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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.

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Erste Momente der Bildung des neuen Individuums.
unmittelbar mit den Spinalplatten zusammenhängt, sondern durch
eine helle, vollkommen durchsichtige und körnerlose Flüssigkeit
von ihnen getrennt ist. Von Bär glaubt in der Rückensaite ein
Analogon der in manchen Knorpelfischen vorkommenden einfachen
und gleichmässigen Knorpelsäule finden zu müssen und sieht sie
daher als Rudiment der Wirbelsäule zum Theil an. Ob mit
Recht oder nicht, lassen wir dahin gestellt. Doch können wir
wohl dann fragen, welche Bedeutung hat die die Rückensaite
umgebende durchsichtige, glashelle und feste Hülle, die sich bei
Fischen nach unseren Beobachtungen in die Wirbelsäule umwan-
delt? Wenn auch das äussere Ansehen der Rückensaite offenbar
eine gewisse Aehnlichkeit mit einem Knorpel darbietet, so spricht
doch die microscopische Untersuchung ihrer Structur entschieden
dagegen. Ueberall wo sie vorkommt besteht sie aus einer äusse-
ren gleichmässigen, völlig durchsichtigen Hülle und mehr oder
minder grossen Kugeln, die immer sehr zahlreich und dicht an
einander liegen. In den von ihnen gelassenen Zwischenräumen
befindet sich eine gallertige, vollkommen durchsichtige Masse.
Am grössten sind diese Kugeln bei Fischen und Amphibien, noch
kleiner bei Vögeln und kleiner bei Säugethieren. -- Die über der
Rückensaite befindliche Flüssigkeit ist aber mit Recht als Urru-
diment des Centralnervensystemes anzusehen. Die Rückensaite
verdickt sich bald knopfförmig und bildet nach Bär so die erste
Grundlage des Schädels (über Entwickelungsgeschichte S. 16.).
Die zwischen den Rückenplatten enthaltene Flüssigkeit vermehrt
sich in gleichem Maasse und so wird immer correspondirend Cen-
tralnervensystem und Hülle zugleich angelegt und vergrössert.
Hirn- und Rückenmark sondern sich sehr früh und gleichzeitig
mit Schädel und Wirbelsäule, und diese ganze Trennung steht mit
der ersten Krümmung des Embryo, der Biegung der Rückenplat-
ten in inniger Verbindung. -- Diese erste Periode der Entwicke-
lung ist aber nicht bloss bei Vögeln, sondern auch in den übri-
gen Abtheilungen der Wirbelthiere mit Ausnahme des Menschen
beobachtet worden. Rathke hat sie bei Fischen wahrgenommen,
doch konnte er die Spinalplatten nicht mit Deutlichkeit unter-
scheiden. Eben so wenig Bestimmtes findet sich hierüber in den
Untersuchungen von Carus (Erläuterungstafeln zur vergl. Anat.
1831. Heft 3. tab. IV.) über Cyprinus Dobula und von Prevost
und Dumas (Frorieps Notizen 1831. No. 631. S. 225--232.) über

Erste Momente der Bildung des neuen Individuums.
unmittelbar mit den Spinalplatten zusammenhängt, sondern durch
eine helle, vollkommen durchsichtige und körnerlose Flüssigkeit
von ihnen getrennt ist. Von Bär glaubt in der Rückensaite ein
Analogon der in manchen Knorpelfischen vorkommenden einfachen
und gleichmäſsigen Knorpelsäule finden zu müssen und sieht sie
daher als Rudiment der Wirbelsäule zum Theil an. Ob mit
Recht oder nicht, lassen wir dahin gestellt. Doch können wir
wohl dann fragen, welche Bedeutung hat die die Rückensaite
umgebende durchsichtige, glashelle und feste Hülle, die sich bei
Fischen nach unseren Beobachtungen in die Wirbelsäule umwan-
delt? Wenn auch das äuſsere Ansehen der Rückensaite offenbar
eine gewisse Aehnlichkeit mit einem Knorpel darbietet, so spricht
doch die microscopische Untersuchung ihrer Structur entschieden
dagegen. Ueberall wo sie vorkommt besteht sie aus einer äuſse-
ren gleichmäſsigen, völlig durchsichtigen Hülle und mehr oder
minder groſsen Kugeln, die immer sehr zahlreich und dicht an
einander liegen. In den von ihnen gelassenen Zwischenräumen
befindet sich eine gallertige, vollkommen durchsichtige Masse.
Am gröſsten sind diese Kugeln bei Fischen und Amphibien, noch
kleiner bei Vögeln und kleiner bei Säugethieren. — Die über der
Rückensaite befindliche Flüssigkeit ist aber mit Recht als Urru-
diment des Centralnervensystemes anzusehen. Die Rückensaite
verdickt sich bald knopfförmig und bildet nach Bär so die erste
Grundlage des Schädels (über Entwickelungsgeschichte S. 16.).
Die zwischen den Rückenplatten enthaltene Flüssigkeit vermehrt
sich in gleichem Maaſse und so wird immer correspondirend Cen-
tralnervensystem und Hülle zugleich angelegt und vergröſsert.
Hirn- und Rückenmark sondern sich sehr früh und gleichzeitig
mit Schädel und Wirbelsäule, und diese ganze Trennung steht mit
der ersten Krümmung des Embryo, der Biegung der Rückenplat-
ten in inniger Verbindung. — Diese erste Periode der Entwicke-
lung ist aber nicht bloſs bei Vögeln, sondern auch in den übri-
gen Abtheilungen der Wirbelthiere mit Ausnahme des Menschen
beobachtet worden. Rathke hat sie bei Fischen wahrgenommen,
doch konnte er die Spinalplatten nicht mit Deutlichkeit unter-
scheiden. Eben so wenig Bestimmtes findet sich hierüber in den
Untersuchungen von Carus (Erläuterungstafeln zur vergl. Anat.
1831. Heft 3. tab. IV.) über Cyprinus Dobula und von Prevost
und Dumas (Frorieps Notizen 1831. No. 631. S. 225—232.) über

