Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755.Lyrische Gedichte Die ihr ein Stück vom Ganzen trennet, Vom Ganzen, das ihr bloß nach euerm Winkel kennet; Verwegen tadelt ihr, was Weise nicht verstehn. O könnten wir die Welt im Ganzen übersehn, Wie würden sich die dunkeln Flecken Vor unserm Blick in grössern Glanz verstecken! Soll Welten alles Böse fehlen? So musste nie den Staub der Gottheit Hauch beseelen; Denn alles Böse quillt bloß aus des Menschen Brust: So muß der Mensch nicht seyn: welch grösserer Verlust! Die ganze Schöpfung würde trauern, Die Tugend fliehn und ihren Freund bedauern. Jhr Weisen! hättet nie entzücket, Die ihr die Schöpfung mehr, als hundert Sonnen, schmücket, Und Ordnung herrschte nicht im Reiche der Natur, Die niemals flüchtig springt, und stuffenweise nur Auf ihrer güldnen Leiter steiget, Wo sich der Mensch auf mittlern Sprossen zeiget. Vorm
Lyriſche Gedichte Die ihr ein Stuͤck vom Ganzen trennet, Vom Ganzen, das ihr bloß nach euerm Winkel kennet; Verwegen tadelt ihr, was Weiſe nicht verſtehn. O koͤnnten wir die Welt im Ganzen uͤberſehn, Wie wuͤrden ſich die dunkeln Flecken Vor unſerm Blick in groͤſſern Glanz verſtecken! Soll Welten alles Boͤſe fehlen? So muſſte nie den Staub der Gottheit Hauch beſeelen; Denn alles Boͤſe quillt bloß aus des Menſchen Bruſt: So muß der Menſch nicht ſeyn: welch groͤſſerer Verluſt! Die ganze Schoͤpfung wuͤrde trauern, Die Tugend fliehn und ihren Freund bedauern. Jhr Weiſen! haͤttet nie entzuͤcket, Die ihr die Schoͤpfung mehr, als hundert Sonnen, ſchmuͤcket, Und Ordnung herrſchte nicht im Reiche der Natur, Die niemals fluͤchtig ſpringt, und ſtuffenweiſe nur Auf ihrer guͤldnen Leiter ſteiget, Wo ſich der Menſch auf mittlern Sproſſen zeiget. Vorm
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0176" n="162"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Lyriſche Gedichte</hi> </fw><lb/> <lg n="16"> <l><hi rendition="#in">D</hi>ie ihr ein Stuͤck vom Ganzen trennet,</l><lb/> <l>Vom Ganzen, das ihr bloß nach euerm Winkel kennet;</l><lb/> <l>Verwegen tadelt ihr, was Weiſe nicht verſtehn.</l><lb/> <l>O koͤnnten wir die Welt im Ganzen uͤberſehn,</l><lb/> <l>Wie wuͤrden ſich die dunkeln Flecken</l><lb/> <l>Vor unſerm Blick in groͤſſern Glanz verſtecken!</l> </lg><lb/> <lg n="17"> <l><hi rendition="#in">S</hi>oll Welten alles Boͤſe fehlen?</l><lb/> <l>So muſſte nie den Staub der Gottheit Hauch beſeelen;</l><lb/> <l>Denn alles Boͤſe quillt bloß aus des Menſchen Bruſt:</l><lb/> <l>So muß der Menſch nicht ſeyn: welch groͤſſerer Verluſt!</l><lb/> <l>Die ganze Schoͤpfung wuͤrde trauern,</l><lb/> <l>Die Tugend fliehn und ihren Freund bedauern.</l> </lg><lb/> <lg n="18"> <l><hi rendition="#in">J</hi>hr Weiſen! haͤttet nie entzuͤcket,</l><lb/> <l>Die ihr die Schoͤpfung mehr, als hundert Sonnen, ſchmuͤcket,</l><lb/> <l>Und Ordnung herrſchte nicht im Reiche der Natur,</l><lb/> <l>Die niemals fluͤchtig ſpringt, und ſtuffenweiſe nur</l><lb/> <l>Auf ihrer guͤldnen Leiter ſteiget,</l><lb/> <l>Wo ſich der Menſch auf mittlern Sproſſen zeiget.</l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Vorm</fw><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [162/0176]
Lyriſche Gedichte
Die ihr ein Stuͤck vom Ganzen trennet,
Vom Ganzen, das ihr bloß nach euerm Winkel kennet;
Verwegen tadelt ihr, was Weiſe nicht verſtehn.
O koͤnnten wir die Welt im Ganzen uͤberſehn,
Wie wuͤrden ſich die dunkeln Flecken
Vor unſerm Blick in groͤſſern Glanz verſtecken!
Soll Welten alles Boͤſe fehlen?
So muſſte nie den Staub der Gottheit Hauch beſeelen;
Denn alles Boͤſe quillt bloß aus des Menſchen Bruſt:
So muß der Menſch nicht ſeyn: welch groͤſſerer Verluſt!
Die ganze Schoͤpfung wuͤrde trauern,
Die Tugend fliehn und ihren Freund bedauern.
Jhr Weiſen! haͤttet nie entzuͤcket,
Die ihr die Schoͤpfung mehr, als hundert Sonnen, ſchmuͤcket,
Und Ordnung herrſchte nicht im Reiche der Natur,
Die niemals fluͤchtig ſpringt, und ſtuffenweiſe nur
Auf ihrer guͤldnen Leiter ſteiget,
Wo ſich der Menſch auf mittlern Sproſſen zeiget.
Vorm
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDie Erstausgabe der vorliegenden Gedichtsammlung … [mehr] Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |