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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.

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I. Gegensatz zwischen Idealismus und Realismus.
Durchdringung dieser beiden entgegengesetzten Elemente. Es war
eine Epoche der Gährung, die selbst zu keinem abgeschlossenen
Resultate kam, dieses aber dadurch vorbereitete, dass sie zu einer
neueren, höheren Richtung überführte, in welcher wir uns jetzt
befinden. Die Idee des Werdens, des nie Ruhenden in der Na-
tur, die Idee des unendlichen, immer sich erneuernden und eben
hierdurch das Leben constituirenden Processes trat aus den ihr
bisher angewiesenen Schranken innerhalb der blossen Theoreme
zu Anfange unseres Jahrhunderts mehr und allgemeiner in das
Leben, so dass, hatte man bisher nur die existirenden Objecte
der Aussenwelt vorzugsweise zu erforschen sich bemüht, man sich
mit der blossen Existenz zu irgend einer Periode oder in irgend
einem Verhältnisse nicht zufrieden stellte, sondern die nach Raum
und Zeit verschiedenartigen Daseynsformen zu Problemen der
Untersuchung machte. In der Philosophie hatte Fichte diese
Bahn durch seine Wissenschaftslehre begonnen und weniger
Schelling, als Hegel (als sein sogenanntes dialektisches Moment)
weiter fortgeführt. Auf dem Gebiete der Wissenschaften des
organischen Lebens wurden neue Richtungen mit Sorgfalt durch
diese Idee gepflegt und zu einer nicht geringen Höhe der Aus-
bildung gebracht. So ist die in neuerer Zeit erst wissenschaftlich
begründete Geographie der Pflanzen offenbar nichts anderes, als
die Darstellung der räumlichen Entwickelungsgeschichte der Ve-
getabilien und es ist nur zu bedauern, dass, während diese durch
Humboldt, Shouw, Wahlenberg, Agardh, Schübler u. A. einen
so hohen Grad von Ausbildung erlangt hat, die schon vor sechzig
Jahren durch Zimmermann begründete Geographie der Thiere
hinter ihrer wissenschaftlichen Schwester so weit noch zurück
ist. Was aber die Geschichte der thierischen Organisation an-
geht, so sind es zwei Disciplinen, welche auf dieser allgemeinen
Idee der Metamorphose des Processes fussen, nämlich die verglei-
chende Anatomie, als Evolutionsgeschichte der Thierwelt, und
die Geschichte der individuellen Entwickelung als Evolutionsge-
schichte des Thieres. Jene hat ihre wissenschaftliche Begründung
in dem letzten Jahrzehend des vergangenen Jahrhunderts durch
Cuvier erhalten und während fast die Gesammtzahl der Anatomen
und Physiologen an der Vervollständigung ihres materiellen In-
haltes eifrig arbeiteten, gewann sie zugleich ein mehr speculatives
Interesse durch die Idee der Bedeutung der Organe, d. h. durch

I. Gegensatz zwischen Idealismus und Realismus.
Durchdringung dieser beiden entgegengesetzten Elemente. Es war
eine Epoche der Gährung, die selbst zu keinem abgeschlossenen
Resultate kam, dieses aber dadurch vorbereitete, daſs sie zu einer
neueren, höheren Richtung überführte, in welcher wir uns jetzt
befinden. Die Idee des Werdens, des nie Ruhenden in der Na-
tur, die Idee des unendlichen, immer sich erneuernden und eben
hierdurch das Leben constituirenden Processes trat aus den ihr
bisher angewiesenen Schranken innerhalb der bloſsen Theoreme
zu Anfange unseres Jahrhunderts mehr und allgemeiner in das
Leben, so daſs, hatte man bisher nur die existirenden Objecte
der Auſsenwelt vorzugsweise zu erforschen sich bemüht, man sich
mit der bloſsen Existenz zu irgend einer Periode oder in irgend
einem Verhältnisse nicht zufrieden stellte, sondern die nach Raum
und Zeit verschiedenartigen Daseynsformen zu Problemen der
Untersuchung machte. In der Philosophie hatte Fichte diese
Bahn durch seine Wissenschaftslehre begonnen und weniger
Schelling, als Hegel (als sein sogenanntes dialektisches Moment)
weiter fortgeführt. Auf dem Gebiete der Wissenschaften des
organischen Lebens wurden neue Richtungen mit Sorgfalt durch
diese Idee gepflegt und zu einer nicht geringen Höhe der Aus-
bildung gebracht. So ist die in neuerer Zeit erst wissenschaftlich
begründete Geographie der Pflanzen offenbar nichts anderes, als
die Darstellung der räumlichen Entwickelungsgeschichte der Ve-
getabilien und es ist nur zu bedauern, daſs, während diese durch
Humboldt, Shouw, Wahlenberg, Agardh, Schübler u. A. einen
so hohen Grad von Ausbildung erlangt hat, die schon vor sechzig
Jahren durch Zimmermann begründete Geographie der Thiere
hinter ihrer wissenschaftlichen Schwester so weit noch zurück
ist. Was aber die Geschichte der thierischen Organisation an-
geht, so sind es zwei Disciplinen, welche auf dieser allgemeinen
Idee der Metamorphose des Processes fuſsen, nämlich die verglei-
chende Anatomie, als Evolutionsgeschichte der Thierwelt, und
die Geschichte der individuellen Entwickelung als Evolutionsge-
schichte des Thieres. Jene hat ihre wissenschaftliche Begründung
in dem letzten Jahrzehend des vergangenen Jahrhunderts durch
Cuvier erhalten und während fast die Gesammtzahl der Anatomen
und Physiologen an der Vervollständigung ihres materiellen In-
haltes eifrig arbeiteten, gewann sie zugleich ein mehr speculatives
Interesse durch die Idee der Bedeutung der Organe, d. h. durch

