Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755.Ein Gedicht. Wie strahlt die weisse Haut! der blauen Augen Scherz,Der feuervolle Blick verräth ein loses Herz. Der schlanken Glieder Bau, durch Grazien geschmücket, Der anmuthvolle Gang, die Stimme selbst entzücket. Der Schultern Marmor glänzt zu aller Augen Lust, Und unverborgen hebt sich ihre volle Brust. Denn was die alte Welt in dreyfach Tuch verstecket, Hat unsre klügre Zeit den Kennern aufgedecket. Die Schönen gehn halbnackt: o angenehme Zeit! Wer sieht so schönes Fleisch nicht lieber, als ein Kleid? Wie kann ein Stutzer-Herz sich vor Selinden retten? Sie lächelt ieden an, man hofft nur leichte Ketten. Jhr gaukelt alles zu, was wohl zu leben weis: Sie scheinet lauter Glut, und bleibet lauter Eis. Dorante hangt entzückt an seiner Göttinn Augen, Und will Unsterblichkeit aus ihren Blicken saugen, Und will auf ihrer Stirn, wo selten Wolken stehn, Des Himmels Wiederschein, platonisch zärtlich, sehn. So denkt nicht Ganymed aus der Erobrer Orden; Nicht Mokles, welcher doch Magister jüngst geworden; Gewiß auch nicht Cleanth, der zum Scribenten reift, Bald dieß, bald jenes Bein tiefsinnig hebt und pfeift. So denkt nicht Selimor: sein Kleid und seine Sitten Sind nach der besten Art französisch zugeschnitten, Und einem Herrn gemäß, der Gallien betrat, Und erst beym letzten Schnee die große Reise that. Er buhlt, er spielt, er flucht, nimmt Spaniol und lachet: Ein Held in allem dem, was Frankreich artig machet, Der
Ein Gedicht. Wie ſtrahlt die weiſſe Haut! der blauen Augen Scherz,Der feuervolle Blick verraͤth ein loſes Herz. Der ſchlanken Glieder Bau, durch Grazien geſchmuͤcket, Der anmuthvolle Gang, die Stimme ſelbſt entzuͤcket. Der Schultern Marmor glaͤnzt zu aller Augen Luſt, Und unverborgen hebt ſich ihre volle Bruſt. Denn was die alte Welt in dreyfach Tuch verſtecket, Hat unſre kluͤgre Zeit den Kennern aufgedecket. Die Schoͤnen gehn halbnackt: o angenehme Zeit! Wer ſieht ſo ſchoͤnes Fleiſch nicht lieber, als ein Kleid? Wie kann ein Stutzer-Herz ſich vor Selinden retten? Sie laͤchelt ieden an, man hofft nur leichte Ketten. Jhr gaukelt alles zu, was wohl zu leben weis: Sie ſcheinet lauter Glut, und bleibet lauter Eis. Dorante hangt entzuͤckt an ſeiner Goͤttinn Augen, Und will Unſterblichkeit aus ihren Blicken ſaugen, Und will auf ihrer Stirn, wo ſelten Wolken ſtehn, Des Himmels Wiederſchein, platoniſch zaͤrtlich, ſehn. So denkt nicht Ganymed aus der Erobrer Orden; Nicht Mokles, welcher doch Magiſter juͤngſt geworden; Gewiß auch nicht Cleanth, der zum Scribenten reift, Bald dieß, bald jenes Bein tiefſinnig hebt und pfeift. So denkt nicht Selimor: ſein Kleid und ſeine Sitten Sind nach der beſten Art franzoͤſiſch zugeſchnitten, Und einem Herrn gemaͤß, der Gallien betrat, Und erſt beym letzten Schnee die große Reiſe that. Er buhlt, er ſpielt, er flucht, nimmt Spaniol und lachet: Ein Held in allem dem, was Frankreich artig machet, Der
