Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755.Ein Gedicht. Sie kamen im Gebüsch an eine Rasenbank,Wohin, um auszuruhn, die müde Schöne sank. Nun raubt er einen Kuß von ihren warmen Wangen: Jhr unberedter Mund bestraft sein Unterfangen: Ach! plagen Sie mich nicht! - Vergeben Sie, ich muß! Dem ersten folgte bald ein zweyter, dritter Kuß. Allein was wollen Sie? es ist nicht auszustehen! Sie müssen, Selimor, hin zu Selinden gehen. Selinden sagen Sie? und sehn ich mich nach ihr, Versetzte Selimor? bin ich nicht besser hier? Wie aber? fuhr er fort; Sie wollen meine Flammen Zu peinlichem Verzug, wie ein Roman, verdammen? Soll dieser dunkle Busch vergebens dunkel seyn? Jst uns die Liebe fremd? und sind wir nicht allein? Nun warf er ungestüm sich Lesbien zu Füssen, Fiel über ihre Hand mit gierigheissen Küssen, Und küßte Mund und Brust: sie hielt ihn schwach zurück; Und nur von Wollust sprach ihr halbgebrochner Blick. Die schwere Zunge schwieg, von stummer Lust gebunden: Da war kein Widerstand; sie gab sich überwunden. Sie seufzte: Selimor! - - Auch Zephyr seufzte nach, Der lispelnd im Gebüsch von ihren Küssen sprach. Du küssest, Selimor? und nicht Selindens Wangen? Wohin verirret sich dein flatterndes Verlangen? Selinden, welche dir so liebenswürdig schien, Die dich vielleicht schon liebt, kannst du gelassen fliehn? Do- M 5
Ein Gedicht. Sie kamen im Gebuͤſch an eine Raſenbank,Wohin, um auszuruhn, die muͤde Schoͤne ſank. Nun raubt er einen Kuß von ihren warmen Wangen: Jhr unberedter Mund beſtraft ſein Unterfangen: Ach! plagen Sie mich nicht! ‒ Vergeben Sie, ich muß! Dem erſten folgte bald ein zweyter, dritter Kuß. Allein was wollen Sie? es iſt nicht auszuſtehen! Sie muͤſſen, Selimor, hin zu Selinden gehen. Selinden ſagen Sie? und ſehn ich mich nach ihr, Verſetzte Selimor? bin ich nicht beſſer hier? Wie aber? fuhr er fort; Sie wollen meine Flammen Zu peinlichem Verzug, wie ein Roman, verdammen? Soll dieſer dunkle Buſch vergebens dunkel ſeyn? Jſt uns die Liebe fremd? und ſind wir nicht allein? Nun warf er ungeſtuͤm ſich Lesbien zu Fuͤſſen, Fiel uͤber ihre Hand mit gierigheiſſen Kuͤſſen, Und kuͤßte Mund und Bruſt: ſie hielt ihn ſchwach zuruͤck; Und nur von Wolluſt ſprach ihr halbgebrochner Blick. Die ſchwere Zunge ſchwieg, von ſtummer Luſt gebunden: Da war kein Widerſtand; ſie gab ſich uͤberwunden. Sie ſeufzte: Selimor! ‒ ‒ Auch Zephyr ſeufzte nach, Der liſpelnd im Gebuͤſch von ihren Kuͤſſen ſprach. Du kuͤſſeſt, Selimor? und nicht Selindens Wangen? Wohin verirret ſich dein flatterndes Verlangen? Selinden, welche dir ſo liebenswuͤrdig ſchien, Die dich vielleicht ſchon liebt, kannſt du gelaſſen fliehn? Do- M 5
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Ein Gedicht.
Sie kamen im Gebuͤſch an eine Raſenbank,
Wohin, um auszuruhn, die muͤde Schoͤne ſank.
Nun raubt er einen Kuß von ihren warmen Wangen:
Jhr unberedter Mund beſtraft ſein Unterfangen:
Ach! plagen Sie mich nicht! ‒ Vergeben Sie, ich muß!
Dem erſten folgte bald ein zweyter, dritter Kuß.
Allein was wollen Sie? es iſt nicht auszuſtehen!
Sie muͤſſen, Selimor, hin zu Selinden gehen.
Selinden ſagen Sie? und ſehn ich mich nach ihr,
Verſetzte Selimor? bin ich nicht beſſer hier?
Wie aber? fuhr er fort; Sie wollen meine Flammen
Zu peinlichem Verzug, wie ein Roman, verdammen?
Soll dieſer dunkle Buſch vergebens dunkel ſeyn?
Jſt uns die Liebe fremd? und ſind wir nicht allein?
Nun warf er ungeſtuͤm ſich Lesbien zu Fuͤſſen,
Fiel uͤber ihre Hand mit gierigheiſſen Kuͤſſen,
Und kuͤßte Mund und Bruſt: ſie hielt ihn ſchwach zuruͤck;
Und nur von Wolluſt ſprach ihr halbgebrochner Blick.
Die ſchwere Zunge ſchwieg, von ſtummer Luſt gebunden:
Da war kein Widerſtand; ſie gab ſich uͤberwunden.
Sie ſeufzte: Selimor! ‒ ‒ Auch Zephyr ſeufzte nach,
Der liſpelnd im Gebuͤſch von ihren Kuͤſſen ſprach.
Du kuͤſſeſt, Selimor? und nicht Selindens Wangen?
Wohin verirret ſich dein flatterndes Verlangen?
Selinden, welche dir ſo liebenswuͤrdig ſchien,
Die dich vielleicht ſchon liebt, kannſt du gelaſſen fliehn?
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