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[157/0185] Erste Momente der Bildung des neuen Individuums. unmittelbar mit den Spinalplatten zusammenhängt, sondern durch eine helle, vollkommen durchsichtige und körnerlose Flüssigkeit von ihnen getrennt ist. Von Bär glaubt in der Rückensaite ein Analogon der in manchen Knorpelfischen vorkommenden einfachen und gleichmäſsigen Knorpelsäule finden zu müssen und sieht sie daher als Rudiment der Wirbelsäule zum Theil an. Ob mit Recht oder nicht, lassen wir dahin gestellt. Doch können wir wohl dann fragen, welche Bedeutung hat die die Rückensaite umgebende durchsichtige, glashelle und feste Hülle, die sich bei Fischen nach unseren Beobachtungen in die Wirbelsäule umwan- delt? Wenn auch das äuſsere Ansehen der Rückensaite offenbar eine gewisse Aehnlichkeit mit einem Knorpel darbietet, so spricht doch die microscopische Untersuchung ihrer Structur entschieden dagegen. Ueberall wo sie vorkommt besteht sie aus einer äuſse- ren gleichmäſsigen, völlig durchsichtigen Hülle und mehr oder minder groſsen Kugeln, die immer sehr zahlreich und dicht an einander liegen. In den von ihnen gelassenen Zwischenräumen befindet sich eine gallertige, vollkommen durchsichtige Masse. Am gröſsten sind diese Kugeln bei Fischen und Amphibien, noch kleiner bei Vögeln und kleiner bei Säugethieren. — Die über der Rückensaite befindliche Flüssigkeit ist aber mit Recht als Urru- diment des Centralnervensystemes anzusehen. Die Rückensaite verdickt sich bald knopfförmig und bildet nach Bär so die erste Grundlage des Schädels (über Entwickelungsgeschichte S. 16.). Die zwischen den Rückenplatten enthaltene Flüssigkeit vermehrt sich in gleichem Maaſse und so wird immer correspondirend Cen- tralnervensystem und Hülle zugleich angelegt und vergröſsert. Hirn- und Rückenmark sondern sich sehr früh und gleichzeitig mit Schädel und Wirbelsäule, und diese ganze Trennung steht mit der ersten Krümmung des Embryo, der Biegung der Rückenplat- ten in inniger Verbindung. — Diese erste Periode der Entwicke- lung ist aber nicht bloſs bei Vögeln, sondern auch in den übri- gen Abtheilungen der Wirbelthiere mit Ausnahme des Menschen beobachtet worden. Rathke hat sie bei Fischen wahrgenommen, doch konnte er die Spinalplatten nicht mit Deutlichkeit unter- scheiden. Eben so wenig Bestimmtes findet sich hierüber in den Untersuchungen von Carus (Erläuterungstafeln zur vergl. Anat. 1831. Heft 3. tab. IV.) über Cyprinus Dobula und von Prevost und Dumas (Frorieps Notizen 1831. No. 631. S. 225—232.) über

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Zitationshilfe: Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/185>, abgerufen am 18.05.2024.