schon oben bei Gelegenheit des Keimbläschens gezeigt wurde, dass die genaueste Untersuchung nur Analogieen, nie Ausnahmen nachweist.
Die Entwickelung des Embryo, d. h. die normale Ausbil- dung der Fruchtanlage, kann, wenn man sich nur an das sinnlich Wahrnehmbare und Erkennbare hält, von zwei Gesichtspunkten aus angesehen werden. Entweder hält man diese Naturerscheinung für die Folge der immer sich erneuernden Anlagerung von Bil- dungsstoffen an die Fruchtanlage überhaupt, welche durch die eigene Kraft des Embryo zn neuen Organen umgewandelt werden, so dass durch diesen Hergang ein Zuwachs in allen drei körperlichen Dimensionen bedingt ist, in welchem Organ neben Organ, Ge- webe neben Gewebe zu liegen kommt. Oder man sieht die Fruchtanlage als in mehrere Blätter getheilt an, welche auf ver- schiedene Weise nach bestimmten Gesetzen sich falten, an Masse und Ausbildung zunehmen und so die einzelnen Körpertheile dar- stellen. Diese letztere Betrachtungsweise ist ein Product der neuesten Zeit und zuerst von Döllinger und dessen Schüler Pan- der angeregt, von K. E. von Bär, H. Rathke und K. F. Burdach aber zu einer Höhe der Ausbildung gebracht worden, welche in Con- sequenz der Durchführung gewiss Nichts zn wünschen übrig lässt. Doch ist auch die Ansicht dieser Männer leider hier und da missverstanden, schief aufgefasst und daher falsch beurtheilt wor- den. Bekanntlich trennen sie die Fruchtanlage der Wirbelthiere (denn bei den Wirbellosen stösst man auf manche nicht unbedeu- tende Schwierigkeiten, die sich jedoch zum Theil, wie wir an einem anderen Orte zeigen werden, lösen lassen,) in drei Blätter. Nach oben und aussen liegt das sogenannte seröse, nach unten und innen das Schleimblatt. Zwischen beiden bildet sich im Laufe der Entwickelung das Gefässblatt aus. Wahr ist es, dass, wenn wir hier als Beweis der Gültigkeit der Annahmen die Möglichkeit, diese Schichten getrennt durch das Messer darzu- stellen, postuliren, diese fehlt. Allein wenn diese auch mangelt, so wird jeder vorurtheilsfreie Beobachter doch bald einsehen, dass diese mehr idealen Abtheilungen der Natur entsprechen, dass, wenn sie auch in die Beobachtung hineingelegt, sie doch keinesweges gegen die Beobachtung sind, vielmehr eine Klarheit der Uebersicht und der Darstellung zulassen, wie sie ohne ein solches Hilfsmittel auf keine Weise zu geben ist. Auch haben
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Embryo und Nahrung.
schon oben bei Gelegenheit des Keimbläschens gezeigt wurde, daſs die genaueste Untersuchung nur Analogieen, nie Ausnahmen nachweist.
