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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.

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Höhere Sinne. Auge.
die Conformation der cornea und sclerotica bestimmt, sobald
nur überhaupt Augapfel und Orbita deutlich von einander ge-
schieden sind. Das Auge liegt nämlich in frühester Zeit mit sei-
ner grössern vorderen Fläche frei, ohne daselbst von Augenlidern
bedeckt oder einer Augenhöhle eingeschlossen zu seyn. Unter-
sucht man daher das Auge eines sechs- bis achtwöchentlichen
menschlichen Embryo, so erhebt es sich und mit sich wahrschein-
lich eine feine Oberhautschicht über die Oberfläche des übrigen
Kopfes, indem es von einem dunkeln in frühester Zeit nach unten
mit einer Spalte versehenen, späterhin dagegen völlig geschlosse-
nen schwarzen Kreise (dem Vorderrande der Chorioidea) und ei-
nem kugligen, etwas hervorragenden, hellen Körper (dem grössten
Theile der Vorderfläche der Linse) gebildet wird. Im Laufe we-
niger Wochen (im Normale noch vor der eilften), haben die
Augen sich durch die in diese Zeit fallende rasche Ausbildung des
Gesichtes scheinbar mehr in die Orbita zurückgezogen. Genau
genommen muss man aber sagen, die Orbita sei über einen Theil
der Augen hervorgewachsen. In dieser Zeit sondert sich das in
der Augenhöhle enthaltene Bildungsgewebe in Muskeln u. Schleim-
gewebe, während jede Spur von Fett anfangs fehlt. Irre ich
mich nicht, was jedoch bei so schwierigen Untersuchungen leicht
möglich ist, so entstehen bei dem Menschen die geraden Augen-
muskeln früher, als die schiefen.

Die erste Form des Augapfels ist kugelähnlich, jedoch so,
dass der Längendurchmesser in der sechsten bis siebenten Woche
nur wenig mehr, als die Hälfte des Querdurchmessers ausmacht.
Aus der frühesten Entwickelungsgeschichte des Auges erhellt es
aber, dass der Sehnerve keinesweges genau in die Achse des Bul-
bus
sich einsenkt, sondern immer mehr nach innen, je jünger der
Embryo ist. Hierdurch wird die grössere hintere Abtheilung des
Augapfels, die Skleroticalpartie, in zwei ungleiche Hälften, eine
innere und eine äussere, getheilt, die während des ganzen Fö-
tallebens dem Aeussern nach von einander differiren. Es vergrö-
ssert sich nämlich bald die Längenachse des Bulbus, so dass in
der eilften Woche derselbe eine fast sphärische Form angenom-
men hat. Vom dritten Monate an richtet sich wegen der bald
zu nennenden Skleroticalprotuberanz die imaginäre Längenachse
des Auges schief von innen nach aussen, und so übertrifft sie
bald die Querachse des Bulbus, bis diese Differenz im achten

Höhere Sinne. Auge.
die Conformation der cornea und sclerotica bestimmt, sobald
nur überhaupt Augapfel und Orbita deutlich von einander ge-
schieden sind. Das Auge liegt nämlich in frühester Zeit mit sei-
ner gröſsern vorderen Fläche frei, ohne daselbst von Augenlidern
bedeckt oder einer Augenhöhle eingeschlossen zu seyn. Unter-
sucht man daher das Auge eines sechs- bis achtwöchentlichen
menschlichen Embryo, so erhebt es sich und mit sich wahrschein-
lich eine feine Oberhautschicht über die Oberfläche des übrigen
Kopfes, indem es von einem dunkeln in frühester Zeit nach unten
mit einer Spalte versehenen, späterhin dagegen völlig geschlosse-
nen schwarzen Kreise (dem Vorderrande der Chorioidea) und ei-
nem kugligen, etwas hervorragenden, hellen Körper (dem gröſsten
Theile der Vorderfläche der Linse) gebildet wird. Im Laufe we-
niger Wochen (im Normale noch vor der eilften), haben die
Augen sich durch die in diese Zeit fallende rasche Ausbildung des
Gesichtes scheinbar mehr in die Orbita zurückgezogen. Genau
genommen muſs man aber sagen, die Orbita sei über einen Theil
der Augen hervorgewachsen. In dieser Zeit sondert sich das in
der Augenhöhle enthaltene Bildungsgewebe in Muskeln u. Schleim-
gewebe, während jede Spur von Fett anfangs fehlt. Irre ich
mich nicht, was jedoch bei so schwierigen Untersuchungen leicht
möglich ist, so entstehen bei dem Menschen die geraden Augen-
muskeln früher, als die schiefen.

