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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

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I Th. Thier. Seelenkr. 2 Kap. An sich betr.
die Kälte darum nicht mehr empfinde, weil die Nerven
durch öftere Wiederholung der Berührung der kalten Luft
so verändert sind, daß dieselbe keinen äußern sinnlichen
Eindruck mehr in sie machet, ob sie gleich alles andre, ja
das Kitzeln einer kleinen Feder, aufs lebhafteste em-
pfinden.

3. Es kann die öftere Wiederholung einerley äußerer
sinnlicher Eindrücke einen Nerven auch auf die Weise (§.
47. N. 3.) unempfindlich machen, daß der äußere sinnli-
che Eindruck durch Schwächung des auf einerley Weise zu
stark gebrauchten Nerven, zu schwach empfangen wird, als
daß er sich bis zum Gehirn fortpflanzen könnte. So ge-
schieht es, daß Nerven nach allzulange anhaltenden hefti-
gen Schmerzen unempfindlich werden, und wenn diese
Nerven zugleich zu gewissen thierischen Bewegungen die-
nen, so erkennet man aus der mit dieser Unempfindlichkeit
oft verbundenen Lähmung, oder Schwere und Müdigkeit
der Glieder, daß die Unempfindlichkeit von der Schwä-
chung des Nerven herrühre, der dann die äußern sinnli-
chen Eindrücke zu schwach annimmt, als daß er sie zum
Gehirn bringen könnte. Weil ungewöhnlich starke äuße-
re sinnliche Eindrücke durch einen solchen Nerven gleich-
wohl empfunden werden, so scheint es hier nicht sowohl am
äußern sinnlichen Eindrucke, sondern nur an dessen Fort-
pflanzung bis ins Gehirn zu mangeln.

4. Wenn nach §. 48. die öftere Wiederholung einer-
ley äußerer sinnlicher Eindrücke einen Nerven auf die Wei-
se unempfindlich machen sollte, daß dadurch nach und nach
diejenigen Punkte des Nerven, welche den Fortgang des
Eindrucks zum Gehirn aufhalten und ableiten können,
nämlich die Nervenknoten und die Vereinigungspunkte der
Zweige mit den höhern Stämmen, dergestalt verändert
würden, daß sie einen Eindruck, den sie vorher frey fort-
gehen lassen, nunmehr aufhielten; so würde dieses nur in
dem Falle bemerket werden können, wenn derselbe äußere
sinnliche Eindruck, in eben demselben ungeschwächten Ner-

ven,

I Th. Thier. Seelenkr. 2 Kap. An ſich betr.
die Kaͤlte darum nicht mehr empfinde, weil die Nerven
durch oͤftere Wiederholung der Beruͤhrung der kalten Luft
ſo veraͤndert ſind, daß dieſelbe keinen aͤußern ſinnlichen
Eindruck mehr in ſie machet, ob ſie gleich alles andre, ja
das Kitzeln einer kleinen Feder, aufs lebhafteſte em-
pfinden.

3. Es kann die oͤftere Wiederholung einerley aͤußerer
ſinnlicher Eindruͤcke einen Nerven auch auf die Weiſe (§.
47. N. 3.) unempfindlich machen, daß der aͤußere ſinnli-
che Eindruck durch Schwaͤchung des auf einerley Weiſe zu
ſtark gebrauchten Nerven, zu ſchwach empfangen wird, als
daß er ſich bis zum Gehirn fortpflanzen koͤnnte. So ge-
ſchieht es, daß Nerven nach allzulange anhaltenden hefti-
gen Schmerzen unempfindlich werden, und wenn dieſe
Nerven zugleich zu gewiſſen thieriſchen Bewegungen die-
nen, ſo erkennet man aus der mit dieſer Unempfindlichkeit
oft verbundenen Laͤhmung, oder Schwere und Muͤdigkeit
der Glieder, daß die Unempfindlichkeit von der Schwaͤ-
chung des Nerven herruͤhre, der dann die aͤußern ſinnli-
chen Eindruͤcke zu ſchwach annimmt, als daß er ſie zum
Gehirn bringen koͤnnte. Weil ungewoͤhnlich ſtarke aͤuße-
re ſinnliche Eindruͤcke durch einen ſolchen Nerven gleich-
wohl empfunden werden, ſo ſcheint es hier nicht ſowohl am
aͤußern ſinnlichen Eindrucke, ſondern nur an deſſen Fort-
pflanzung bis ins Gehirn zu mangeln.

