Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746.

Bild:
<< vorherige Seite

hingelauffen, anfangen mögen, was man nur
beliebt hat; so hat man bey dem Thiere den-
noch nicht die geringste Veränderung weiter
wahrgenommen, woraus man denn mit guten
Grunde geschlossen, daß es davon nicht das ge-
ringste empfunden. Hingegen so bald der Nerve
wieder von seinem Bande befreyet worden, hat
auch das Thier an demselbigen Theile wie-
derum empfunden. Wenn ein Nerve zerrissen
ist, so ist nun vollends gantz und gar kein Zwei-
fel, daß nicht die Empfindung, an dem Theile,
wohin er läuft, aufhören solte. Unzählige Men-
schen, welchen gewaltsamer Weise ein Nerve
zerrissen worden, bestätigen diesen Satz zur
Genüge. Wenn einem die Hand abgehauen
worden; so mag man dieselbe immer wieder
noch so genau an den verstümmelten Arm anle-
gen und anpassen, so wird der Mensch doch
niemals etwas von dem empfinden, was mit
seiner Hand vorgeht. Hier ist nun nach dem
Geständniß vieler die Sele schon vorher also
bestimmt worden, daß sie zu eben der Zeit, da
der Körper die Hand verliert, den Gedancken
haben muß, als ob demselben die Hand abge-
hauen würde. Allein andre, welche sich ange-
wöhnet haben, mit Erfahrungen etwas behut-
samer umzugehen, leiten hieraus nichts weiter
her, als daß ein gesunder Nerve zum Empfin-
den unentbehrlich nöthig sey. Und dieses ist
das andre was wir behaupten. Man weiß
aus der Erfahrung, daß wir nichts empfinden,

wenn

hingelauffen, anfangen moͤgen, was man nur
beliebt hat; ſo hat man bey dem Thiere den-
noch nicht die geringſte Veraͤnderung weiter
wahrgenommen, woraus man denn mit guten
Grunde geſchloſſen, daß es davon nicht das ge-
ringſte empfunden. Hingegen ſo bald der Nerve
wieder von ſeinem Bande befreyet worden, hat
auch das Thier an demſelbigen Theile wie-
derum empfunden. Wenn ein Nerve zerriſſen
iſt, ſo iſt nun vollends gantz und gar kein Zwei-
fel, daß nicht die Empfindung, an dem Theile,
wohin er laͤuft, aufhoͤren ſolte. Unzaͤhlige Men-
ſchen, welchen gewaltſamer Weiſe ein Nerve
zerriſſen worden, beſtaͤtigen dieſen Satz zur
Genuͤge. Wenn einem die Hand abgehauen
worden; ſo mag man dieſelbe immer wieder
noch ſo genau an den verſtuͤmmelten Arm anle-
gen und anpaſſen, ſo wird der Menſch doch
niemals etwas von dem empfinden, was mit
ſeiner Hand vorgeht. Hier iſt nun nach dem
Geſtaͤndniß vieler die Sele ſchon vorher alſo
beſtimmt worden, daß ſie zu eben der Zeit, da
der Koͤrper die Hand verliert, den Gedancken
haben muß, als ob demſelben die Hand abge-
hauen wuͤrde. Allein andre, welche ſich ange-
woͤhnet haben, mit Erfahrungen etwas behut-
ſamer umzugehen, leiten hieraus nichts weiter
her, als daß ein geſunder Nerve zum Empfin-
den unentbehrlich noͤthig ſey. Und dieſes iſt
das andre was wir behaupten. Man weiß
aus der Erfahrung, daß wir nichts empfinden,

wenn
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0111" n="81"/>
hingelauffen, anfangen mo&#x0364;gen, was man nur<lb/>
beliebt hat; &#x017F;o hat man bey dem Thiere den-<lb/>
noch nicht die gering&#x017F;te Vera&#x0364;nderung weiter<lb/>
wahrgenommen, woraus man denn mit guten<lb/>
Grunde ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, daß es davon nicht das ge-<lb/>
ring&#x017F;te empfunden. Hingegen &#x017F;o bald der Nerve<lb/>
wieder von &#x017F;einem Bande befreyet worden, hat<lb/>
auch das Thier an dem&#x017F;elbigen Theile wie-<lb/>
derum empfunden. Wenn ein Nerve zerri&#x017F;&#x017F;en<lb/>
i&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;t nun vollends gantz und gar kein Zwei-<lb/>
fel, daß nicht die Empfindung, an dem Theile,<lb/>
wohin er la&#x0364;uft, aufho&#x0364;ren &#x017F;olte. Unza&#x0364;hlige Men-<lb/>
&#x017F;chen, welchen gewalt&#x017F;amer Wei&#x017F;e ein Nerve<lb/>
zerri&#x017F;&#x017F;en worden, be&#x017F;ta&#x0364;tigen die&#x017F;en Satz zur<lb/>
Genu&#x0364;ge. Wenn einem die Hand abgehauen<lb/>
worden; &#x017F;o mag man die&#x017F;elbe immer wieder<lb/>
noch &#x017F;o genau an den ver&#x017F;tu&#x0364;mmelten Arm anle-<lb/>
gen und anpa&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o wird der Men&#x017F;ch doch<lb/>
niemals etwas von dem empfinden, was mit<lb/>
&#x017F;einer Hand vorgeht. Hier i&#x017F;t nun nach dem<lb/>
Ge&#x017F;ta&#x0364;ndniß vieler die Sele &#x017F;chon vorher al&#x017F;o<lb/>
be&#x017F;timmt worden, daß &#x017F;ie zu eben der Zeit, da<lb/>
der Ko&#x0364;rper die Hand verliert, den Gedancken<lb/>
haben muß, als ob dem&#x017F;elben die Hand abge-<lb/>
hauen wu&#x0364;rde. Allein andre, welche &#x017F;ich ange-<lb/>
wo&#x0364;hnet haben, mit Erfahrungen etwas behut-<lb/>
&#x017F;amer umzugehen, leiten hieraus nichts weiter<lb/>
her, als daß ein ge&#x017F;under Nerve zum Empfin-<lb/>
den unentbehrlich no&#x0364;thig &#x017F;ey. Und die&#x017F;es i&#x017F;t<lb/>
das andre was wir behaupten. Man weiß<lb/>
aus der Erfahrung, daß wir nichts empfinden,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wenn</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0111] hingelauffen, anfangen moͤgen, was man nur beliebt hat; ſo hat man bey dem Thiere den- noch nicht die geringſte Veraͤnderung weiter wahrgenommen, woraus man denn mit guten Grunde geſchloſſen, daß es davon nicht das ge- ringſte empfunden. Hingegen ſo bald der Nerve wieder von ſeinem Bande befreyet worden, hat auch das Thier an demſelbigen Theile wie- derum empfunden. Wenn ein Nerve zerriſſen iſt, ſo iſt nun vollends gantz und gar kein Zwei- fel, daß nicht die Empfindung, an dem Theile, wohin er laͤuft, aufhoͤren ſolte. Unzaͤhlige Men- ſchen, welchen gewaltſamer Weiſe ein Nerve zerriſſen worden, beſtaͤtigen dieſen Satz zur Genuͤge. Wenn einem die Hand abgehauen worden; ſo mag man dieſelbe immer wieder noch ſo genau an den verſtuͤmmelten Arm anle- gen und anpaſſen, ſo wird der Menſch doch niemals etwas von dem empfinden, was mit ſeiner Hand vorgeht. Hier iſt nun nach dem Geſtaͤndniß vieler die Sele ſchon vorher alſo beſtimmt worden, daß ſie zu eben der Zeit, da der Koͤrper die Hand verliert, den Gedancken haben muß, als ob demſelben die Hand abge- hauen wuͤrde. Allein andre, welche ſich ange- woͤhnet haben, mit Erfahrungen etwas behut- ſamer umzugehen, leiten hieraus nichts weiter her, als daß ein geſunder Nerve zum Empfin- den unentbehrlich noͤthig ſey. Und dieſes iſt das andre was wir behaupten. Man weiß aus der Erfahrung, daß wir nichts empfinden, wenn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746/111
Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746/111>, abgerufen am 25.11.2024.