Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

VI. Wirbellose und Wirbelthiere.
Carus von den äusseren Lebensbedingungen der weiss- und kalt-
blütigen Thiere. Leipz. 1824. 4. u. Nov. Act. N. C. Tom. XV.
-- Rathke in der Isis. 1825. -- K. E. v. Bär über Entwickelungs-
geschichte der Thiere. 1828. 4. S. 245. fgg. -- Burdach die Phy-
siologie als Erfahrungswissenschaft. Zweiter Theil. 1828. 8. S.
417. 603. u. a. v. a. O. -- E. H. Weber in Meck. Arch. 1828.
S. 366--418. u. 424--436. -- H. Rathke über die Bildung und
Entwickelung des Flusskrebses. 1829. fol. S. 78--80. -- Cuvier
in Ann. des sc. nat
. 1832. Mai p. 69.

Aus dem oben Dargestellten sowohl, als aus anderen consta-
tirten physiologischen Sätzen lassen sich folgende allgemeine De-
ductionen machen:

1. In jedem Thiere findet sich ein Gegensatz zwischen ve-
getativen und animalen Organen.

2. Die animalen Organe und Functionen zerfallen im Ganzen
in sensible und motorische.

3. Die vegetativen Organe gehören grösstentheils dem Schleim-
blatte, die animalen dem serösen Blatte an.

4. Die vegetativen Organe sind in den Embryonen aller
Wirbelthiere zu einer nach den einzelnen Klassen bestimmten
Zeit der Entwickelung mit dem Dotter in naher Verbindung. Bei
den Wirbellosen wird dieser integrirender Körpertheil; bei den
Wirbelthieren dagegen wie ein fremder Theil in den Körper aufge-
nommen oder entfernt sich im Laufe der Entwickelung immer
mehr von diesem, wie bei den Säugethieren.

5. Das Schleimblatt schnüret sich bei den Wirbelthieren von
dem Dotter ab, bleibt dagegen bei der grössten Zahl der Wir-
bellosen organisch mit ihm verbunden. Die Verdauungsorgane
der Wirbelthiere haben also ihrer individuellen Entwickelung
nach eine höhere Selbstständigkeit, als die der Wirbellosen.

6. Ein Fundamentalunterschied der Wirbellosen und Wirbel-
thiere scheint der zu seyn, dass bei den ersteren die motorischen
Organe und Functionen vorzüglich ausgebildet, die sensiblen da-
gegen mehr zurückgedrängt, zum Theil fast annulirt sind. In den
Wirbelthieren entwickelt sich das sensible Centralsystem zum
Hauptsysteme des Körpers und die motorischen Organe haben
eine mehr untergeordnete Wichtigkeit und Bedeutung. Diesem
gemäss lagert sich auch Hirn- und Rückenmark an die obere
Hälfte des serösen Blattes und ein Theil der motorischen Organe

39*

VI. Wirbellose und Wirbelthiere.
Carus von den äuſseren Lebensbedingungen der weiſs- und kalt-
blütigen Thiere. Leipz. 1824. 4. u. Nov. Act. N. C. Tom. XV.
— Rathke in der Isis. 1825. — K. E. v. Bär über Entwickelungs-
geschichte der Thiere. 1828. 4. S. 245. fgg. — Burdach die Phy-
siologie als Erfahrungswissenschaft. Zweiter Theil. 1828. 8. S.
417. 603. u. a. v. a. O. — E. H. Weber in Meck. Arch. 1828.
S. 366—418. u. 424—436. — H. Rathke über die Bildung und
Entwickelung des Fluſskrebses. 1829. fol. S. 78—80. — Cuvier
in Ann. des sc. nat
. 1832. Mai p. 69.

