man mit dem Gehirne und dem ganzen Haupte seine Seele von ihm trennet, und es kann als ein unbeseeltes Thier lange Zeit leben, und alle die thierischen Verrichtungen, deren es dieser thierischen Natur nach fähig ist, fortsetzen. §. 609 -- 611. Giebt es aber auch wirklich von Natur unbeseelte Thiere? Wir wollen die Gründe, die uns diese Meynung höchst wahrscheinlich machen: aber auch das, was sich dagegen einwenden läßt, anführen, und dem Leser die Entscheidung überlassen. Vergl. d. A. 4 B. 171 St.
§. 622.
Es ist unstreitig, daß nicht jedes Thier nothwendig beseelt seyn müsse. Noch niemand hat es erwiesen; die Erklärung eines Thieres, daß es ein aus Leib und Seele bestehendes Ganzes sey, ist ein erbettelter Satz; §. 600. wir schließen es aus einer falschen Muthmaßung von uns auf andre; man kann nicht einmal das Daseyn der Seelen der unvernünftigen Thiere strenge erweisen; viele große Männer haben daran schon gezweifelt, ob sie gleich alle in dem Vorurtheile erzogen worden sind, daß Leib und Seele ein Thier ausmachen, u. s. w.
§. 623.
Daß die Natur unbeseelter Thiere zur Existenz und Fortdauer eines Thieres überhaupt allein hinlänglich seyn könne, ist unwidersprechlich, theils weil alle die zum Leben und zur Erhaltung eines thierischen Körpers erfoderlichen thierischen Verrichtungen ihres Körpers mehr als hinläng- lich durch die Nervenkräfte allein bewerkstelliget, ja auch sogar die meisten Seelenwirkungen sinnlicher Vorstellun- gen, Begierden, Triebe etc. durch sie als bloße Nervenwir- kungen nachgeahmet und ersetzet werden können, §. 609 -- 611. theils auch weil dieß die Erfahrung selbst an enthau- pteten beseelten Thieren zeiget. §. 621.
§. 624.
III Th. Natur der Thiere im Ganzen.
man mit dem Gehirne und dem ganzen Haupte ſeine Seele von ihm trennet, und es kann als ein unbeſeeltes Thier lange Zeit leben, und alle die thieriſchen Verrichtungen, deren es dieſer thieriſchen Natur nach faͤhig iſt, fortſetzen. §. 609 — 611. Giebt es aber auch wirklich von Natur unbeſeelte Thiere? Wir wollen die Gruͤnde, die uns dieſe Meynung hoͤchſt wahrſcheinlich machen: aber auch das, was ſich dagegen einwenden laͤßt, anfuͤhren, und dem Leſer die Entſcheidung uͤberlaſſen. Vergl. d. A. 4 B. 171 St.
§. 622.
Es iſt unſtreitig, daß nicht jedes Thier nothwendig beſeelt ſeyn muͤſſe. Noch niemand hat es erwieſen; die Erklaͤrung eines Thieres, daß es ein aus Leib und Seele beſtehendes Ganzes ſey, iſt ein erbettelter Satz; §. 600. wir ſchließen es aus einer falſchen Muthmaßung von uns auf andre; man kann nicht einmal das Daſeyn der Seelen der unvernuͤnftigen Thiere ſtrenge erweiſen; viele große Maͤnner haben daran ſchon gezweifelt, ob ſie gleich alle in dem Vorurtheile erzogen worden ſind, daß Leib und Seele ein Thier ausmachen, u. ſ. w.
§. 623.
Daß die Natur unbeſeelter Thiere zur Exiſtenz und Fortdauer eines Thieres uͤberhaupt allein hinlaͤnglich ſeyn koͤnne, iſt unwiderſprechlich, theils weil alle die zum Leben und zur Erhaltung eines thieriſchen Koͤrpers erfoderlichen thieriſchen Verrichtungen ihres Koͤrpers mehr als hinlaͤng- lich durch die Nervenkraͤfte allein bewerkſtelliget, ja auch ſogar die meiſten Seelenwirkungen ſinnlicher Vorſtellun- gen, Begierden, Triebe ꝛc. durch ſie als bloße Nervenwir- kungen nachgeahmet und erſetzet werden koͤnnen, §. 609 — 611. theils auch weil dieß die Erfahrung ſelbſt an enthau- pteten beſeelten Thieren zeiget. §. 621.
§. 624.
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III Th. Natur der Thiere im Ganzen.
man mit dem Gehirne und dem ganzen Haupte ſeine Seele
von ihm trennet, und es kann als ein unbeſeeltes Thier
lange Zeit leben, und alle die thieriſchen Verrichtungen,
deren es dieſer thieriſchen Natur nach faͤhig iſt, fortſetzen.
§. 609 — 611. Giebt es aber auch wirklich von
Natur unbeſeelte Thiere? Wir wollen die Gruͤnde, die
uns dieſe Meynung hoͤchſt wahrſcheinlich machen: aber
auch das, was ſich dagegen einwenden laͤßt, anfuͤhren,
und dem Leſer die Entſcheidung uͤberlaſſen. Vergl. d. A.
4 B. 171 St.
§. 622.
Es iſt unſtreitig, daß nicht jedes Thier nothwendig
beſeelt ſeyn muͤſſe. Noch niemand hat es erwieſen; die
Erklaͤrung eines Thieres, daß es ein aus Leib und Seele
beſtehendes Ganzes ſey, iſt ein erbettelter Satz; §. 600.
wir ſchließen es aus einer falſchen Muthmaßung von uns
auf andre; man kann nicht einmal das Daſeyn der Seelen
der unvernuͤnftigen Thiere ſtrenge erweiſen; viele große
Maͤnner haben daran ſchon gezweifelt, ob ſie gleich alle in
dem Vorurtheile erzogen worden ſind, daß Leib und Seele
ein Thier ausmachen, u. ſ. w.
§. 623.
Daß die Natur unbeſeelter Thiere zur Exiſtenz und
Fortdauer eines Thieres uͤberhaupt allein hinlaͤnglich ſeyn
koͤnne, iſt unwiderſprechlich, theils weil alle die zum Leben
und zur Erhaltung eines thieriſchen Koͤrpers erfoderlichen
thieriſchen Verrichtungen ihres Koͤrpers mehr als hinlaͤng-
lich durch die Nervenkraͤfte allein bewerkſtelliget, ja auch
ſogar die meiſten Seelenwirkungen ſinnlicher Vorſtellun-
gen, Begierden, Triebe ꝛc. durch ſie als bloße Nervenwir-
kungen nachgeahmet und erſetzet werden koͤnnen, §. 609 —
611. theils auch weil dieß die Erfahrung ſelbſt an enthau-
pteten beſeelten Thieren zeiget. §. 621.
§. 624.
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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 626. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/650>, abgerufen am 22.11.2024.
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