Die Entwickelung des Embryo, d. h. die normale Ausbil- dung der Fruchtanlage, kann, wenn man sich nur an das sinnlich Wahrnehmbare und Erkennbare hält, von zwei Gesichtspunkten aus angesehen werden. Entweder hält man diese Naturerscheinung für die Folge der immer sich erneuernden Anlagerung von Bil- dungsstoffen an die Fruchtanlage überhaupt, welche durch die eigene Kraft des Embryo zn neuen Organen umgewandelt werden, so daſs durch diesen Hergang ein Zuwachs in allen drei körperlichen Dimensionen bedingt ist, in welchem Organ neben Organ, Ge- webe neben Gewebe zu liegen kommt. Oder man sieht die Fruchtanlage als in mehrere Blätter getheilt an, welche auf ver- schiedene Weise nach bestimmten Gesetzen sich falten, an Masse und Ausbildung zunehmen und so die einzelnen Körpertheile dar- stellen. Diese letztere Betrachtungsweise ist ein Product der neuesten Zeit und zuerst von Döllinger und dessen Schüler Pan- der angeregt, von K. E. von Bär, H. Rathke und K. F. Burdach aber zu einer Höhe der Ausbildung gebracht worden, welche in Con- sequenz der Durchführung gewiſs Nichts zn wünschen übrig läſst. Doch ist auch die Ansicht dieser Männer leider hier und da miſsverstanden, schief aufgefaſst und daher falsch beurtheilt wor- den. Bekanntlich trennen sie die Fruchtanlage der Wirbelthiere (denn bei den Wirbellosen stöſst man auf manche nicht unbedeu- tende Schwierigkeiten, die sich jedoch zum Theil, wie wir an einem anderen Orte zeigen werden, lösen lassen,) in drei Blätter. Nach oben und auſsen liegt das sogenannte seröse, nach unten und innen das Schleimblatt. Zwischen beiden bildet sich im Laufe der Entwickelung das Gefäſsblatt aus. Wahr ist es, daſs, wenn wir hier als Beweis der Gültigkeit der Annahmen die Möglichkeit, diese Schichten getrennt durch das Messer darzu- stellen, postuliren, diese fehlt. Allein wenn diese auch mangelt, so wird jeder vorurtheilsfreie Beobachter doch bald einsehen, daſs diese mehr idealen Abtheilungen der Natur entsprechen, daſs, wenn sie auch in die Beobachtung hineingelegt, sie doch keinesweges gegen die Beobachtung sind, vielmehr eine Klarheit der Uebersicht und der Darstellung zulassen, wie sie ohne ein solches Hilfsmittel auf keine Weise zu geben ist. Auch haben
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Embryo und Nahrung.
schon oben bei Gelegenheit des Keimbläschens gezeigt wurde,
daſs die genaueste Untersuchung nur Analogieen, nie Ausnahmen
nachweist.
Die Entwickelung des Embryo, d. h. die normale Ausbil-
dung der Fruchtanlage, kann, wenn man sich nur an das sinnlich
Wahrnehmbare und Erkennbare hält, von zwei Gesichtspunkten aus
angesehen werden. Entweder hält man diese Naturerscheinung
für die Folge der immer sich erneuernden Anlagerung von Bil-
dungsstoffen an die Fruchtanlage überhaupt, welche durch die eigene
Kraft des Embryo zn neuen Organen umgewandelt werden, so
daſs durch diesen Hergang ein Zuwachs in allen drei körperlichen
Dimensionen bedingt ist, in welchem Organ neben Organ, Ge-
webe neben Gewebe zu liegen kommt. Oder man sieht die
Fruchtanlage als in mehrere Blätter getheilt an, welche auf ver-
schiedene Weise nach bestimmten Gesetzen sich falten, an Masse
und Ausbildung zunehmen und so die einzelnen Körpertheile dar-
stellen. Diese letztere Betrachtungsweise ist ein Product der
neuesten Zeit und zuerst von Döllinger und dessen Schüler Pan-
der angeregt, von K. E. von Bär, H. Rathke und K. F. Burdach aber
zu einer Höhe der Ausbildung gebracht worden, welche in Con-
sequenz der Durchführung gewiſs Nichts zn wünschen übrig läſst.
Doch ist auch die Ansicht dieser Männer leider hier und da
miſsverstanden, schief aufgefaſst und daher falsch beurtheilt wor-
den. Bekanntlich trennen sie die Fruchtanlage der Wirbelthiere
(denn bei den Wirbellosen stöſst man auf manche nicht unbedeu-
tende Schwierigkeiten, die sich jedoch zum Theil, wie wir an
einem anderen Orte zeigen werden, lösen lassen,) in drei Blätter.
Nach oben und auſsen liegt das sogenannte seröse, nach unten
und innen das Schleimblatt. Zwischen beiden bildet sich im
Laufe der Entwickelung das Gefäſsblatt aus. Wahr ist es, daſs,
wenn wir hier als Beweis der Gültigkeit der Annahmen die
Möglichkeit, diese Schichten getrennt durch das Messer darzu-
stellen, postuliren, diese fehlt. Allein wenn diese auch mangelt,
so wird jeder vorurtheilsfreie Beobachter doch bald einsehen,
daſs diese mehr idealen Abtheilungen der Natur entsprechen,
daſs, wenn sie auch in die Beobachtung hineingelegt, sie doch
keinesweges gegen die Beobachtung sind, vielmehr eine Klarheit
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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/173>, abgerufen am 24.11.2024.
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