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <lg n="2"> <pb facs="#f0189" n="175"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Ein Gedicht.</hi> </fw><lb/> <l>Wie ſtrahlt die weiſſe Haut! der blauen Augen Scherz,</l><lb/> <l>Der feuervolle Blick verraͤth ein loſes Herz.</l><lb/> <l>Der ſchlanken Glieder Bau, durch Grazien geſchmuͤcket,</l><lb/> <l>Der anmuthvolle Gang, die Stimme ſelbſt entzuͤcket.</l><lb/> <l>Der Schultern Marmor glaͤnzt zu aller Augen Luſt,</l><lb/> <l>Und unverborgen hebt ſich ihre volle Bruſt.</l><lb/> <l>Denn was die alte Welt in dreyfach Tuch verſtecket,</l><lb/> <l>Hat unſre kluͤgre Zeit den Kennern aufgedecket.</l><lb/> <l>Die Schoͤnen gehn halbnackt: o angenehme Zeit!</l><lb/> <l>Wer ſieht ſo ſchoͤnes Fleiſch nicht lieber, als ein Kleid?</l><lb/> <l>Wie kann ein Stutzer-Herz ſich vor Selinden retten?</l><lb/> <l>Sie laͤchelt ieden an, man hofft nur leichte Ketten.</l><lb/> <l>Jhr gaukelt alles zu, was wohl zu leben weis:</l><lb/> <l>Sie ſcheinet lauter Glut, und bleibet lauter Eis.</l><lb/> <l>Dorante hangt entzuͤckt an ſeiner Goͤttinn Augen,</l><lb/> <l>Und will Unſterblichkeit aus ihren Blicken ſaugen,</l><lb/> <l>Und will auf ihrer Stirn, wo ſelten Wolken ſtehn,</l><lb/> <l>Des Himmels Wiederſchein, platoniſch zaͤrtlich, ſehn.</l><lb/> <l>So denkt nicht Ganymed aus der Erobrer Orden;</l><lb/> <l>Nicht Mokles, welcher doch Magiſter juͤngſt geworden;</l><lb/> <l>Gewiß auch nicht Cleanth, der zum Scribenten reift,</l><lb/> <l>Bald dieß, bald jenes Bein tiefſinnig hebt und pfeift.</l><lb/> <l>So denkt nicht Selimor: ſein Kleid und ſeine Sitten</l><lb/> <l>Sind nach der beſten Art franzoͤſiſch zugeſchnitten,</l><lb/> <l>Und einem Herrn gemaͤß, der Gallien betrat,</l><lb/> <l>Und erſt beym letzten Schnee die große Reiſe that.</l><lb/> <l>Er buhlt, er ſpielt, er flucht, nimmt Spaniol und lachet:</l><lb/> <l>Ein Held in allem dem, was Frankreich artig machet,</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [175/0189]
Ein Gedicht.
Wie ſtrahlt die weiſſe Haut! der blauen Augen Scherz,
Der feuervolle Blick verraͤth ein loſes Herz.
Der ſchlanken Glieder Bau, durch Grazien geſchmuͤcket,
Der anmuthvolle Gang, die Stimme ſelbſt entzuͤcket.
Der Schultern Marmor glaͤnzt zu aller Augen Luſt,
Und unverborgen hebt ſich ihre volle Bruſt.
Denn was die alte Welt in dreyfach Tuch verſtecket,
Hat unſre kluͤgre Zeit den Kennern aufgedecket.
Die Schoͤnen gehn halbnackt: o angenehme Zeit!
Wer ſieht ſo ſchoͤnes Fleiſch nicht lieber, als ein Kleid?
Wie kann ein Stutzer-Herz ſich vor Selinden retten?
Sie laͤchelt ieden an, man hofft nur leichte Ketten.
Jhr gaukelt alles zu, was wohl zu leben weis:
Sie ſcheinet lauter Glut, und bleibet lauter Eis.
Dorante hangt entzuͤckt an ſeiner Goͤttinn Augen,
Und will Unſterblichkeit aus ihren Blicken ſaugen,
Und will auf ihrer Stirn, wo ſelten Wolken ſtehn,
Des Himmels Wiederſchein, platoniſch zaͤrtlich, ſehn.
So denkt nicht Ganymed aus der Erobrer Orden;
Nicht Mokles, welcher doch Magiſter juͤngſt geworden;
Gewiß auch nicht Cleanth, der zum Scribenten reift,
Bald dieß, bald jenes Bein tiefſinnig hebt und pfeift.
So denkt nicht Selimor: ſein Kleid und ſeine Sitten
Sind nach der beſten Art franzoͤſiſch zugeſchnitten,
Und einem Herrn gemaͤß, der Gallien betrat,
Und erſt beym letzten Schnee die große Reiſe that.
Er buhlt, er ſpielt, er flucht, nimmt Spaniol und lachet:
Ein Held in allem dem, was Frankreich artig machet,
Der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDie Erstausgabe der vorliegenden Gedichtsammlung … [mehr] Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |