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Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746.

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man in der That vor eine erstaunenswürdige
Sache halten muß. Die Jndianer sollen eine
gewisse Artzney haben, welche demienigen, der
sich derselben bedienet, der Kraft seiner Sele
beraubet. Jch sage nicht zu viel, denn ein sol-
cher Mensch verlieret nicht allein nach und nach
alle Empfindungen, alle Erinnerungs- und
Einbildungskraft; sondern er wird auch mit
der Zeit gäntzlich des Vermögens beraubet sich
Dinge ausser ihm oder sich selbst vorzustellen.
Jst nun unsre Sele das Ding, welches eine
Kraft zu Vorstellungen hat; und ist eine Kraft
in beständiger Bemühung zu würcken; so muß
dieses Medicament entweder die Sele gantz
und gar vertreiben, oder es muß dennoch ver-
mögen, ihrer Kraft vollkommenen Wieder-
stand zu leisten. Ein solcher Mensch ist keines-
weges unter die Todten zu zählen. Denn bey
einem Verstorbenen müssen nicht allein alle
Vorstellungen, sondern auch alle Bewegungen
fehlen, sie mögen willkührliche oder natürliche
oder nothwendige sey. Allein dieses läßt sich
von solchen Leuten nicht behaupten. Die na-
türlichen und nothwendigen Bewegungen ge-
hen bey ihnen so gut von statten, als ob sie sich
ihrer bewust wären. Wenn man sie ernähret,
so wachsen und leben sie fort; allein der Unter-
schied zwischen ihnen und andern Menschen ist
in eben der Verhältniß, als zwischen einen
Menschen und einer Pflantze. Was will man
nun zu einer solchen menschlichen Pflantze sa-

gen?
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man in der That vor eine erſtaunenswuͤrdige
Sache halten muß. Die Jndianer ſollen eine
gewiſſe Artzney haben, welche demienigen, der
ſich derſelben bedienet, der Kraft ſeiner Sele
beraubet. Jch ſage nicht zu viel, denn ein ſol-
cher Menſch verlieret nicht allein nach und nach
alle Empfindungen, alle Erinnerungs- und
Einbildungskraft; ſondern er wird auch mit
der Zeit gaͤntzlich des Vermoͤgens beraubet ſich
Dinge auſſer ihm oder ſich ſelbſt vorzuſtellen.
Jſt nun unſre Sele das Ding, welches eine
Kraft zu Vorſtellungen hat; und iſt eine Kraft
in beſtaͤndiger Bemuͤhung zu wuͤrcken; ſo muß
dieſes Medicament entweder die Sele gantz
und gar vertreiben, oder es muß dennoch ver-
moͤgen, ihrer Kraft vollkommenen Wieder-
ſtand zu leiſten. Ein ſolcher Menſch iſt keines-
weges unter die Todten zu zaͤhlen. Denn bey
einem Verſtorbenen muͤſſen nicht allein alle
Vorſtellungen, ſondern auch alle Bewegungen
fehlen, ſie moͤgen willkuͤhrliche oder natuͤrliche
oder nothwendige ſey. Allein dieſes laͤßt ſich
von ſolchen Leuten nicht behaupten. Die na-
tuͤrlichen und nothwendigen Bewegungen ge-
hen bey ihnen ſo gut von ſtatten, als ob ſie ſich
ihrer bewuſt waͤren. Wenn man ſie ernaͤhret,
ſo wachſen und leben ſie fort; allein der Unter-
ſchied zwiſchen ihnen und andern Menſchen iſt
in eben der Verhaͤltniß, als zwiſchen einen
Menſchen und einer Pflantze. Was will man
nun zu einer ſolchen menſchlichen Pflantze ſa-

gen?
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[93/0123] man in der That vor eine erſtaunenswuͤrdige Sache halten muß. Die Jndianer ſollen eine gewiſſe Artzney haben, welche demienigen, der ſich derſelben bedienet, der Kraft ſeiner Sele beraubet. Jch ſage nicht zu viel, denn ein ſol- cher Menſch verlieret nicht allein nach und nach alle Empfindungen, alle Erinnerungs- und Einbildungskraft; ſondern er wird auch mit der Zeit gaͤntzlich des Vermoͤgens beraubet ſich Dinge auſſer ihm oder ſich ſelbſt vorzuſtellen. Jſt nun unſre Sele das Ding, welches eine Kraft zu Vorſtellungen hat; und iſt eine Kraft in beſtaͤndiger Bemuͤhung zu wuͤrcken; ſo muß dieſes Medicament entweder die Sele gantz und gar vertreiben, oder es muß dennoch ver- moͤgen, ihrer Kraft vollkommenen Wieder- ſtand zu leiſten. Ein ſolcher Menſch iſt keines- weges unter die Todten zu zaͤhlen. Denn bey einem Verſtorbenen muͤſſen nicht allein alle Vorſtellungen, ſondern auch alle Bewegungen fehlen, ſie moͤgen willkuͤhrliche oder natuͤrliche oder nothwendige ſey. Allein dieſes laͤßt ſich von ſolchen Leuten nicht behaupten. Die na- tuͤrlichen und nothwendigen Bewegungen ge- hen bey ihnen ſo gut von ſtatten, als ob ſie ſich ihrer bewuſt waͤren. Wenn man ſie ernaͤhret, ſo wachſen und leben ſie fort; allein der Unter- ſchied zwiſchen ihnen und andern Menſchen iſt in eben der Verhaͤltniß, als zwiſchen einen Menſchen und einer Pflantze. Was will man nun zu einer ſolchen menſchlichen Pflantze ſa- gen? H 4

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746/123>, abgerufen am 26.11.2024.