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[573/0601] I. Gegensatz zwischen Idealismus und Realismus. Durchdringung dieser beiden entgegengesetzten Elemente. Es war eine Epoche der Gährung, die selbst zu keinem abgeschlossenen Resultate kam, dieses aber dadurch vorbereitete, daſs sie zu einer neueren, höheren Richtung überführte, in welcher wir uns jetzt befinden. Die Idee des Werdens, des nie Ruhenden in der Na- tur, die Idee des unendlichen, immer sich erneuernden und eben hierdurch das Leben constituirenden Processes trat aus den ihr bisher angewiesenen Schranken innerhalb der bloſsen Theoreme zu Anfange unseres Jahrhunderts mehr und allgemeiner in das Leben, so daſs, hatte man bisher nur die existirenden Objecte der Auſsenwelt vorzugsweise zu erforschen sich bemüht, man sich mit der bloſsen Existenz zu irgend einer Periode oder in irgend einem Verhältnisse nicht zufrieden stellte, sondern die nach Raum und Zeit verschiedenartigen Daseynsformen zu Problemen der Untersuchung machte. In der Philosophie hatte Fichte diese Bahn durch seine Wissenschaftslehre begonnen und weniger Schelling, als Hegel (als sein sogenanntes dialektisches Moment) weiter fortgeführt. Auf dem Gebiete der Wissenschaften des organischen Lebens wurden neue Richtungen mit Sorgfalt durch diese Idee gepflegt und zu einer nicht geringen Höhe der Aus- bildung gebracht. So ist die in neuerer Zeit erst wissenschaftlich begründete Geographie der Pflanzen offenbar nichts anderes, als die Darstellung der räumlichen Entwickelungsgeschichte der Ve- getabilien und es ist nur zu bedauern, daſs, während diese durch Humboldt, Shouw, Wahlenberg, Agardh, Schübler u. A. einen so hohen Grad von Ausbildung erlangt hat, die schon vor sechzig Jahren durch Zimmermann begründete Geographie der Thiere hinter ihrer wissenschaftlichen Schwester so weit noch zurück ist. Was aber die Geschichte der thierischen Organisation an- geht, so sind es zwei Disciplinen, welche auf dieser allgemeinen Idee der Metamorphose des Processes fuſsen, nämlich die verglei- chende Anatomie, als Evolutionsgeschichte der Thierwelt, und die Geschichte der individuellen Entwickelung als Evolutionsge- schichte des Thieres. Jene hat ihre wissenschaftliche Begründung in dem letzten Jahrzehend des vergangenen Jahrhunderts durch Cuvier erhalten und während fast die Gesammtzahl der Anatomen und Physiologen an der Vervollständigung ihres materiellen In- haltes eifrig arbeiteten, gewann sie zugleich ein mehr speculatives Interesse durch die Idee der Bedeutung der Organe, d. h. durch

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Zitationshilfe: Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 573. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/601>, abgerufen am 22.11.2024.