der viele Tage noch herum kriecht und ſich von jeder Beruͤh- rung thieriſch reget, zur Zeit wenn er ruhet, auf eine ſol- che Art beruͤhret, oder nur durch einen Schlag auf den Tiſch, worauf er liegt, ſo erſchuͤttert, daß es ihm, wenn er ehe- mals wirklich Vorſtellungen gehabt hat, Furcht oder Schreck erregen wuͤrde; ſo wird er davon augenblicklich aus ſeiner Ruhe erwecket, und entſlieht mit aller Eil und Unordnung eines furchtſamen und erſchrocknen Thieres. Eine lebende Misgeburt ohne Kopf wird unfehlbar erſchrecken, zuſam- menfahren und ſich eben ſo wie ein Erſchrockener oder Furchtſamer geberden, wenn man ſie zur Zeit, da ſie ruhig liegt, auf einmal peitſcht oder brennt. Wenn ein Ent- haupteter, dem ein Degen in die Bruſt geſtoßen wird, die Haͤnde zuſammenſchlaͤgt, ſo iſt dieß ohne Zweifel eine Ner- venwirkung, welche die Seelenwirkung des Schrecks aus- druͤcket, und eben ſo iſt es, wenn ein enthaupteter Froſch, den man hart anruͤhret, davon huͤpfet, als wollte er ent- fliehen, u. ſ. w. §. 567. Nicht einmal eine und eben dieſelbe Art von Leiden- ſchaften entſpringt immer auf einerley Art aus den veran- laſſen-

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 570. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/594>, abgerufen am 25.11.2024.