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Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755.

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Lyrische Gedichte
Die Risse liegen aufgeschlagen,
Die, als die Gottheit schuf, vor ihrem Auge lagen:
Das Reich des Möglichen steigt aus gewohnter Nacht.
Die Welt verändert sich, mit immer neuer Pracht,
Nach tausend lockenden Entwürfen,
Die eines Winks zu schnellem Seyn bedürfen.
Der Sextus einer bessern Erden
Zwingt nicht Lucretien, durch Selbstmord groß zu werden:
An keinem Dolche starrt ihr unbeflecktes Blut.
Das leichenvolle Rom, der Schauplatz feiger Wuth
Und viehischer Domitiane,
Herrscht unverheert in einem schönern Plane.
Doch Dämmerung und kalte Schatten
Gehn über Welten auf, die mich entzücket hatten:
Der Schöpfer wählt sie nicht! Er wählet unsre Welt,
Der Ungeheuer Sitz, die, Helden beygesellt,
Jn ewigen Geschichten strahlen,
Der Menschheit Schmach, das Werkzeug ihrer Qualen.
Eh
Lyriſche Gedichte
Die Riſſe liegen aufgeſchlagen,
Die, als die Gottheit ſchuf, vor ihrem Auge lagen:
Das Reich des Moͤglichen ſteigt aus gewohnter Nacht.
Die Welt veraͤndert ſich, mit immer neuer Pracht,
Nach tauſend lockenden Entwuͤrfen,
Die eines Winks zu ſchnellem Seyn beduͤrfen.
Der Sextus einer beſſern Erden
Zwingt nicht Lucretien, durch Selbſtmord groß zu werden:
An keinem Dolche ſtarrt ihr unbeflecktes Blut.
Das leichenvolle Rom, der Schauplatz feiger Wuth
Und viehiſcher Domitiane,
Herrſcht unverheert in einem ſchoͤnern Plane.
Doch Daͤmmerung und kalte Schatten
Gehn uͤber Welten auf, die mich entzuͤcket hatten:
Der Schoͤpfer waͤhlt ſie nicht! Er waͤhlet unſre Welt,
Der Ungeheuer Sitz, die, Helden beygeſellt,
Jn ewigen Geſchichten ſtrahlen,
Der Menſchheit Schmach, das Werkzeug ihrer Qualen.
Eh
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[158/0172] Lyriſche Gedichte Die Riſſe liegen aufgeſchlagen, Die, als die Gottheit ſchuf, vor ihrem Auge lagen: Das Reich des Moͤglichen ſteigt aus gewohnter Nacht. Die Welt veraͤndert ſich, mit immer neuer Pracht, Nach tauſend lockenden Entwuͤrfen, Die eines Winks zu ſchnellem Seyn beduͤrfen. Der Sextus einer beſſern Erden Zwingt nicht Lucretien, durch Selbſtmord groß zu werden: An keinem Dolche ſtarrt ihr unbeflecktes Blut. Das leichenvolle Rom, der Schauplatz feiger Wuth Und viehiſcher Domitiane, Herrſcht unverheert in einem ſchoͤnern Plane. Doch Daͤmmerung und kalte Schatten Gehn uͤber Welten auf, die mich entzuͤcket hatten: Der Schoͤpfer waͤhlt ſie nicht! Er waͤhlet unſre Welt, Der Ungeheuer Sitz, die, Helden beygeſellt, Jn ewigen Geſchichten ſtrahlen, Der Menſchheit Schmach, das Werkzeug ihrer Qualen. Eh

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Zitationshilfe: Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755/172>, abgerufen am 26.05.2024.