Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

III Th. Natur der Thiere im Ganzen.
nach abgeschnittenem Kopfe wieder. (Spallanzani. S.
45.) Außerdem sind die vielfältigen natürlichen Verwand-
lungen der unbeseelten Thiere, worinn sie ganz neue Theile,
die neuer Nervenwirkungen fähig sind, erhalten, die un-
streitigsten Beweise vom Wachsthume neuer Nerven bey
schon für sich bestehenden Thieren.

§. 648.

Jn der That sieht man alle Thiere weit mehrere und
vollkommenere thierische Handlungen verrichten, nachdem
sie in ihrem Wachsthume der Vollkommenheit nahe ge-
kommen sind, als gleich anfänglich, da sie erst für sich zu
bestehen beginnen. Denn obgleich viele, besonders unbe-
seelte, einige thierische Handlungen gleich anfangs mit gro-
ßer Geschicklichkeit und Fertigkeit verrichten, so können sie
doch andre nicht bewerkstelligen, die den Erwachsenen ge-
läufig sind. Sie bringen ihre erste Zeit meist in der Un-
thätigkeit des Schlafs oder der Ruhe hin, und das was sie
thun, wenn sie erwachen, läuft immer nur auf einige weni-
ge Handlungen, besonders des scheinbaren Nahrungstrie-
bes hin, die sie einförmig und doch immer ungeschickter als
die ältern wiederholen. Eine Raupe kann die besondre
thierische Verrichtung des Einspinnens nicht eher als nach
vielen Verwandlungen bewerkstelligen, der Schmetterling
lernet nicht eher zur Begattung locken, als im Zustande
seiner Vollkommenheit. Man bemerket zuvor auch keine
Spur von Versuchen zu solchen thierischen Handlungen an
vielen solcher Thiere, ehe sich nicht die thierischen Werkzeu-
ge dazu hinlänglich entwickelt haben. Die Raupe machet
nie die drehende Bewegung ihres Hinterleibes, die die
Raupenpuppe fast bey jedem äußern sinnlichen Eindrucke
vornimmt; sie versuchet nie die regelmäßigen Wendungen
ihres Kopfs beym Einspinnen eher, al[s] nach ihrer letzten
Häutung, u. s. w. "Als ich eine Viertelstunde gewisse
"Klumpen, die sich in einer Jnfusion zeigeten, genau be-
"trachtet hatte, fiengen ein Paar an sich zu bewegen, jedoch

"ohne

III Th. Natur der Thiere im Ganzen.
nach abgeſchnittenem Kopfe wieder. (Spallanzani. S.
45.) Außerdem ſind die vielfaͤltigen natuͤrlichen Verwand-
lungen der unbeſeelten Thiere, worinn ſie ganz neue Theile,
die neuer Nervenwirkungen faͤhig ſind, erhalten, die un-
ſtreitigſten Beweiſe vom Wachsthume neuer Nerven bey
ſchon fuͤr ſich beſtehenden Thieren.

§. 648.

