uns ganz unbekannten Beschaffenheit, mit Herrn Bon- net, die Kräfte der Seele zu analysiren. Man gebe uns nur zu, daß die Veränderung im Hirnmarke, die mit jeder neuen Vorstellung entsteht, eine thierische Be- wegung sey, die, da sie uns übrigens unbekannt ist, sich ein Jeder vorstellen mag, wie er will, und daß wir die- selbe materielle Jdee nennen dürfen, um statt weit- läuftiger Umschreibungen einen kurzen Ausdruck zu ha- ben, der schon autorisiret ist. Es wird sich im ganzen Werke zeigen, daß wir diesen Ausdruck nie anders, als in dieser ganz allgemeinen Bedeutung gebrauchen.
§. 26.
Da sich jede fortwährende Vorstellung in der See- le in jedem Augenblicke als eine fortgesetzte Handlung der Vorstellungskraft betrachten läßt, keine Handlung der Vor- stellungskraft aber ohne materielle Jdee im Gehirne Statt findet; §. 25. so muß auch nothwendig jede fortwährende Vorstellung fortwährende Bewegungen im Gehirne her- vorbringen, welche man als Eindrücke, oder als Bil- der der Vorstellungen zu betrachten pfleget. Je mehr eine Vorstellung sich entwickelt, das ist, je klärer sie wird, B. M. §. 415. desto mehr müssen sich auch ihre materiellen Jdeen entwickeln: hingegen sind die materiellen Jdeen dunkler Vorstellungen nur unvollkommene und unent- wickelte thierische Regungen im Gehirne. Eine stärkere Vorstellung erfordert stärkere Bewegungen (materielle Jdeen) im Gehirne, und eine stärkere materielle Jdee bringt stärkere Vorstellungen hervor. Denn jede Vorstel- lung ist ein Grund einer materiellen Jdee im Gehirne, und umgekehrt; §. 25. stärkere Vorstellungen aber sind größere Vorstellungen, in so fern sie Gründe sind. B. M. §. 379. Eine größere Vorstellung enthält die kleinern als Theile, und ist folglich aus mehrern zusammengesetzet, de- ren jede eine materielle Jdee im Gehirne verursachet. §. 25. Mithin sind die materiellen Jdeen stärkerer Vorstellungen
zusam-
2 Abſchn. Des Gehirns.
uns ganz unbekannten Beſchaffenheit, mit Herrn Bon- net, die Kraͤfte der Seele zu analyſiren. Man gebe uns nur zu, daß die Veraͤnderung im Hirnmarke, die mit jeder neuen Vorſtellung entſteht, eine thieriſche Be- wegung ſey, die, da ſie uns uͤbrigens unbekannt iſt, ſich ein Jeder vorſtellen mag, wie er will, und daß wir die- ſelbe materielle Jdee nennen duͤrfen, um ſtatt weit- laͤuftiger Umſchreibungen einen kurzen Ausdruck zu ha- ben, der ſchon autoriſiret iſt. Es wird ſich im ganzen Werke zeigen, daß wir dieſen Ausdruck nie anders, als in dieſer ganz allgemeinen Bedeutung gebrauchen.
§. 26.
Da ſich jede fortwaͤhrende Vorſtellung in der See- le in jedem Augenblicke als eine fortgeſetzte Handlung der Vorſtellungskraft betrachten laͤßt, keine Handlung der Vor- ſtellungskraft aber ohne materielle Jdee im Gehirne Statt findet; §. 25. ſo muß auch nothwendig jede fortwaͤhrende Vorſtellung fortwaͤhrende Bewegungen im Gehirne her- vorbringen, welche man als Eindruͤcke, oder als Bil- der der Vorſtellungen zu betrachten pfleget. Je mehr eine Vorſtellung ſich entwickelt, das iſt, je klaͤrer ſie wird, B. M. §. 415. deſto mehr muͤſſen ſich auch ihre materiellen Jdeen entwickeln: hingegen ſind die materiellen Jdeen dunkler Vorſtellungen nur unvollkommene und unent- wickelte thieriſche Regungen im Gehirne. Eine ſtaͤrkere Vorſtellung erfordert ſtaͤrkere Bewegungen (materielle Jdeen) im Gehirne, und eine ſtaͤrkere materielle Jdee bringt ſtaͤrkere Vorſtellungen hervor. Denn jede Vorſtel- lung iſt ein Grund einer materiellen Jdee im Gehirne, und umgekehrt; §. 25. ſtaͤrkere Vorſtellungen aber ſind groͤßere Vorſtellungen, in ſo fern ſie Gruͤnde ſind. B. M. §. 379. Eine groͤßere Vorſtellung enthaͤlt die kleinern als Theile, und iſt folglich aus mehrern zuſammengeſetzet, de- ren jede eine materielle Jdee im Gehirne verurſachet. §. 25. Mithin ſind die materiellen Jdeen ſtaͤrkerer Vorſtellungen
zuſam-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0067"n="43"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">2 Abſchn. Des Gehirns.</hi></fw><lb/><hirendition="#et">uns ganz unbekannten Beſchaffenheit, mit Herrn <hirendition="#fr">Bon-<lb/>
net,</hi> die Kraͤfte der Seele zu analyſiren. Man gebe<lb/>
uns nur zu, daß die Veraͤnderung im Hirnmarke, die<lb/>
mit jeder neuen Vorſtellung entſteht, eine thieriſche Be-<lb/>
wegung ſey, die, da ſie uns uͤbrigens unbekannt iſt, ſich<lb/>
ein Jeder vorſtellen mag, wie er will, und daß wir die-<lb/>ſelbe <hirendition="#fr">materielle Jdee</hi> nennen duͤrfen, um ſtatt weit-<lb/>
laͤuftiger Umſchreibungen einen kurzen Ausdruck zu ha-<lb/>
ben, der ſchon autoriſiret iſt. Es wird ſich im ganzen<lb/>
Werke zeigen, daß wir dieſen Ausdruck nie anders, als<lb/>
in dieſer ganz allgemeinen Bedeutung gebrauchen.</hi></p></div><lb/><divn="4"><head>§. 26.</head><lb/><p>Da ſich jede <hirendition="#fr">fortwaͤhrende Vorſtellung</hi> in der See-<lb/>
le in jedem Augenblicke als eine fortgeſetzte Handlung der<lb/>
Vorſtellungskraft betrachten laͤßt, keine Handlung der Vor-<lb/>ſtellungskraft aber ohne materielle Jdee im Gehirne Statt<lb/>
findet; §. 25. ſo muß auch nothwendig jede fortwaͤhrende<lb/>
Vorſtellung fortwaͤhrende Bewegungen im Gehirne her-<lb/>
vorbringen, welche man als <hirendition="#fr">Eindruͤcke,</hi> oder als <hirendition="#fr">Bil-<lb/>
der der Vorſtellungen</hi> zu betrachten pfleget. Je mehr<lb/>
eine Vorſtellung ſich entwickelt, das iſt, je <hirendition="#fr">klaͤrer</hi>ſie wird,<lb/><hirendition="#aq">B. M.</hi> §. 415. deſto mehr muͤſſen ſich auch ihre materiellen<lb/>
Jdeen entwickeln: hingegen ſind die materiellen Jdeen<lb/><hirendition="#fr">dunkler Vorſtellungen</hi> nur unvollkommene und unent-<lb/>
wickelte thieriſche Regungen im Gehirne. Eine <hirendition="#fr">ſtaͤrkere<lb/>
Vorſtellung</hi> erfordert ſtaͤrkere Bewegungen (materielle<lb/>
Jdeen) im Gehirne, und eine ſtaͤrkere materielle Jdee<lb/>
bringt ſtaͤrkere Vorſtellungen hervor. Denn jede Vorſtel-<lb/>
lung iſt ein Grund einer materiellen Jdee im Gehirne, und<lb/>
umgekehrt; §. 25. <hirendition="#fr">ſtaͤrkere Vorſtellungen</hi> aber ſind<lb/>
groͤßere Vorſtellungen, in ſo fern ſie Gruͤnde ſind. <hirendition="#aq">B. M.</hi><lb/>
§. 379. Eine groͤßere Vorſtellung enthaͤlt die kleinern als<lb/>
Theile, und iſt folglich aus mehrern zuſammengeſetzet, de-<lb/>
ren jede eine materielle Jdee im Gehirne verurſachet. §. 25.<lb/>
Mithin ſind die materiellen Jdeen ſtaͤrkerer Vorſtellungen<lb/><fwplace="bottom"type="catch">zuſam-</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[43/0067]
2 Abſchn. Des Gehirns.
uns ganz unbekannten Beſchaffenheit, mit Herrn Bon-
net, die Kraͤfte der Seele zu analyſiren. Man gebe
uns nur zu, daß die Veraͤnderung im Hirnmarke, die
mit jeder neuen Vorſtellung entſteht, eine thieriſche Be-
wegung ſey, die, da ſie uns uͤbrigens unbekannt iſt, ſich
ein Jeder vorſtellen mag, wie er will, und daß wir die-
ſelbe materielle Jdee nennen duͤrfen, um ſtatt weit-
laͤuftiger Umſchreibungen einen kurzen Ausdruck zu ha-
ben, der ſchon autoriſiret iſt. Es wird ſich im ganzen
Werke zeigen, daß wir dieſen Ausdruck nie anders, als
in dieſer ganz allgemeinen Bedeutung gebrauchen.
§. 26.
Da ſich jede fortwaͤhrende Vorſtellung in der See-
le in jedem Augenblicke als eine fortgeſetzte Handlung der
Vorſtellungskraft betrachten laͤßt, keine Handlung der Vor-
ſtellungskraft aber ohne materielle Jdee im Gehirne Statt
findet; §. 25. ſo muß auch nothwendig jede fortwaͤhrende
Vorſtellung fortwaͤhrende Bewegungen im Gehirne her-
vorbringen, welche man als Eindruͤcke, oder als Bil-
der der Vorſtellungen zu betrachten pfleget. Je mehr
eine Vorſtellung ſich entwickelt, das iſt, je klaͤrer ſie wird,
B. M. §. 415. deſto mehr muͤſſen ſich auch ihre materiellen
Jdeen entwickeln: hingegen ſind die materiellen Jdeen
dunkler Vorſtellungen nur unvollkommene und unent-
wickelte thieriſche Regungen im Gehirne. Eine ſtaͤrkere
Vorſtellung erfordert ſtaͤrkere Bewegungen (materielle
Jdeen) im Gehirne, und eine ſtaͤrkere materielle Jdee
bringt ſtaͤrkere Vorſtellungen hervor. Denn jede Vorſtel-
lung iſt ein Grund einer materiellen Jdee im Gehirne, und
umgekehrt; §. 25. ſtaͤrkere Vorſtellungen aber ſind
groͤßere Vorſtellungen, in ſo fern ſie Gruͤnde ſind. B. M.
§. 379. Eine groͤßere Vorſtellung enthaͤlt die kleinern als
Theile, und iſt folglich aus mehrern zuſammengeſetzet, de-
ren jede eine materielle Jdee im Gehirne verurſachet. §. 25.
Mithin ſind die materiellen Jdeen ſtaͤrkerer Vorſtellungen
zuſam-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/67>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.