Sobald die Nerven durch den Mangel der fernern Abson- derung der Lebensgeister im Gehirne und des weitern Zu- flusses in sie ihrer noch übrigen Lebensgeister völlig beraubt sind, gehen ihre thierische Kräfte verloren, weil die natür- lich subordinirende Kraft des Gehirns zu wirken aufhöret, mithin das blos thierische Leben selbst ein Ende nimmt. §. 639. 666.
Man vergleiche das Gehirn beseelter Thiere mit einem künstlichen Springbrunnen, der über der Quelle eines Bachs steht, welcher die Blumen eines Gartens ernähret und vegetativisch belebet. Diese Blumen sind die Nerven. Der künstliche Springbrunn kann die thierische Seelen- kraft des Gehirns, und der Bach, der unter ihm abfließt, und die Pflanzen bewässert, die ursprüngliche thierische Le- benskraft desselben vorstellen. Der Springbrunn werde verdorben oder hinweggeräumet, so werden doch die Blu- men des Gartens, obgleich sein Wasser sie mit ernähret und belebet, so lange der Bach nur fortfließt und sie be- wässert, wie er gethan haben würde, wenn gar kein Spring- brunn vorhanden gewesen wäre, fortleben, weil ihr Leben nicht eigentlich ihm, sondern der Quelle und ihrer Ver- theilung im Garten natürlich subordiniret ist. Verstopfet man aber die Quelle, so wird das Leben der Blumen nur noch so lange fortdauren, als sich von dem im Garten aus- gebreitetem Wasser derselben Vorrath zu deren Ernährung und Leben übrig befindet. Sobald auch dieses versiegt oder verbrauchet ist, sterben sie ab, weil die ursprüngliche Kraft, welcher ihr Leben natürlich subordiniret war, zu wirken aufgehöret hat, und alle Folgen derselben ver- schwunden sind.
Sechstes
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5 Kap. Syſtem der Kraͤfte zum thier. Leben.
Sobald die Nerven durch den Mangel der fernern Abſon- derung der Lebensgeiſter im Gehirne und des weitern Zu- fluſſes in ſie ihrer noch uͤbrigen Lebensgeiſter voͤllig beraubt ſind, gehen ihre thieriſche Kraͤfte verloren, weil die natuͤr- lich ſubordinirende Kraft des Gehirns zu wirken aufhoͤret, mithin das blos thieriſche Leben ſelbſt ein Ende nimmt. §. 639. 666.
Man vergleiche das Gehirn beſeelter Thiere mit einem kuͤnſtlichen Springbrunnen, der uͤber der Quelle eines Bachs ſteht, welcher die Blumen eines Gartens ernaͤhret und vegetativiſch belebet. Dieſe Blumen ſind die Nerven. Der kuͤnſtliche Springbrunn kann die thieriſche Seelen- kraft des Gehirns, und der Bach, der unter ihm abfließt, und die Pflanzen bewaͤſſert, die urſpruͤngliche thieriſche Le- benskraft deſſelben vorſtellen. Der Springbrunn werde verdorben oder hinweggeraͤumet, ſo werden doch die Blu- men des Gartens, obgleich ſein Waſſer ſie mit ernaͤhret und belebet, ſo lange der Bach nur fortfließt und ſie be- waͤſſert, wie er gethan haben wuͤrde, wenn gar kein Spring- brunn vorhanden geweſen waͤre, fortleben, weil ihr Leben nicht eigentlich ihm, ſondern der Quelle und ihrer Ver- theilung im Garten natuͤrlich ſubordiniret iſt. Verſtopfet man aber die Quelle, ſo wird das Leben der Blumen nur noch ſo lange fortdauren, als ſich von dem im Garten aus- gebreitetem Waſſer derſelben Vorrath zu deren Ernaͤhrung und Leben uͤbrig befindet. Sobald auch dieſes verſiegt oder verbrauchet iſt, ſterben ſie ab, weil die urſpruͤngliche Kraft, welcher ihr Leben natuͤrlich ſubordiniret war, zu wirken aufgehoͤret hat, und alle Folgen derſelben ver- ſchwunden ſind.
Sechſtes
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5 Kap. Syſtem der Kraͤfte zum thier. Leben.
Sobald die Nerven durch den Mangel der fernern Abſon-
derung der Lebensgeiſter im Gehirne und des weitern Zu-
fluſſes in ſie ihrer noch uͤbrigen Lebensgeiſter voͤllig beraubt
ſind, gehen ihre thieriſche Kraͤfte verloren, weil die natuͤr-
lich ſubordinirende Kraft des Gehirns zu wirken aufhoͤret,
mithin das blos thieriſche Leben ſelbſt ein Ende nimmt.
§. 639. 666.
Man vergleiche das Gehirn beſeelter Thiere mit einem
kuͤnſtlichen Springbrunnen, der uͤber der Quelle eines
Bachs ſteht, welcher die Blumen eines Gartens ernaͤhret
und vegetativiſch belebet. Dieſe Blumen ſind die Nerven.
Der kuͤnſtliche Springbrunn kann die thieriſche Seelen-
kraft des Gehirns, und der Bach, der unter ihm abfließt,
und die Pflanzen bewaͤſſert, die urſpruͤngliche thieriſche Le-
benskraft deſſelben vorſtellen. Der Springbrunn werde
verdorben oder hinweggeraͤumet, ſo werden doch die Blu-
men des Gartens, obgleich ſein Waſſer ſie mit ernaͤhret
und belebet, ſo lange der Bach nur fortfließt und ſie be-
waͤſſert, wie er gethan haben wuͤrde, wenn gar kein Spring-
brunn vorhanden geweſen waͤre, fortleben, weil ihr Leben
nicht eigentlich ihm, ſondern der Quelle und ihrer Ver-
theilung im Garten natuͤrlich ſubordiniret iſt. Verſtopfet
man aber die Quelle, ſo wird das Leben der Blumen nur
noch ſo lange fortdauren, als ſich von dem im Garten aus-
gebreitetem Waſſer derſelben Vorrath zu deren Ernaͤhrung
und Leben uͤbrig befindet. Sobald auch dieſes verſiegt
oder verbrauchet iſt, ſterben ſie ab, weil die urſpruͤngliche
Kraft, welcher ihr Leben natuͤrlich ſubordiniret war, zu
wirken aufgehoͤret hat, und alle Folgen derſelben ver-
ſchwunden ſind.
Sechſtes
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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 707. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/731>, abgerufen am 22.11.2024.
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