Jn der That ſieht man alle Thiere weit mehrere und
vollkommenere thieriſche Handlungen verrichten, nachdem
ſie in ihrem Wachsthume der Vollkommenheit nahe ge-
kommen ſind, als gleich anfaͤnglich, da ſie erſt fuͤr ſich zu
beſtehen beginnen. Denn obgleich viele, beſonders unbe-
ſeelte, einige thieriſche Handlungen gleich anfangs mit gro-
ßer Geſchicklichkeit und Fertigkeit verrichten, ſo koͤnnen ſie
doch andre nicht bewerkſtelligen, die den Erwachſenen ge-
laͤufig ſind. Sie bringen ihre erſte Zeit meiſt in der Un-
thaͤtigkeit des Schlafs oder der Ruhe hin, und das was ſie
thun, wenn ſie erwachen, laͤuft immer nur auf einige weni-
ge Handlungen, beſonders des ſcheinbaren Nahrungstrie-
bes hin, die ſie einfoͤrmig und doch immer ungeſchickter als
die aͤltern wiederholen. Eine Raupe kann die beſondre
thieriſche Verrichtung des Einſpinnens nicht eher als nach
vielen Verwandlungen bewerkſtelligen, der Schmetterling
lernet nicht eher zur Begattung locken, als im Zuſtande
ſeiner Vollkommenheit. Man bemerket zuvor auch keine
Spur von Verſuchen zu ſolchen thieriſchen Handlungen an
vielen ſolcher Thiere, ehe ſich nicht die thieriſchen Werkzeu-
ge dazu hinlaͤnglich entwickelt haben. Die Raupe machet
nie die drehende Bewegung ihres Hinterleibes, die die
Raupenpuppe faſt bey jedem aͤußern ſinnlichen Eindrucke
vornimmt; ſie verſuchet nie die regelmaͤßigen Wendungen
ihres Kopfs beym Einſpinnen eher, al[s] nach ihrer letzten
Haͤutung, u. ſ. w. „Als ich eine Viertelſtunde gewiſſe
„Klumpen, die ſich in einer Jnfuſion zeigeten, genau be-
„trachtet hatte, fiengen ein Paar an ſich zu bewegen, jedoch

„ohne
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0688" n="664"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">III</hi> Th. Natur der Thiere im Ganzen.</hi></fw><lb/>
nach abge&#x017F;chnittenem Kopfe wieder. (<hi rendition="#fr">Spallanzani.</hi> S.<lb/>
45.) Außerdem &#x017F;ind die vielfa&#x0364;ltigen natu&#x0364;rlichen Verwand-<lb/>
lungen der unbe&#x017F;eelten Thiere, worinn &#x017F;ie ganz neue Theile,<lb/>
die neuer Nervenwirkungen fa&#x0364;hig &#x017F;ind, erhalten, die un-<lb/>
&#x017F;treitig&#x017F;ten Bewei&#x017F;e vom Wachsthume neuer Nerven bey<lb/>
&#x017F;chon fu&#x0364;r &#x017F;ich be&#x017F;tehenden Thieren.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 648.</head><lb/>
            <p>Jn der That &#x017F;ieht man alle Thiere weit mehrere und<lb/>
vollkommenere thieri&#x017F;che Handlungen verrichten, nachdem<lb/>
&#x017F;ie in ihrem Wachsthume der Vollkommenheit nahe ge-<lb/>
kommen &#x017F;ind, als gleich anfa&#x0364;nglich, da &#x017F;ie er&#x017F;t fu&#x0364;r &#x017F;ich zu<lb/>
be&#x017F;tehen beginnen. Denn obgleich viele, be&#x017F;onders unbe-<lb/>
&#x017F;eelte, einige thieri&#x017F;che Handlungen gleich anfangs mit gro-<lb/>
ßer Ge&#x017F;chicklichkeit und Fertigkeit verrichten, &#x017F;o ko&#x0364;nnen &#x017F;ie<lb/>
doch andre nicht bewerk&#x017F;telligen, die den Erwach&#x017F;enen ge-<lb/>
la&#x0364;ufig &#x017F;ind. Sie bringen ihre er&#x017F;te Zeit mei&#x017F;t in der Un-<lb/>
tha&#x0364;tigkeit des Schlafs oder der Ruhe hin, und das was &#x017F;ie<lb/>
thun, wenn &#x017F;ie erwachen, la&#x0364;uft immer nur auf einige weni-<lb/>
ge Handlungen, be&#x017F;onders des &#x017F;cheinbaren Nahrungstrie-<lb/>
bes hin, die &#x017F;ie einfo&#x0364;rmig und doch immer unge&#x017F;chickter als<lb/>
die a&#x0364;ltern wiederholen. Eine Raupe kann die be&#x017F;ondre<lb/>
thieri&#x017F;che Verrichtung des Ein&#x017F;pinnens nicht eher als nach<lb/>
vielen Verwandlungen bewerk&#x017F;telligen, der Schmetterling<lb/>
lernet nicht eher zur Begattung locken, als im Zu&#x017F;tande<lb/>
&#x017F;einer Vollkommenheit. Man bemerket zuvor auch keine<lb/>
Spur von Ver&#x017F;uchen zu &#x017F;olchen thieri&#x017F;chen Handlungen an<lb/>
vielen &#x017F;olcher Thiere, ehe &#x017F;ich nicht die thieri&#x017F;chen Werkzeu-<lb/>
ge dazu hinla&#x0364;nglich entwickelt haben. Die Raupe machet<lb/>
nie die drehende Bewegung ihres Hinterleibes, die die<lb/>
Raupenpuppe fa&#x017F;t bey jedem a&#x0364;ußern &#x017F;innlichen Eindrucke<lb/>
vornimmt; &#x017F;ie ver&#x017F;uchet nie die regelma&#x0364;ßigen Wendungen<lb/>
ihres Kopfs beym Ein&#x017F;pinnen eher, al<supplied>s</supplied> nach ihrer letzten<lb/>
Ha&#x0364;utung, u. &#x017F;. w. &#x201E;Als ich eine Viertel&#x017F;tunde gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
&#x201E;Klumpen, die &#x017F;ich in einer Jnfu&#x017F;ion zeigeten, genau be-<lb/>
&#x201E;trachtet hatte, fiengen ein Paar an &#x017F;ich zu bewegen, jedoch<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;ohne</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[664/0688] III Th. Natur der Thiere im Ganzen. nach abgeſchnittenem Kopfe wieder. (Spallanzani. S. 45.) Außerdem ſind die vielfaͤltigen natuͤrlichen Verwand- lungen der unbeſeelten Thiere, worinn ſie ganz neue Theile, die neuer Nervenwirkungen faͤhig ſind, erhalten, die un- ſtreitigſten Beweiſe vom Wachsthume neuer Nerven bey ſchon fuͤr ſich beſtehenden Thieren. §. 648. Jn der That ſieht man alle Thiere weit mehrere und vollkommenere thieriſche Handlungen verrichten, nachdem ſie in ihrem Wachsthume der Vollkommenheit nahe ge- kommen ſind, als gleich anfaͤnglich, da ſie erſt fuͤr ſich zu beſtehen beginnen. Denn obgleich viele, beſonders unbe- ſeelte, einige thieriſche Handlungen gleich anfangs mit gro- ßer Geſchicklichkeit und Fertigkeit verrichten, ſo koͤnnen ſie doch andre nicht bewerkſtelligen, die den Erwachſenen ge- laͤufig ſind. Sie bringen ihre erſte Zeit meiſt in der Un- thaͤtigkeit des Schlafs oder der Ruhe hin, und das was ſie thun, wenn ſie erwachen, laͤuft immer nur auf einige weni- ge Handlungen, beſonders des ſcheinbaren Nahrungstrie- bes hin, die ſie einfoͤrmig und doch immer ungeſchickter als die aͤltern wiederholen. Eine Raupe kann die beſondre thieriſche Verrichtung des Einſpinnens nicht eher als nach vielen Verwandlungen bewerkſtelligen, der Schmetterling lernet nicht eher zur Begattung locken, als im Zuſtande ſeiner Vollkommenheit. Man bemerket zuvor auch keine Spur von Verſuchen zu ſolchen thieriſchen Handlungen an vielen ſolcher Thiere, ehe ſich nicht die thieriſchen Werkzeu- ge dazu hinlaͤnglich entwickelt haben. Die Raupe machet nie die drehende Bewegung ihres Hinterleibes, die die Raupenpuppe faſt bey jedem aͤußern ſinnlichen Eindrucke vornimmt; ſie verſuchet nie die regelmaͤßigen Wendungen ihres Kopfs beym Einſpinnen eher, als nach ihrer letzten Haͤutung, u. ſ. w. „Als ich eine Viertelſtunde gewiſſe „Klumpen, die ſich in einer Jnfuſion zeigeten, genau be- „trachtet hatte, fiengen ein Paar an ſich zu bewegen, jedoch „ohne

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/688
Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 664. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/688>, abgerufen am 22.11.2024.