Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.Von dem Embryo. gemeines bezeichnende Rede. Es gehört wahrlich auch für den sin-nigen und geübten Naturforscher nicht zuviel dazu, jeden einzelnen Theil eines bestimmten Thieres, z. B. des Menschen, unter dem Mi- kroscope an seiner Structur zu erkennen. Wir haben dieses selbst an uns mannigfaltig erfahren; wir haben dieses an Freunden ge- sehen, welche sich nicht sowohl selbst mit feinen Injectionen der Blutgefässe abgaben, als diese nur häufig zu sehen Gelegenheit hatten und nach einiger Uebung mit Sicherheit nach dem Cha- rakter der Netze anzugeben wussten, aus welchen Theilen diese entnommen waren. Von den Knochenfasern und Knochenkanäl- chen haben wir in dieser Beziehung schon oben gesprochen; von der eigenthümlichen Conformation eines jeden Gewebetheiles ist besonders in der neueren Zeit so vieles geredet (und mehr noch leider gefabelt) worden, dass wir es für unnöthig halten, selbst noch einige Worte hinzuzufügen. Und so möge unser langer Ab- schnitt mit dem einfachsten, aber auch wahrsten Satze schliessen: Die objective Natur ist in ihrer Mannigfaltigkeit der positivste Gegensatz aller Allgemeinheit; sie ist die bis in ihre allerklein- sten Theile fortgesetzte bestimmteste Individualität. Sie ist frei- lich kein Aggregat, sondern das höchste System von unendlich vielen Einzelnheiten, deren Zusammenhang wir ahnen, wir hier und da fragmentweise zu erkennen vermögen, den aber der menschliche Geist noch nie vollständig enträthselt hat und nie enträthseln wird, den er freilich oft genug erkannt zu haben ge- glaubt und noch glaubt; welcher Wahn sich aber um so bitterer an ihm rächt, je tiefer er in denselben gerathen und je hochmü- thiger er ihn ausgesprochen und vertheidigt. Denn auf ihm zu beharren, ist die höchste Verirrung des schwachen menschlichen Geistes, der am Weitesten getriebene Egoismus, dessen durchaus Entgegengesetztes die Wahrheit, die Erkenntniss, die Weisheit genannt werden muss. Anhang. Lymphsystem und lymphatische Drüsen. Wenn die Kenntniss des ausgebildeten Lymphsystemes der Von dem Embryo. gemeines bezeichnende Rede. Es gehört wahrlich auch für den sin-nigen und geübten Naturforscher nicht zuviel dazu, jeden einzelnen Theil eines bestimmten Thieres, z. B. des Menschen, unter dem Mi- kroscope an seiner Structur zu erkennen. Wir haben dieses selbst an uns mannigfaltig erfahren; wir haben dieses an Freunden ge- sehen, welche sich nicht sowohl selbst mit feinen Injectionen der Blutgefäſse abgaben, als diese nur häufig zu sehen Gelegenheit hatten und nach einiger Uebung mit Sicherheit nach dem Cha- rakter der Netze anzugeben wuſsten, aus welchen Theilen diese entnommen waren. Von den Knochenfasern und Knochenkanäl- chen haben wir in dieser Beziehung schon oben gesprochen; von der eigenthümlichen Conformation eines jeden Gewebetheiles ist besonders in der neueren Zeit so vieles geredet (und mehr noch leider gefabelt) worden, daſs wir es für unnöthig halten, selbst noch einige Worte hinzuzufügen. Und so möge unser langer Ab- schnitt mit dem einfachsten, aber auch wahrsten Satze schlieſsen: Die objective Natur ist in ihrer Mannigfaltigkeit der positivste Gegensatz aller Allgemeinheit; sie ist die bis in ihre allerklein- sten Theile fortgesetzte bestimmteste Individualität. Sie ist frei- lich kein Aggregat, sondern das höchste System von unendlich vielen Einzelnheiten, deren Zusammenhang wir ahnen, wir hier und da fragmentweise zu erkennen vermögen, den aber der menschliche Geist noch nie vollständig enträthselt hat und nie enträthseln wird, den er freilich oft genug erkannt zu haben ge- glaubt und noch glaubt; welcher Wahn sich aber um so bitterer an ihm rächt, je tiefer er in denselben gerathen und je hochmü- thiger er ihn ausgesprochen und vertheidigt. Denn auf ihm zu beharren, ist die höchste Verirrung des schwachen menschlichen Geistes, der am Weitesten getriebene Egoismus, dessen durchaus Entgegengesetztes die Wahrheit, die Erkenntniſs, die Weisheit genannt werden muſs. Anhang. Lymphsystem und lymphatische Drüsen. Wenn die Kenntniſs des ausgebildeten Lymphsystemes der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0574" n="546"/><fw place="top" type="header">Von dem Embryo.</fw><lb/> gemeines bezeichnende Rede. Es gehört wahrlich auch für den sin-<lb/> nigen und geübten Naturforscher nicht zuviel dazu, jeden einzelnen<lb/> Theil eines bestimmten Thieres, z. B. des Menschen, unter dem Mi-<lb/> kroscope an seiner Structur zu erkennen. Wir haben dieses selbst<lb/> an uns mannigfaltig erfahren; wir haben dieses an Freunden ge-<lb/> sehen, welche sich nicht sowohl selbst mit feinen Injectionen der<lb/> Blutgefäſse abgaben, als diese nur häufig zu sehen Gelegenheit<lb/> hatten und nach einiger Uebung mit Sicherheit nach dem Cha-<lb/> rakter der Netze anzugeben wuſsten, aus welchen Theilen diese<lb/> entnommen waren. Von den Knochenfasern und Knochenkanäl-<lb/> chen haben wir in dieser Beziehung schon oben gesprochen; von<lb/> der eigenthümlichen Conformation eines jeden Gewebetheiles ist<lb/> besonders in der neueren Zeit so vieles geredet (und mehr noch<lb/> leider gefabelt) worden, daſs wir es für unnöthig halten, selbst<lb/> noch einige Worte hinzuzufügen. Und so möge unser langer Ab-<lb/> schnitt mit dem einfachsten, aber auch wahrsten Satze schlieſsen:<lb/> Die objective Natur ist in ihrer Mannigfaltigkeit der positivste<lb/> Gegensatz aller Allgemeinheit; sie ist die bis in ihre allerklein-<lb/> sten Theile fortgesetzte bestimmteste Individualität. Sie ist frei-<lb/> lich kein Aggregat, sondern das höchste System von unendlich<lb/> vielen Einzelnheiten, deren Zusammenhang wir ahnen, wir hier<lb/> und da fragmentweise zu erkennen vermögen, den aber der<lb/> menschliche Geist noch nie vollständig enträthselt hat und nie<lb/> enträthseln wird, den er freilich oft genug erkannt zu haben ge-<lb/> glaubt und noch glaubt; welcher Wahn sich aber um so bitterer<lb/> an ihm rächt, je tiefer er in denselben gerathen und je hochmü-<lb/> thiger er ihn ausgesprochen und vertheidigt. Denn auf ihm zu<lb/> beharren, ist die höchste Verirrung des schwachen menschlichen<lb/> Geistes, der am Weitesten getriebene Egoismus, dessen durchaus<lb/> Entgegengesetztes die Wahrheit, die Erkenntniſs, die Weisheit<lb/> genannt werden muſs.</p> </div><lb/> <div n="5"> <head><hi rendition="#g">Anhang. Lymphsystem und lymphatische Drüsen</hi>.</head><lb/> <p>Wenn die Kenntniſs des ausgebildeten Lymphsystemes der<lb/> Thiere im Ganzen genommen Vieles noch zu wünschen übrig<lb/> läſst, da das im Ganzen sparsame Bekannte noch eine bedeutende<lb/> Zahl von Irrthümern und Unrichtigkeiten enthält, so sind wir<lb/> über die Genese dieser merkwürdigen Theile noch völlig im Dun-<lb/> keln. Wollte man, wie es so oft geschehen, die Unebenheiten<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [546/0574]
Von dem Embryo.
gemeines bezeichnende Rede. Es gehört wahrlich auch für den sin-
nigen und geübten Naturforscher nicht zuviel dazu, jeden einzelnen
Theil eines bestimmten Thieres, z. B. des Menschen, unter dem Mi-
kroscope an seiner Structur zu erkennen. Wir haben dieses selbst
an uns mannigfaltig erfahren; wir haben dieses an Freunden ge-
sehen, welche sich nicht sowohl selbst mit feinen Injectionen der
Blutgefäſse abgaben, als diese nur häufig zu sehen Gelegenheit
hatten und nach einiger Uebung mit Sicherheit nach dem Cha-
rakter der Netze anzugeben wuſsten, aus welchen Theilen diese
entnommen waren. Von den Knochenfasern und Knochenkanäl-
chen haben wir in dieser Beziehung schon oben gesprochen; von
der eigenthümlichen Conformation eines jeden Gewebetheiles ist
besonders in der neueren Zeit so vieles geredet (und mehr noch
leider gefabelt) worden, daſs wir es für unnöthig halten, selbst
noch einige Worte hinzuzufügen. Und so möge unser langer Ab-
schnitt mit dem einfachsten, aber auch wahrsten Satze schlieſsen:
Die objective Natur ist in ihrer Mannigfaltigkeit der positivste
Gegensatz aller Allgemeinheit; sie ist die bis in ihre allerklein-
sten Theile fortgesetzte bestimmteste Individualität. Sie ist frei-
lich kein Aggregat, sondern das höchste System von unendlich
vielen Einzelnheiten, deren Zusammenhang wir ahnen, wir hier
und da fragmentweise zu erkennen vermögen, den aber der
menschliche Geist noch nie vollständig enträthselt hat und nie
enträthseln wird, den er freilich oft genug erkannt zu haben ge-
glaubt und noch glaubt; welcher Wahn sich aber um so bitterer
an ihm rächt, je tiefer er in denselben gerathen und je hochmü-
thiger er ihn ausgesprochen und vertheidigt. Denn auf ihm zu
beharren, ist die höchste Verirrung des schwachen menschlichen
Geistes, der am Weitesten getriebene Egoismus, dessen durchaus
Entgegengesetztes die Wahrheit, die Erkenntniſs, die Weisheit
genannt werden muſs.
Anhang. Lymphsystem und lymphatische Drüsen.
Wenn die Kenntniſs des ausgebildeten Lymphsystemes der
Thiere im Ganzen genommen Vieles noch zu wünschen übrig
läſst, da das im Ganzen sparsame Bekannte noch eine bedeutende
Zahl von Irrthümern und Unrichtigkeiten enthält, so sind wir
über die Genese dieser merkwürdigen Theile noch völlig im Dun-
keln. Wollte man, wie es so oft geschehen, die Unebenheiten
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |