neue Eigenleben den sich gegen dasselbe relativ passiv verhalten- den Stoff und eignet sich ihn an, bis am Ende des Fruchtlebens alle Spur oder ein grosser Theil desselben geschwunden ist. Im Gegentheile kann jedoch krankhaft, wie schon Meckel (Beiträge zur vergl. Anatomie I. S. 62.) bemerkt hat, eine zu grosse Ge- walt dieser Nahrungsstoffe das individuelle Wesen vernichten und so jede Entwickelung eines neuen Organismus hindern -- ein Punkt, den wir später noch berühren werden.
Die mannigfachen Metamorphosen der Fruchtanlage sind das Hauptobject der Entwickelungsgeschichte; die Veränderungen der Nahrung dagegen, wenn auch wichtig, doch von untergeordnetem Werthe. Wir werden daher die ersteren speciell ins Auge fas- sen und in möglichst gedrängter, aber vollständiger Darstellung behandeln, an schicklichen Orten dagegen die Variationen der Nahrung einzuschalten uns bemühen.
Die Keimhaut zeigt in der Reihe der Thierwelt mancherlei Verschiedenheiten. Ueber ihre Bedeutung, Lage und Gestalt in den Säugethieren ist das Nöthige schon in dem Abschnitt Ei ab- gehandelt worden. Bei den niederen Wirbelthieren ist sie ent- weder mehr oder minder scheibenförmig, so dass sie nur einen Theil, und zwar meist den oberen, des Dotters bedeckt, oder kuglich, so dass sie den ganzen Dotter umfasset und einschliesst. Bei den Wirbellosen ist durch die Untersuchungen von Herold und Rathke noch ein drittes, der Zeit nach verschiedenes Ver- hältniss bekannt geworden. Der Erstere fand nämlich bei den Spin- nen (Unters. üb. d. Bildungsgeschichte der wirbellosen Thiere im Eie. 1824. Fol.) und der Letztere bei dem Flusskrebse (Unter- suchungen über die Bildung und Entwickelung des Flusskrebses. 1829. Fol.), nicht aber bei den Onisciden (Abh. Thl. I. und II.), dass die Keimanlage, welche nur einen kleinen Theil des Dotters bedeckt, sich nebelartig über den Dotter beim Beginne der Ent- wickelung verbreitet und in einem neuen Acte der Bildung erst zu einer verhältnissmässig kleinen, aber dichten Fruchtanlage con- densirt, von welcher letzteren dann die Bildung des neuen Indi- viduums ausgeht. Endlich soll bei manchen Thieren die Entste- hung des neuen Wesens ohne alle Fruchtanlage beginnen -- eine Behauptung, welche wahrscheinlich nur das Resultat un- serer bisher mangelhaften Kenntnisse, nicht vollständiger und um- sichtiger Beobachtung ist. Es geht hier gewiss eben so, wie
schon
Von dem Embryo.
neue Eigenleben den sich gegen dasselbe relativ passiv verhalten- den Stoff und eignet sich ihn an, bis am Ende des Fruchtlebens alle Spur oder ein groſser Theil desselben geschwunden ist. Im Gegentheile kann jedoch krankhaft, wie schon Meckel (Beiträge zur vergl. Anatomie I. S. 62.) bemerkt hat, eine zu groſse Ge- walt dieser Nahrungsstoffe das individuelle Wesen vernichten und so jede Entwickelung eines neuen Organismus hindern — ein Punkt, den wir später noch berühren werden.
Die mannigfachen Metamorphosen der Fruchtanlage sind das Hauptobject der Entwickelungsgeschichte; die Veränderungen der Nahrung dagegen, wenn auch wichtig, doch von untergeordnetem Werthe. Wir werden daher die ersteren speciell ins Auge fas- sen und in möglichst gedrängter, aber vollständiger Darstellung behandeln, an schicklichen Orten dagegen die Variationen der Nahrung einzuschalten uns bemühen.
Die Keimhaut zeigt in der Reihe der Thierwelt mancherlei Verschiedenheiten. Ueber ihre Bedeutung, Lage und Gestalt in den Säugethieren ist das Nöthige schon in dem Abschnitt Ei ab- gehandelt worden. Bei den niederen Wirbelthieren ist sie ent- weder mehr oder minder scheibenförmig, so daſs sie nur einen Theil, und zwar meist den oberen, des Dotters bedeckt, oder kuglich, so daſs sie den ganzen Dotter umfasset und einschlieſst. Bei den Wirbellosen ist durch die Untersuchungen von Herold und Rathke noch ein drittes, der Zeit nach verschiedenes Ver- hältniſs bekannt geworden. Der Erstere fand nämlich bei den Spin- nen (Unters. üb. d. Bildungsgeschichte der wirbellosen Thiere im Eie. 1824. Fol.) und der Letztere bei dem Fluſskrebse (Unter- suchungen über die Bildung und Entwickelung des Fluſskrebses. 1829. Fol.), nicht aber bei den Onisciden (Abh. Thl. I. und II.), daſs die Keimanlage, welche nur einen kleinen Theil des Dotters bedeckt, sich nebelartig über den Dotter beim Beginne der Ent- wickelung verbreitet und in einem neuen Acte der Bildung erst zu einer verhältniſsmäſsig kleinen, aber dichten Fruchtanlage con- densirt, von welcher letzteren dann die Bildung des neuen Indi- viduums ausgeht. Endlich soll bei manchen Thieren die Entste- hung des neuen Wesens ohne alle Fruchtanlage beginnen — eine Behauptung, welche wahrscheinlich nur das Resultat un- serer bisher mangelhaften Kenntnisse, nicht vollständiger und um- sichtiger Beobachtung ist. Es geht hier gewiſs eben so, wie
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Von dem Embryo.
neue Eigenleben den sich gegen dasselbe relativ passiv verhalten-
den Stoff und eignet sich ihn an, bis am Ende des Fruchtlebens
alle Spur oder ein groſser Theil desselben geschwunden ist. Im
Gegentheile kann jedoch krankhaft, wie schon Meckel (Beiträge
zur vergl. Anatomie I. S. 62.) bemerkt hat, eine zu groſse Ge-
walt dieser Nahrungsstoffe das individuelle Wesen vernichten und
so jede Entwickelung eines neuen Organismus hindern — ein
Punkt, den wir später noch berühren werden.
Die mannigfachen Metamorphosen der Fruchtanlage sind das
Hauptobject der Entwickelungsgeschichte; die Veränderungen der
Nahrung dagegen, wenn auch wichtig, doch von untergeordnetem
Werthe. Wir werden daher die ersteren speciell ins Auge fas-
sen und in möglichst gedrängter, aber vollständiger Darstellung
behandeln, an schicklichen Orten dagegen die Variationen der
Nahrung einzuschalten uns bemühen.
Die Keimhaut zeigt in der Reihe der Thierwelt mancherlei
Verschiedenheiten. Ueber ihre Bedeutung, Lage und Gestalt in
den Säugethieren ist das Nöthige schon in dem Abschnitt Ei ab-
gehandelt worden. Bei den niederen Wirbelthieren ist sie ent-
weder mehr oder minder scheibenförmig, so daſs sie nur einen
Theil, und zwar meist den oberen, des Dotters bedeckt, oder
kuglich, so daſs sie den ganzen Dotter umfasset und einschlieſst.
Bei den Wirbellosen ist durch die Untersuchungen von Herold
und Rathke noch ein drittes, der Zeit nach verschiedenes Ver-
hältniſs bekannt geworden. Der Erstere fand nämlich bei den Spin-
nen (Unters. üb. d. Bildungsgeschichte der wirbellosen Thiere im
Eie. 1824. Fol.) und der Letztere bei dem Fluſskrebse (Unter-
suchungen über die Bildung und Entwickelung des Fluſskrebses.
1829. Fol.), nicht aber bei den Onisciden (Abh. Thl. I. und II.),
daſs die Keimanlage, welche nur einen kleinen Theil des Dotters
bedeckt, sich nebelartig über den Dotter beim Beginne der Ent-
wickelung verbreitet und in einem neuen Acte der Bildung erst
zu einer verhältniſsmäſsig kleinen, aber dichten Fruchtanlage con-
densirt, von welcher letzteren dann die Bildung des neuen Indi-
viduums ausgeht. Endlich soll bei manchen Thieren die Entste-
hung des neuen Wesens ohne alle Fruchtanlage beginnen —
eine Behauptung, welche wahrscheinlich nur das Resultat un-
serer bisher mangelhaften Kenntnisse, nicht vollständiger und um-
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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/172>, abgerufen am 24.11.2024.
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