Aus dem oben Dargestellten sowohl, als aus anderen consta-
tirten physiologischen Sätzen lassen sich folgende allgemeine De-
ductionen machen:

1. In jedem Thiere findet sich ein Gegensatz zwischen ve-
getativen und animalen Organen.

2. Die animalen Organe und Functionen zerfallen im Ganzen
in sensible und motorische.

3. Die vegetativen Organe gehören gröſstentheils dem Schleim-
blatte, die animalen dem serösen Blatte an.

4. Die vegetativen Organe sind in den Embryonen aller
Wirbelthiere zu einer nach den einzelnen Klassen bestimmten
Zeit der Entwickelung mit dem Dotter in naher Verbindung. Bei
den Wirbellosen wird dieser integrirender Körpertheil; bei den
Wirbelthieren dagegen wie ein fremder Theil in den Körper aufge-
nommen oder entfernt sich im Laufe der Entwickelung immer
mehr von diesem, wie bei den Säugethieren.

5. Das Schleimblatt schnüret sich bei den Wirbelthieren von
dem Dotter ab, bleibt dagegen bei der gröſsten Zahl der Wir-
bellosen organisch mit ihm verbunden. Die Verdauungsorgane
der Wirbelthiere haben also ihrer individuellen Entwickelung
nach eine höhere Selbstständigkeit, als die der Wirbellosen.

6. Ein Fundamentalunterschied der Wirbellosen und Wirbel-
thiere scheint der zu seyn, daſs bei den ersteren die motorischen
Organe und Functionen vorzüglich ausgebildet, die sensiblen da-
gegen mehr zurückgedrängt, zum Theil fast annulirt sind. In den
Wirbelthieren entwickelt sich das sensible Centralsystem zum
Hauptsysteme des Körpers und die motorischen Organe haben
eine mehr untergeordnete Wichtigkeit und Bedeutung. Diesem
gemäſs lagert sich auch Hirn- und Rückenmark an die obere
Hälfte des serösen Blattes und ein Theil der motorischen Organe

