Es giebt in der Natur eine Menge Thiere, von wel- chen es nie erwiesen und höchst unwahrscheinlich ist, daß sie irgend einige thierische Seelenkräfte besitzen sollten:
1. Weil man keine Spur einer Vorstellungskraft oder Seele bey ihnen entdecket, mit welcher ihre thierischen Kräfte gemeinschaftlich wirken sollten. §. 6. Wenn man nur alle diejenigen thierischen Bewegungen, die unmöglich das Daseyn einer äußern Empfindung, oder einer andern, z. E. willkührlichen Vorstellung erweisen können, weil sie selbst bey enthaupteten beseelten Thieren eben so als bloße Nervenkräfte von sinnlichen Eindrücken erfolgen, nicht für Beweise angeben will; so wird man an einer Auster, an einem Seewurme, an einer Schnecke, an einem Polypen, etc. gewiß in ihrem ganzen Lebenslaufe keine thierische Be- wegung vorzeigen können, welche das Daseyn einer Vor- stellungskraft auch nur wahrscheinlich machen könnte.
2. Weil viele, wider die Art aller unstreitig beseelten Thiere, keinen abgesonderten Kopf haben. §. 15. N. 2. Man kann nach der Analogie immer mit Wahrscheinlich- keit schließen: Weil alle Thiere, die so handeln, daß je- dermann daraus bewogen wird, ihnen eine Vorstellungs- kraft und ein Bewußtseyn beyzulegen, abgesonderte Häu- pter haben, so müssen die übrigen nach andern thierischen Gesetzen regieret werden, als sie. Da nun diese durch thie- rische Seelenkräfte regieret werden, und keine andre thieri- sche Kräfte übrig sind, §. 356. so müssen jene durch Ner- venkräfte regieret werden. "Man hat viele Exempel, daß "sich bey großen Köpfen ein großer Verstand geäußert habe: "unvernünftige Thiere haben kleinere Köpfe, und die Fi- "sche, besonders diejenigen, welche vor andern dumm zu "seyn scheinen, haben sie besonders ganz klein." H. gr. P. 4 B. S. 634.
3. Weil alle Thiere zwar Aehnlichkeiten von Nerven: hingegen die zahlreichsten Geschlechter derselben nichts, das einem Gehirne ähnlich wäre, besitzen, wenn sie auch einen
abgeson-
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2 Kap. Hauptgattungen exiſtirender Thiere.
§. 624.
Es giebt in der Natur eine Menge Thiere, von wel- chen es nie erwieſen und hoͤchſt unwahrſcheinlich iſt, daß ſie irgend einige thieriſche Seelenkraͤfte beſitzen ſollten:
1. Weil man keine Spur einer Vorſtellungskraft oder Seele bey ihnen entdecket, mit welcher ihre thieriſchen Kraͤfte gemeinſchaftlich wirken ſollten. §. 6. Wenn man nur alle diejenigen thieriſchen Bewegungen, die unmoͤglich das Daſeyn einer aͤußern Empfindung, oder einer andern, z. E. willkuͤhrlichen Vorſtellung erweiſen koͤnnen, weil ſie ſelbſt bey enthaupteten beſeelten Thieren eben ſo als bloße Nervenkraͤfte von ſinnlichen Eindruͤcken erfolgen, nicht fuͤr Beweiſe angeben will; ſo wird man an einer Auſter, an einem Seewurme, an einer Schnecke, an einem Polypen, ꝛc. gewiß in ihrem ganzen Lebenslaufe keine thieriſche Be- wegung vorzeigen koͤnnen, welche das Daſeyn einer Vor- ſtellungskraft auch nur wahrſcheinlich machen koͤnnte.
2. Weil viele, wider die Art aller unſtreitig beſeelten Thiere, keinen abgeſonderten Kopf haben. §. 15. N. 2. Man kann nach der Analogie immer mit Wahrſcheinlich- keit ſchließen: Weil alle Thiere, die ſo handeln, daß je- dermann daraus bewogen wird, ihnen eine Vorſtellungs- kraft und ein Bewußtſeyn beyzulegen, abgeſonderte Haͤu- pter haben, ſo muͤſſen die uͤbrigen nach andern thieriſchen Geſetzen regieret werden, als ſie. Da nun dieſe durch thie- riſche Seelenkraͤfte regieret werden, und keine andre thieri- ſche Kraͤfte uͤbrig ſind, §. 356. ſo muͤſſen jene durch Ner- venkraͤfte regieret werden. „Man hat viele Exempel, daß „ſich bey großen Koͤpfen ein großer Verſtand geaͤußert habe: „unvernuͤnftige Thiere haben kleinere Koͤpfe, und die Fi- „ſche, beſonders diejenigen, welche vor andern dumm zu „ſeyn ſcheinen, haben ſie beſonders ganz klein.“ H. gr. P. 4 B. S. 634.
3. Weil alle Thiere zwar Aehnlichkeiten von Nerven: hingegen die zahlreichſten Geſchlechter derſelben nichts, das einem Gehirne aͤhnlich waͤre, beſitzen, wenn ſie auch einen
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2 Kap. Hauptgattungen exiſtirender Thiere.
§. 624.
Es giebt in der Natur eine Menge Thiere, von wel-
chen es nie erwieſen und hoͤchſt unwahrſcheinlich iſt, daß ſie
irgend einige thieriſche Seelenkraͤfte beſitzen ſollten:
1. Weil man keine Spur einer Vorſtellungskraft oder
Seele bey ihnen entdecket, mit welcher ihre thieriſchen
Kraͤfte gemeinſchaftlich wirken ſollten. §. 6. Wenn man
nur alle diejenigen thieriſchen Bewegungen, die unmoͤglich
das Daſeyn einer aͤußern Empfindung, oder einer andern,
z. E. willkuͤhrlichen Vorſtellung erweiſen koͤnnen, weil ſie
ſelbſt bey enthaupteten beſeelten Thieren eben ſo als bloße
Nervenkraͤfte von ſinnlichen Eindruͤcken erfolgen, nicht fuͤr
Beweiſe angeben will; ſo wird man an einer Auſter, an
einem Seewurme, an einer Schnecke, an einem Polypen,
ꝛc. gewiß in ihrem ganzen Lebenslaufe keine thieriſche Be-
wegung vorzeigen koͤnnen, welche das Daſeyn einer Vor-
ſtellungskraft auch nur wahrſcheinlich machen koͤnnte.
2. Weil viele, wider die Art aller unſtreitig beſeelten
Thiere, keinen abgeſonderten Kopf haben. §. 15. N. 2.
Man kann nach der Analogie immer mit Wahrſcheinlich-
keit ſchließen: Weil alle Thiere, die ſo handeln, daß je-
dermann daraus bewogen wird, ihnen eine Vorſtellungs-
kraft und ein Bewußtſeyn beyzulegen, abgeſonderte Haͤu-
pter haben, ſo muͤſſen die uͤbrigen nach andern thieriſchen
Geſetzen regieret werden, als ſie. Da nun dieſe durch thie-
riſche Seelenkraͤfte regieret werden, und keine andre thieri-
ſche Kraͤfte uͤbrig ſind, §. 356. ſo muͤſſen jene durch Ner-
venkraͤfte regieret werden. „Man hat viele Exempel, daß
„ſich bey großen Koͤpfen ein großer Verſtand geaͤußert habe:
„unvernuͤnftige Thiere haben kleinere Koͤpfe, und die Fi-
„ſche, beſonders diejenigen, welche vor andern dumm zu
„ſeyn ſcheinen, haben ſie beſonders ganz klein.“ H. gr. P.
4 B. S. 634.
3. Weil alle Thiere zwar Aehnlichkeiten von Nerven:
hingegen die zahlreichſten Geſchlechter derſelben nichts, das
einem Gehirne aͤhnlich waͤre, beſitzen, wenn ſie auch einen
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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 627. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/651>, abgerufen am 22.11.2024.
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