4. Wenn nach §. 48. die oͤftere Wiederholung einer-
ley aͤußerer ſinnlicher Eindruͤcke einen Nerven auf die Wei-
ſe unempfindlich machen ſollte, daß dadurch nach und nach
diejenigen Punkte des Nerven, welche den Fortgang des
Eindrucks zum Gehirn aufhalten und ableiten koͤnnen,
naͤmlich die Nervenknoten und die Vereinigungspunkte der
Zweige mit den hoͤhern Staͤmmen, dergeſtalt veraͤndert
wuͤrden, daß ſie einen Eindruck, den ſie vorher frey fort-
gehen laſſen, nunmehr aufhielten; ſo wuͤrde dieſes nur in
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ſinnliche Eindruck, in eben demſelben ungeſchwaͤchten Ner-

ven,
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[70/0094] I Th. Thier. Seelenkr. 2 Kap. An ſich betr. die Kaͤlte darum nicht mehr empfinde, weil die Nerven durch oͤftere Wiederholung der Beruͤhrung der kalten Luft ſo veraͤndert ſind, daß dieſelbe keinen aͤußern ſinnlichen Eindruck mehr in ſie machet, ob ſie gleich alles andre, ja das Kitzeln einer kleinen Feder, aufs lebhafteſte em- pfinden. 3. Es kann die oͤftere Wiederholung einerley aͤußerer ſinnlicher Eindruͤcke einen Nerven auch auf die Weiſe (§. 47. N. 3.) unempfindlich machen, daß der aͤußere ſinnli- che Eindruck durch Schwaͤchung des auf einerley Weiſe zu ſtark gebrauchten Nerven, zu ſchwach empfangen wird, als daß er ſich bis zum Gehirn fortpflanzen koͤnnte. So ge- ſchieht es, daß Nerven nach allzulange anhaltenden hefti- gen Schmerzen unempfindlich werden, und wenn dieſe Nerven zugleich zu gewiſſen thieriſchen Bewegungen die- nen, ſo erkennet man aus der mit dieſer Unempfindlichkeit oft verbundenen Laͤhmung, oder Schwere und Muͤdigkeit der Glieder, daß die Unempfindlichkeit von der Schwaͤ- chung des Nerven herruͤhre, der dann die aͤußern ſinnli- chen Eindruͤcke zu ſchwach annimmt, als daß er ſie zum Gehirn bringen koͤnnte. Weil ungewoͤhnlich ſtarke aͤuße- re ſinnliche Eindruͤcke durch einen ſolchen Nerven gleich- wohl empfunden werden, ſo ſcheint es hier nicht ſowohl am aͤußern ſinnlichen Eindrucke, ſondern nur an deſſen Fort- pflanzung bis ins Gehirn zu mangeln. 4. Wenn nach §. 48. die oͤftere Wiederholung einer- ley aͤußerer ſinnlicher Eindruͤcke einen Nerven auf die Wei- ſe unempfindlich machen ſollte, daß dadurch nach und nach diejenigen Punkte des Nerven, welche den Fortgang des Eindrucks zum Gehirn aufhalten und ableiten koͤnnen, naͤmlich die Nervenknoten und die Vereinigungspunkte der Zweige mit den hoͤhern Staͤmmen, dergeſtalt veraͤndert wuͤrden, daß ſie einen Eindruck, den ſie vorher frey fort- gehen laſſen, nunmehr aufhielten; ſo wuͤrde dieſes nur in dem Falle bemerket werden koͤnnen, wenn derſelbe aͤußere ſinnliche Eindruck, in eben demſelben ungeſchwaͤchten Ner- ven,

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/94>, abgerufen am 10.05.2024.