39*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0639" n="611"/><fw place="top" type="header">VI. Wirbellose und Wirbelthiere.</fw><lb/>
Carus von den äu&#x017F;seren Lebensbedingungen der wei&#x017F;s- und kalt-<lb/>
blütigen Thiere. Leipz. 1824. 4. u. <hi rendition="#i">Nov. Act. N. C. Tom. XV</hi>.<lb/>
&#x2014; Rathke in der Isis. 1825. &#x2014; K. E. v. Bär über Entwickelungs-<lb/>
geschichte der Thiere. 1828. 4. S. 245. fgg. &#x2014; Burdach die Phy-<lb/>
siologie als Erfahrungswissenschaft. Zweiter Theil. 1828. 8. S.<lb/>
417. 603. u. a. v. a. O. &#x2014; E. H. Weber in Meck. Arch. 1828.<lb/>
S. 366&#x2014;418. u. 424&#x2014;436. &#x2014; H. Rathke über die Bildung und<lb/>
Entwickelung des Flu&#x017F;skrebses. 1829. fol. S. 78&#x2014;80. &#x2014; <hi rendition="#i">Cuvier<lb/>
in Ann. des sc. nat</hi>. 1832. <hi rendition="#i">Mai p</hi>. 69.</p><lb/>
          <p>Aus dem oben Dargestellten sowohl, als aus anderen consta-<lb/>
tirten physiologischen Sätzen lassen sich folgende allgemeine De-<lb/>
ductionen machen:</p><lb/>
          <p>1. In jedem Thiere findet sich ein Gegensatz zwischen ve-<lb/>
getativen und animalen Organen.</p><lb/>
          <p>2. Die animalen Organe und Functionen zerfallen im Ganzen<lb/>
in sensible und motorische.</p><lb/>
          <p>3. Die vegetativen Organe gehören grö&#x017F;stentheils dem Schleim-<lb/>
blatte, die animalen dem serösen Blatte an.</p><lb/>
          <p>4. Die vegetativen Organe sind in den Embryonen aller<lb/>
Wirbelthiere zu einer nach den einzelnen Klassen bestimmten<lb/>
Zeit der Entwickelung mit dem Dotter in naher Verbindung. Bei<lb/>
den Wirbellosen wird dieser integrirender Körpertheil; bei den<lb/>
Wirbelthieren dagegen wie ein fremder Theil in den Körper aufge-<lb/>
nommen oder entfernt sich im Laufe der Entwickelung immer<lb/>
mehr von diesem, wie bei den Säugethieren.</p><lb/>
          <p>5. Das Schleimblatt schnüret sich bei den Wirbelthieren von<lb/>
dem Dotter ab, bleibt dagegen bei der grö&#x017F;sten Zahl der Wir-<lb/>
bellosen organisch mit ihm verbunden. Die Verdauungsorgane<lb/>
der Wirbelthiere haben also ihrer individuellen Entwickelung<lb/>
nach eine höhere Selbstständigkeit, als die der Wirbellosen.</p><lb/>
          <p>6. Ein Fundamentalunterschied der Wirbellosen und Wirbel-<lb/>
thiere scheint der zu seyn, da&#x017F;s bei den ersteren die motorischen<lb/>
Organe und Functionen vorzüglich ausgebildet, die sensiblen da-<lb/>
gegen mehr zurückgedrängt, zum Theil fast annulirt sind. In den<lb/>
Wirbelthieren entwickelt sich das sensible Centralsystem zum<lb/>
Hauptsysteme des Körpers und die motorischen Organe haben<lb/>
eine mehr untergeordnete Wichtigkeit und Bedeutung. Diesem<lb/>
gemä&#x017F;s lagert sich auch Hirn- und Rückenmark an die obere<lb/>
Hälfte des serösen Blattes und ein Theil der motorischen Organe<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">39*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[611/0639] VI. Wirbellose und Wirbelthiere. Carus von den äuſseren Lebensbedingungen der weiſs- und kalt- blütigen Thiere. Leipz. 1824. 4. u. Nov. Act. N. C. Tom. XV. — Rathke in der Isis. 1825. — K. E. v. Bär über Entwickelungs- geschichte der Thiere. 1828. 4. S. 245. fgg. — Burdach die Phy- siologie als Erfahrungswissenschaft. Zweiter Theil. 1828. 8. S. 417. 603. u. a. v. a. O. — E. H. Weber in Meck. Arch. 1828. S. 366—418. u. 424—436. — H. Rathke über die Bildung und Entwickelung des Fluſskrebses. 1829. fol. S. 78—80. — Cuvier in Ann. des sc. nat. 1832. Mai p. 69. Aus dem oben Dargestellten sowohl, als aus anderen consta- tirten physiologischen Sätzen lassen sich folgende allgemeine De- ductionen machen: 1. In jedem Thiere findet sich ein Gegensatz zwischen ve- getativen und animalen Organen. 2. Die animalen Organe und Functionen zerfallen im Ganzen in sensible und motorische. 3. Die vegetativen Organe gehören gröſstentheils dem Schleim- blatte, die animalen dem serösen Blatte an. 4. Die vegetativen Organe sind in den Embryonen aller Wirbelthiere zu einer nach den einzelnen Klassen bestimmten Zeit der Entwickelung mit dem Dotter in naher Verbindung. Bei den Wirbellosen wird dieser integrirender Körpertheil; bei den Wirbelthieren dagegen wie ein fremder Theil in den Körper aufge- nommen oder entfernt sich im Laufe der Entwickelung immer mehr von diesem, wie bei den Säugethieren. 5. Das Schleimblatt schnüret sich bei den Wirbelthieren von dem Dotter ab, bleibt dagegen bei der gröſsten Zahl der Wir- bellosen organisch mit ihm verbunden. Die Verdauungsorgane der Wirbelthiere haben also ihrer individuellen Entwickelung nach eine höhere Selbstständigkeit, als die der Wirbellosen. 6. Ein Fundamentalunterschied der Wirbellosen und Wirbel- thiere scheint der zu seyn, daſs bei den ersteren die motorischen Organe und Functionen vorzüglich ausgebildet, die sensiblen da- gegen mehr zurückgedrängt, zum Theil fast annulirt sind. In den Wirbelthieren entwickelt sich das sensible Centralsystem zum Hauptsysteme des Körpers und die motorischen Organe haben eine mehr untergeordnete Wichtigkeit und Bedeutung. Diesem gemäſs lagert sich auch Hirn- und Rückenmark an die obere Hälfte des serösen Blattes und ein Theil der motorischen Organe 39*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/639
Zitationshilfe: Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 611. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/639>, abgerufen am 22.11.2024.