Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

I Th. Thier. Seelenkr. 2 Kap. An sich betr.
ster, gezwungen und unwiderstehlich gerathen, verändert
allem Ansehen nach die Nerven und ihren natürlichen Zu-
stand nicht anders als mittelbarer Weise, durchs Gehirn.
Es kann wenigstens im Schlafe jeder Nerve, wenn ihn
sinnliche Eindrücke reizen, alle seine blos thierischen Wir-
kungen ganz vollkommen verrichten. Gleichwohl aber
können darinn alle gewöhnliche äußere sinnliche Eindrücke
in die Nerven geschehen, das Licht kann in die offenen Au-
gen scheinen, wenn Thiere mit offenen Augen schlafen, der
Schall kann ins Ohr dringen, tausend andre Berührun-
gen können die Nerven reizen, ohne daß die Seele davon
eine äußere Empfindung hätte. Mithin müssen die äußern
sinnlichen Eindrücke in die Nerven im Schlafe entweder
nicht zum Gehirn gelangen, wovon man doch, da sie
überall unterwegens thierische Wirkungen äußern können,
nicht den geringsten Grund sieht, oder sie müssen darinn
keine materiellen Jdeen, wenigstens nicht in gehöriger
Vollkommenheit hervorbringen, und dieß ist vermuthlich
der wahre Fall, da ein Druck auf das Gehirn, er mag von
ergossenem Blute, Wasser in den Hirnhölen, oder von ein-
geschlagenen Knochen, ja selbst von allzugroßer Ausdeh-
nung der Blutgefäße im Gehirne herrühren, eben densel-
ben Zustand der Unempfindlichkeit hervorbringt, und einen
wahren Schlaf verursachet. Es scheint also in einem voll-
kommenen tiefen Schlafe das Gehirn in einer Art von Er-
starrung zu seyn, welche die materiellen Jdeen von den
äußern sinnlichen Eindrücken in die Nerven nicht zur Wirk-
lichkeit kommen läßt; dahingegen die blos thierischen Be-
wegungen, die der äußere sinnliche Eindruck in die Nerven
allein bewerkstelliget, im Schlafe nur wenig Veränderung
leiden. (Vergl. §. 182. 183.)

§. 50.

6. Es giebt noch eine besondere Ursache, welche die
äußern Empfindungen der Seele im natürlichen Zustande
bald auf diese, bald auf jene von den itzt beschriebenen

fünferley

I Th. Thier. Seelenkr. 2 Kap. An ſich betr.
ſter, gezwungen und unwiderſtehlich gerathen, veraͤndert
allem Anſehen nach die Nerven und ihren natuͤrlichen Zu-
ſtand nicht anders als mittelbarer Weiſe, durchs Gehirn.
Es kann wenigſtens im Schlafe jeder Nerve, wenn ihn
ſinnliche Eindruͤcke reizen, alle ſeine blos thieriſchen Wir-
kungen ganz vollkommen verrichten. Gleichwohl aber
koͤnnen darinn alle gewoͤhnliche aͤußere ſinnliche Eindruͤcke
in die Nerven geſchehen, das Licht kann in die offenen Au-
gen ſcheinen, wenn Thiere mit offenen Augen ſchlafen, der
Schall kann ins Ohr dringen, tauſend andre Beruͤhrun-
gen koͤnnen die Nerven reizen, ohne daß die Seele davon
eine aͤußere Empfindung haͤtte. Mithin muͤſſen die aͤußern
ſinnlichen Eindruͤcke in die Nerven im Schlafe entweder
nicht zum Gehirn gelangen, wovon man doch, da ſie
uͤberall unterwegens thieriſche Wirkungen aͤußern koͤnnen,
nicht den geringſten Grund ſieht, oder ſie muͤſſen darinn
keine materiellen Jdeen, wenigſtens nicht in gehoͤriger
Vollkommenheit hervorbringen, und dieß iſt vermuthlich
der wahre Fall, da ein Druck auf das Gehirn, er mag von
ergoſſenem Blute, Waſſer in den Hirnhoͤlen, oder von ein-
geſchlagenen Knochen, ja ſelbſt von allzugroßer Ausdeh-
nung der Blutgefaͤße im Gehirne herruͤhren, eben denſel-
ben Zuſtand der Unempfindlichkeit hervorbringt, und einen
wahren Schlaf verurſachet. Es ſcheint alſo in einem voll-
kommenen tiefen Schlafe das Gehirn in einer Art von Er-
ſtarrung zu ſeyn, welche die materiellen Jdeen von den
aͤußern ſinnlichen Eindruͤcken in die Nerven nicht zur Wirk-
lichkeit kommen laͤßt; dahingegen die blos thieriſchen Be-
wegungen, die der aͤußere ſinnliche Eindruck in die Nerven
allein bewerkſtelliget, im Schlafe nur wenig Veraͤnderung
leiden. (Vergl. §. 182. 183.)

§. 50.

6. Es giebt noch eine beſondere Urſache, welche die
aͤußern Empfindungen der Seele im natuͤrlichen Zuſtande
bald auf dieſe, bald auf jene von den itzt beſchriebenen

fuͤnferley
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0092" n="68"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I</hi> Th. Thier. Seelenkr. 2 Kap. An &#x017F;ich betr.</hi></fw><lb/>
&#x017F;ter, gezwungen und unwider&#x017F;tehlich gerathen, vera&#x0364;ndert<lb/>
allem An&#x017F;ehen nach die Nerven und ihren natu&#x0364;rlichen Zu-<lb/>
&#x017F;tand nicht anders als mittelbarer Wei&#x017F;e, durchs Gehirn.<lb/>
Es kann wenig&#x017F;tens im Schlafe jeder Nerve, wenn ihn<lb/>
&#x017F;innliche Eindru&#x0364;cke reizen, alle &#x017F;eine blos thieri&#x017F;chen Wir-<lb/>
kungen ganz vollkommen verrichten. Gleichwohl aber<lb/>
ko&#x0364;nnen darinn alle gewo&#x0364;hnliche a&#x0364;ußere &#x017F;innliche Eindru&#x0364;cke<lb/>
in die Nerven ge&#x017F;chehen, das Licht kann in die offenen Au-<lb/>
gen &#x017F;cheinen, wenn Thiere mit offenen Augen &#x017F;chlafen, der<lb/>
Schall kann ins Ohr dringen, tau&#x017F;end andre Beru&#x0364;hrun-<lb/>
gen ko&#x0364;nnen die Nerven reizen, ohne daß die Seele davon<lb/>
eine a&#x0364;ußere Empfindung ha&#x0364;tte. Mithin mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en die a&#x0364;ußern<lb/>
&#x017F;innlichen Eindru&#x0364;cke in die Nerven im Schlafe entweder<lb/>
nicht zum Gehirn gelangen, wovon man doch, da &#x017F;ie<lb/>
u&#x0364;berall unterwegens thieri&#x017F;che Wirkungen a&#x0364;ußern ko&#x0364;nnen,<lb/>
nicht den gering&#x017F;ten Grund &#x017F;ieht, oder &#x017F;ie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en darinn<lb/>
keine materiellen Jdeen, wenig&#x017F;tens nicht in geho&#x0364;riger<lb/>
Vollkommenheit hervorbringen, und dieß i&#x017F;t vermuthlich<lb/>
der wahre Fall, da ein Druck auf das Gehirn, er mag von<lb/>
ergo&#x017F;&#x017F;enem Blute, Wa&#x017F;&#x017F;er in den Hirnho&#x0364;len, oder von ein-<lb/>
ge&#x017F;chlagenen Knochen, ja &#x017F;elb&#x017F;t von allzugroßer Ausdeh-<lb/>
nung der Blutgefa&#x0364;ße im Gehirne herru&#x0364;hren, eben den&#x017F;el-<lb/>
ben Zu&#x017F;tand der Unempfindlichkeit hervorbringt, und einen<lb/>
wahren Schlaf verur&#x017F;achet. Es &#x017F;cheint al&#x017F;o in einem voll-<lb/>
kommenen tiefen Schlafe das Gehirn in einer Art von Er-<lb/>
&#x017F;tarrung zu &#x017F;eyn, welche die materiellen Jdeen von den<lb/>
a&#x0364;ußern &#x017F;innlichen Eindru&#x0364;cken in die Nerven nicht zur Wirk-<lb/>
lichkeit kommen la&#x0364;ßt; dahingegen die blos thieri&#x017F;chen Be-<lb/>
wegungen, die der a&#x0364;ußere &#x017F;innliche Eindruck in die Nerven<lb/>
allein bewerk&#x017F;telliget, im Schlafe nur wenig Vera&#x0364;nderung<lb/>
leiden. (Vergl. §. 182. 183.)</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>§. 50.</head><lb/>
                <p>6. Es giebt noch eine be&#x017F;ondere Ur&#x017F;ache, welche die<lb/>
a&#x0364;ußern Empfindungen der Seele im natu&#x0364;rlichen Zu&#x017F;tande<lb/>
bald auf die&#x017F;e, bald auf jene von den itzt be&#x017F;chriebenen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">fu&#x0364;nferley</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[68/0092] I Th. Thier. Seelenkr. 2 Kap. An ſich betr. ſter, gezwungen und unwiderſtehlich gerathen, veraͤndert allem Anſehen nach die Nerven und ihren natuͤrlichen Zu- ſtand nicht anders als mittelbarer Weiſe, durchs Gehirn. Es kann wenigſtens im Schlafe jeder Nerve, wenn ihn ſinnliche Eindruͤcke reizen, alle ſeine blos thieriſchen Wir- kungen ganz vollkommen verrichten. Gleichwohl aber koͤnnen darinn alle gewoͤhnliche aͤußere ſinnliche Eindruͤcke in die Nerven geſchehen, das Licht kann in die offenen Au- gen ſcheinen, wenn Thiere mit offenen Augen ſchlafen, der Schall kann ins Ohr dringen, tauſend andre Beruͤhrun- gen koͤnnen die Nerven reizen, ohne daß die Seele davon eine aͤußere Empfindung haͤtte. Mithin muͤſſen die aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke in die Nerven im Schlafe entweder nicht zum Gehirn gelangen, wovon man doch, da ſie uͤberall unterwegens thieriſche Wirkungen aͤußern koͤnnen, nicht den geringſten Grund ſieht, oder ſie muͤſſen darinn keine materiellen Jdeen, wenigſtens nicht in gehoͤriger Vollkommenheit hervorbringen, und dieß iſt vermuthlich der wahre Fall, da ein Druck auf das Gehirn, er mag von ergoſſenem Blute, Waſſer in den Hirnhoͤlen, oder von ein- geſchlagenen Knochen, ja ſelbſt von allzugroßer Ausdeh- nung der Blutgefaͤße im Gehirne herruͤhren, eben denſel- ben Zuſtand der Unempfindlichkeit hervorbringt, und einen wahren Schlaf verurſachet. Es ſcheint alſo in einem voll- kommenen tiefen Schlafe das Gehirn in einer Art von Er- ſtarrung zu ſeyn, welche die materiellen Jdeen von den aͤußern ſinnlichen Eindruͤcken in die Nerven nicht zur Wirk- lichkeit kommen laͤßt; dahingegen die blos thieriſchen Be- wegungen, die der aͤußere ſinnliche Eindruck in die Nerven allein bewerkſtelliget, im Schlafe nur wenig Veraͤnderung leiden. (Vergl. §. 182. 183.) §. 50. 6. Es giebt noch eine beſondere Urſache, welche die aͤußern Empfindungen der Seele im natuͤrlichen Zuſtande bald auf dieſe, bald auf jene von den itzt beſchriebenen fuͤnferley

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/92
Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/92>, abgerufen am 21.11.2024.