Im Juli, als ich Ihnen zuerst schrieb, hielt ich's für wahr¬ scheinlich, daß man mich veranlassen würde, nach Wien zu gehn, und dann hofft' ich Sie zu sehn. Die Erwartung hab' ich aber längst fahren lassen. Die Sachen gefallen mir überhaupt mehr und mehr besser wie die Menschen, und im chemischen Manufak¬ turfach ist hier noch Vieles zu thun. -- Einer meiner Freunde hat das Raffiniren der Zucker so sehr vervollkommt, daß er 1/5 mehr Ertrag erhält, als nach der gewöhnlichen Art. Man bot ihm für seine patentirte Erfindung 40,000 Pfund Sterling, die er ausschlug. -- Er veräußerte aber, an Einzelne, das Recht, sich derselben zu bedienen, und hatte sich schon ein jährliches Ein¬ kommen von 6000 Pfund Sterling verschafft, als ihn der Tod abholte. Er starb vor einigen Wochen. Eine Tochter und sein Bruder, der Herzog von Norfolk, sind untröstlich über seinen Verlust. -- Ich fürchte mich, ich weiß nicht warum, vor einem ähnlichen Schicksal. Wenn mir's in weltlichen Dingen mal recht gelingt, so wird's gewiß nicht lange dauern. -- Dies hindert mich aber nicht, fortzuarbeiten. Seit ich hier bin, hab' ich eine Association zu Stande gebracht zwischen mir selbst, einem reichen jungen wissenschaftlichen Mann, dessen Steckenpferd die Chemie ist, und einem Schwaben, der in Frankreich zu großen chemischen Operationen erzogen worden. -- Wir kauften ein großes Eta¬ blissement an der Themse, eine halbe deutsche Meile von der Stadt, dessen Besitzer kürzlich starb. -- Da destillirt und reinigt man Holzessig nach einer neuen patentirten Methode, und fabri¬ zirt alle die Waaren oder Artikel, die mit Essig was zu thun haben -- als Spangrün, Bleizucker, auch Soda -- und viele andere. Der Gewinn darauf ist von 100 bis 200 Prozent, so viel einfacher, schneller und besser ist unsere Art zu arbeiten. Es fehlt aber an Schwierigkeiten nicht. -- Die Nachbarn sagen, die Fabrik verfälscht die Luft, und wollen uns forttreiben, vor¬
Im Juli, als ich Ihnen zuerſt ſchrieb, hielt ich's fuͤr wahr¬ ſcheinlich, daß man mich veranlaſſen wuͤrde, nach Wien zu gehn, und dann hofft' ich Sie zu ſehn. Die Erwartung hab' ich aber laͤngſt fahren laſſen. Die Sachen gefallen mir uͤberhaupt mehr und mehr beſſer wie die Menſchen, und im chemiſchen Manufak¬ turfach iſt hier noch Vieles zu thun. — Einer meiner Freunde hat das Raffiniren der Zucker ſo ſehr vervollkommt, daß er 1/5 mehr Ertrag erhaͤlt, als nach der gewoͤhnlichen Art. Man bot ihm fuͤr ſeine patentirte Erfindung 40,000 Pfund Sterling, die er ausſchlug. — Er veraͤußerte aber, an Einzelne, das Recht, ſich derſelben zu bedienen, und hatte ſich ſchon ein jaͤhrliches Ein¬ kommen von 6000 Pfund Sterling verſchafft, als ihn der Tod abholte. Er ſtarb vor einigen Wochen. Eine Tochter und ſein Bruder, der Herzog von Norfolk, ſind untroͤſtlich uͤber ſeinen Verluſt. — Ich fuͤrchte mich, ich weiß nicht warum, vor einem aͤhnlichen Schickſal. Wenn mir's in weltlichen Dingen mal recht gelingt, ſo wird's gewiß nicht lange dauern. — Dies hindert mich aber nicht, fortzuarbeiten. Seit ich hier bin, hab' ich eine Aſſociation zu Stande gebracht zwiſchen mir ſelbſt, einem reichen jungen wiſſenſchaftlichen Mann, deſſen Steckenpferd die Chemie iſt, und einem Schwaben, der in Frankreich zu großen chemiſchen Operationen erzogen worden. — Wir kauften ein großes Eta¬ bliſſement an der Themſe, eine halbe deutſche Meile von der Stadt, deſſen Beſitzer kuͤrzlich ſtarb. — Da deſtillirt und reinigt man Holzeſſig nach einer neuen patentirten Methode, und fabri¬ zirt alle die Waaren oder Artikel, die mit Eſſig was zu thun haben — als Spangruͤn, Bleizucker, auch Soda — und viele andere. Der Gewinn darauf iſt von 100 bis 200 Prozent, ſo viel einfacher, ſchneller und beſſer iſt unſere Art zu arbeiten. Es fehlt aber an Schwierigkeiten nicht. — Die Nachbarn ſagen, die Fabrik verfaͤlſcht die Luft, und wollen uns forttreiben, vor¬
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Im Juli, als ich Ihnen zuerſt ſchrieb, hielt ich's fuͤr wahr¬
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und dann hofft' ich Sie zu ſehn. Die Erwartung hab' ich aber
laͤngſt fahren laſſen. Die Sachen gefallen mir uͤberhaupt mehr
und mehr beſſer wie die Menſchen, und im chemiſchen Manufak¬
turfach iſt hier noch Vieles zu thun. — Einer meiner Freunde
hat das Raffiniren der Zucker ſo ſehr vervollkommt, daß er 1/5
mehr Ertrag erhaͤlt, als nach der gewoͤhnlichen Art. Man bot
ihm fuͤr ſeine patentirte Erfindung 40,000 Pfund Sterling, die
er ausſchlug. — Er veraͤußerte aber, an Einzelne, das Recht, ſich
derſelben zu bedienen, und hatte ſich ſchon ein jaͤhrliches Ein¬
kommen von 6000 Pfund Sterling verſchafft, als ihn der Tod
abholte. Er ſtarb vor einigen Wochen. Eine Tochter und ſein
Bruder, der Herzog von Norfolk, ſind untroͤſtlich uͤber ſeinen
Verluſt. — Ich fuͤrchte mich, ich weiß nicht warum, vor einem
aͤhnlichen Schickſal. Wenn mir's in weltlichen Dingen mal recht
gelingt, ſo wird's gewiß nicht lange dauern. — Dies hindert
mich aber nicht, fortzuarbeiten. Seit ich hier bin, hab' ich eine
Aſſociation zu Stande gebracht zwiſchen mir ſelbſt, einem reichen
jungen wiſſenſchaftlichen Mann, deſſen Steckenpferd die Chemie
iſt, und einem Schwaben, der in Frankreich zu großen chemiſchen
Operationen erzogen worden. — Wir kauften ein großes Eta¬
bliſſement an der Themſe, eine halbe deutſche Meile von der
Stadt, deſſen Beſitzer kuͤrzlich ſtarb. — Da deſtillirt und reinigt
man Holzeſſig nach einer neuen patentirten Methode, und fabri¬
zirt alle die Waaren oder Artikel, die mit Eſſig was zu thun
haben — als Spangruͤn, Bleizucker, auch Soda — und viele
andere. Der Gewinn darauf iſt von 100 bis 200 Prozent, ſo
viel einfacher, ſchneller und beſſer iſt unſere Art zu arbeiten.
Es fehlt aber an Schwierigkeiten nicht. — Die Nachbarn ſagen,
die Fabrik verfaͤlſcht die Luft, und wollen uns forttreiben, vor¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/133>, abgerufen am 24.11.2024.
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