chanische Wirkung ihrer Berührung sey, und sobald dieß erkannt ist, zweifelt niemand mehr, daß sie von der Reihe der Thiere ausgeschlossen werden müssen. Ein neuer Be- weis, daß uns dieser Grund zu unsrer Entscheidung stets genüge, und daß es blos die Ungewißheit in der Erkennt- niß desselben sey, die uns in manchen Fällen zweifel- haft läßt.
§. 602.
Man könnte noch zweifeln, ob dieser Unterschied hin- länglich sey, um einen organischen Körper, den er vom Pflanzenreiche ausschließt, sogleich unter die natürlichen Thiere zu setzen, weil es scheint, daß man um deswillen ein enthauptetes Thier zwar einen thierischen Körper, aber kein Thier nennen könne. Allein warum wollte man wohl ein verstümmeltes Thier nicht mehr ein Thier nennen, in so fern die Verstümmelung es nicht seines thierischen Le- bens beraubet hat? Man hält einen Menschen ohne Ar- me und Beine noch für ein beseeltes Thier, weil ihn diese Verstümmelung nicht seiner thierischen Seelenkräfte berau- bet hat, die ihn zum beseelten Thiere machen. Warum sollte man nicht ein blos belebtes vestümmeltes Thier noch also nennen, so lange es die Verstümmelung seiner Ner- venkräfte nicht beraubet hat, die es zum belebten Thiere machen, ob es gleich als beseeltes schon todt ist? Aber auch diese kleine Schwierigkeit ist schon durch die obige Erklä- rung blos belebter Thiere vermieden, da wir sie solche or- ganische Körper genennet haben, die im Zustande ihrer un- gehinderten ganzen Natur durch thierische bewegende Kräfte ihrer eignen thierischen Maschinen regieret werden: denn ein enthauptetes beseeltes Thier hat einen Theil seiner ganzen Natur, nämlich die thierischen Seelenkräfte, durch die Verstümmelung verloren, und man kann es also in so fern nur lieber einen belebten thierischen Körper, und nicht ein belebtes Thier nennen.
§. 603.
Q q 3
1 Kap. Die thieriſche Natur uͤberhaupt.
chaniſche Wirkung ihrer Beruͤhrung ſey, und ſobald dieß erkannt iſt, zweifelt niemand mehr, daß ſie von der Reihe der Thiere ausgeſchloſſen werden muͤſſen. Ein neuer Be- weis, daß uns dieſer Grund zu unſrer Entſcheidung ſtets genuͤge, und daß es blos die Ungewißheit in der Erkennt- niß deſſelben ſey, die uns in manchen Faͤllen zweifel- haft laͤßt.
§. 602.
Man koͤnnte noch zweifeln, ob dieſer Unterſchied hin- laͤnglich ſey, um einen organiſchen Koͤrper, den er vom Pflanzenreiche ausſchließt, ſogleich unter die natuͤrlichen Thiere zu ſetzen, weil es ſcheint, daß man um deswillen ein enthauptetes Thier zwar einen thieriſchen Koͤrper, aber kein Thier nennen koͤnne. Allein warum wollte man wohl ein verſtuͤmmeltes Thier nicht mehr ein Thier nennen, in ſo fern die Verſtuͤmmelung es nicht ſeines thieriſchen Le- bens beraubet hat? Man haͤlt einen Menſchen ohne Ar- me und Beine noch fuͤr ein beſeeltes Thier, weil ihn dieſe Verſtuͤmmelung nicht ſeiner thieriſchen Seelenkraͤfte berau- bet hat, die ihn zum beſeelten Thiere machen. Warum ſollte man nicht ein blos belebtes veſtuͤmmeltes Thier noch alſo nennen, ſo lange es die Verſtuͤmmelung ſeiner Ner- venkraͤfte nicht beraubet hat, die es zum belebten Thiere machen, ob es gleich als beſeeltes ſchon todt iſt? Aber auch dieſe kleine Schwierigkeit iſt ſchon durch die obige Erklaͤ- rung blos belebter Thiere vermieden, da wir ſie ſolche or- ganiſche Koͤrper genennet haben, die im Zuſtande ihrer un- gehinderten ganzen Natur durch thieriſche bewegende Kraͤfte ihrer eignen thieriſchen Maſchinen regieret werden: denn ein enthauptetes beſeeltes Thier hat einen Theil ſeiner ganzen Natur, naͤmlich die thieriſchen Seelenkraͤfte, durch die Verſtuͤmmelung verloren, und man kann es alſo in ſo fern nur lieber einen belebten thieriſchen Koͤrper, und nicht ein belebtes Thier nennen.
§. 603.
Q q 3
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1 Kap. Die thieriſche Natur uͤberhaupt.
chaniſche Wirkung ihrer Beruͤhrung ſey, und ſobald dieß
erkannt iſt, zweifelt niemand mehr, daß ſie von der Reihe
der Thiere ausgeſchloſſen werden muͤſſen. Ein neuer Be-
weis, daß uns dieſer Grund zu unſrer Entſcheidung ſtets
genuͤge, und daß es blos die Ungewißheit in der Erkennt-
niß deſſelben ſey, die uns in manchen Faͤllen zweifel-
haft laͤßt.
§. 602.
Man koͤnnte noch zweifeln, ob dieſer Unterſchied hin-
laͤnglich ſey, um einen organiſchen Koͤrper, den er vom
Pflanzenreiche ausſchließt, ſogleich unter die natuͤrlichen
Thiere zu ſetzen, weil es ſcheint, daß man um deswillen
ein enthauptetes Thier zwar einen thieriſchen Koͤrper, aber
kein Thier nennen koͤnne. Allein warum wollte man wohl
ein verſtuͤmmeltes Thier nicht mehr ein Thier nennen, in
ſo fern die Verſtuͤmmelung es nicht ſeines thieriſchen Le-
bens beraubet hat? Man haͤlt einen Menſchen ohne Ar-
me und Beine noch fuͤr ein beſeeltes Thier, weil ihn dieſe
Verſtuͤmmelung nicht ſeiner thieriſchen Seelenkraͤfte berau-
bet hat, die ihn zum beſeelten Thiere machen. Warum
ſollte man nicht ein blos belebtes veſtuͤmmeltes Thier noch
alſo nennen, ſo lange es die Verſtuͤmmelung ſeiner Ner-
venkraͤfte nicht beraubet hat, die es zum belebten Thiere
machen, ob es gleich als beſeeltes ſchon todt iſt? Aber auch
dieſe kleine Schwierigkeit iſt ſchon durch die obige Erklaͤ-
rung blos belebter Thiere vermieden, da wir ſie ſolche or-
ganiſche Koͤrper genennet haben, die im Zuſtande ihrer un-
gehinderten ganzen Natur durch thieriſche bewegende
Kraͤfte ihrer eignen thieriſchen Maſchinen regieret werden:
denn ein enthauptetes beſeeltes Thier hat einen Theil ſeiner
ganzen Natur, naͤmlich die thieriſchen Seelenkraͤfte,
durch die Verſtuͤmmelung verloren, und man kann es alſo
in ſo fern nur lieber einen belebten thieriſchen Koͤrper, und
nicht ein belebtes Thier nennen.
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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 613. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/637>, abgerufen am 24.11.2024.
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