Die erste Form des Augapfels ist kugelähnlich, jedoch so,
daſs der Längendurchmesser in der sechsten bis siebenten Woche
nur wenig mehr, als die Hälfte des Querdurchmessers ausmacht.
Aus der frühesten Entwickelungsgeschichte des Auges erhellt es
aber, daſs der Sehnerve keinesweges genau in die Achse des Bul-
bus
sich einsenkt, sondern immer mehr nach innen, je jünger der
Embryo ist. Hierdurch wird die gröſsere hintere Abtheilung des
Augapfels, die Skleroticalpartie, in zwei ungleiche Hälften, eine
innere und eine äuſsere, getheilt, die während des ganzen Fö-
tallebens dem Aeuſsern nach von einander differiren. Es vergrö-
ſsert sich nämlich bald die Längenachse des Bulbus, so daſs in
der eilften Woche derselbe eine fast sphärische Form angenom-
men hat. Vom dritten Monate an richtet sich wegen der bald
zu nennenden Skleroticalprotuberanz die imaginäre Längenachse
des Auges schief von innen nach auſsen, und so übertrifft sie
bald die Querachse des Bulbus, bis diese Differenz im achten

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[189/0217] Höhere Sinne. Auge. die Conformation der cornea und sclerotica bestimmt, sobald nur überhaupt Augapfel und Orbita deutlich von einander ge- schieden sind. Das Auge liegt nämlich in frühester Zeit mit sei- ner gröſsern vorderen Fläche frei, ohne daselbst von Augenlidern bedeckt oder einer Augenhöhle eingeschlossen zu seyn. Unter- sucht man daher das Auge eines sechs- bis achtwöchentlichen menschlichen Embryo, so erhebt es sich und mit sich wahrschein- lich eine feine Oberhautschicht über die Oberfläche des übrigen Kopfes, indem es von einem dunkeln in frühester Zeit nach unten mit einer Spalte versehenen, späterhin dagegen völlig geschlosse- nen schwarzen Kreise (dem Vorderrande der Chorioidea) und ei- nem kugligen, etwas hervorragenden, hellen Körper (dem gröſsten Theile der Vorderfläche der Linse) gebildet wird. Im Laufe we- niger Wochen (im Normale noch vor der eilften), haben die Augen sich durch die in diese Zeit fallende rasche Ausbildung des Gesichtes scheinbar mehr in die Orbita zurückgezogen. Genau genommen muſs man aber sagen, die Orbita sei über einen Theil der Augen hervorgewachsen. In dieser Zeit sondert sich das in der Augenhöhle enthaltene Bildungsgewebe in Muskeln u. Schleim- gewebe, während jede Spur von Fett anfangs fehlt. Irre ich mich nicht, was jedoch bei so schwierigen Untersuchungen leicht möglich ist, so entstehen bei dem Menschen die geraden Augen- muskeln früher, als die schiefen. Die erste Form des Augapfels ist kugelähnlich, jedoch so, daſs der Längendurchmesser in der sechsten bis siebenten Woche nur wenig mehr, als die Hälfte des Querdurchmessers ausmacht. Aus der frühesten Entwickelungsgeschichte des Auges erhellt es aber, daſs der Sehnerve keinesweges genau in die Achse des Bul- bus sich einsenkt, sondern immer mehr nach innen, je jünger der Embryo ist. Hierdurch wird die gröſsere hintere Abtheilung des Augapfels, die Skleroticalpartie, in zwei ungleiche Hälften, eine innere und eine äuſsere, getheilt, die während des ganzen Fö- tallebens dem Aeuſsern nach von einander differiren. Es vergrö- ſsert sich nämlich bald die Längenachse des Bulbus, so daſs in der eilften Woche derselbe eine fast sphärische Form angenom- men hat. Vom dritten Monate an richtet sich wegen der bald zu nennenden Skleroticalprotuberanz die imaginäre Längenachse des Auges schief von innen nach auſsen, und so übertrifft sie bald die Querachse des Bulbus, bis diese Differenz im achten

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Zitationshilfe: Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/217>, abgerufen am 24.11.2024.