Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

rechtschaffenen Wandel verfolgte, nichts insgeheim und
auf Nebenwegen herbeizuführen suchte, für sich selbst
nichts Weltliches erstrebte, keinen Einflüsterungen unbe¬
dacht Gehör gab, an keinerlei Ränken jemals Theil
nahm und dabei als ein Sonderling erschien, dünkte
den damaligen Gewalthabern eher zu belachen als zu
fürchten, und die Polizei Napoleons, die mit dringen¬
deren Sachen beschäftigt war, ließ ihn unangefochten.

Seine bedeutenden Einkünfte wendete er, da er für
sich fast gar nichts brauchte, meist ganz im Stillen zu
wohlthätigen Zwecken. Als er in Preußen wegen seines
Außenbleibens mit dem Verluste fast seines ganzen Ver¬
mögens bedroht war, blieb sein gleichmüthiger Sinn
ungestört, und selbst die für eine Zeit wirklich einge¬
tretene Entziehung der Einkünfte konnte ihn nicht be¬
wegen, durch irgend einen Schritt, der ihm als Zwang
erschien, solchen Nachtheil abzuwenden. Er gestand je¬
doch selbst, daß er die Vergünstigung, die einem Staats¬
bürger zum Aufenthalt im Auslande billigerweise gewährt
sein mag, für sich bis zum Mißbrauche verwendet habe.
In beinahe vierzigjähriger Abwesenheit hörte er indeß
nicht auf, durch Gesinnung und Theilnahme ein Deut¬
scher, ein Preuße und noch insbesondere ein Schlesier
zu sein, als ob er immerfort im Vaterlande geblieben
wäre, und er wußte und kannte alles genau, was dort
in Staatsverwaltung, Rechtspflege, Erziehung, Sitten¬
art und Literatur gethan und betrieben wurde. Kant,

rechtſchaffenen Wandel verfolgte, nichts insgeheim und
auf Nebenwegen herbeizufuͤhren ſuchte, fuͤr ſich ſelbſt
nichts Weltliches erſtrebte, keinen Einfluͤſterungen unbe¬
dacht Gehoͤr gab, an keinerlei Raͤnken jemals Theil
nahm und dabei als ein Sonderling erſchien, duͤnkte
den damaligen Gewalthabern eher zu belachen als zu
fuͤrchten, und die Polizei Napoleons, die mit dringen¬
deren Sachen beſchaͤftigt war, ließ ihn unangefochten.

Seine bedeutenden Einkuͤnfte wendete er, da er fuͤr
ſich faſt gar nichts brauchte, meiſt ganz im Stillen zu
wohlthaͤtigen Zwecken. Als er in Preußen wegen ſeines
Außenbleibens mit dem Verluſte faſt ſeines ganzen Ver¬
moͤgens bedroht war, blieb ſein gleichmuͤthiger Sinn
ungeſtoͤrt, und ſelbſt die fuͤr eine Zeit wirklich einge¬
tretene Entziehung der Einkuͤnfte konnte ihn nicht be¬
wegen, durch irgend einen Schritt, der ihm als Zwang
erſchien, ſolchen Nachtheil abzuwenden. Er geſtand je¬
doch ſelbſt, daß er die Verguͤnſtigung, die einem Staats¬
buͤrger zum Aufenthalt im Auslande billigerweiſe gewaͤhrt
ſein mag, fuͤr ſich bis zum Mißbrauche verwendet habe.
In beinahe vierzigjaͤhriger Abweſenheit hoͤrte er indeß
nicht auf, durch Geſinnung und Theilnahme ein Deut¬
ſcher, ein Preuße und noch insbeſondere ein Schleſier
zu ſein, als ob er immerfort im Vaterlande geblieben
waͤre, und er wußte und kannte alles genau, was dort
in Staatsverwaltung, Rechtspflege, Erziehung, Sitten¬
art und Literatur gethan und betrieben wurde. Kant,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0168" n="154"/>
recht&#x017F;chaffenen Wandel verfolgte, nichts insgeheim und<lb/>
auf Nebenwegen herbeizufu&#x0364;hren &#x017F;uchte, fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
nichts Weltliches er&#x017F;trebte, keinen Einflu&#x0364;&#x017F;terungen unbe¬<lb/>
dacht Geho&#x0364;r gab, an keinerlei Ra&#x0364;nken jemals Theil<lb/>
nahm und dabei als ein Sonderling er&#x017F;chien, du&#x0364;nkte<lb/>
den damaligen Gewalthabern eher zu belachen als zu<lb/>
fu&#x0364;rchten, und die Polizei Napoleons, die mit dringen¬<lb/>
deren Sachen be&#x017F;cha&#x0364;ftigt war, ließ ihn unangefochten.</p><lb/>
            <p>Seine bedeutenden Einku&#x0364;nfte wendete er, da er fu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;ich fa&#x017F;t gar nichts brauchte, mei&#x017F;t ganz im Stillen zu<lb/>
wohltha&#x0364;tigen Zwecken. Als er in Preußen wegen &#x017F;eines<lb/>
Außenbleibens mit dem Verlu&#x017F;te fa&#x017F;t &#x017F;eines ganzen Ver¬<lb/>
mo&#x0364;gens bedroht war, blieb &#x017F;ein gleichmu&#x0364;thiger Sinn<lb/>
unge&#x017F;to&#x0364;rt, und &#x017F;elb&#x017F;t die fu&#x0364;r eine Zeit wirklich einge¬<lb/>
tretene Entziehung der Einku&#x0364;nfte konnte ihn nicht be¬<lb/>
wegen, durch irgend einen Schritt, der ihm als Zwang<lb/>
er&#x017F;chien, &#x017F;olchen Nachtheil abzuwenden. Er ge&#x017F;tand je¬<lb/>
doch &#x017F;elb&#x017F;t, daß er die Vergu&#x0364;n&#x017F;tigung, die einem Staats¬<lb/>
bu&#x0364;rger zum Aufenthalt im Auslande billigerwei&#x017F;e gewa&#x0364;hrt<lb/>
&#x017F;ein mag, fu&#x0364;r &#x017F;ich bis zum Mißbrauche verwendet habe.<lb/>
In beinahe vierzigja&#x0364;hriger Abwe&#x017F;enheit ho&#x0364;rte er indeß<lb/>
nicht auf, durch Ge&#x017F;innung und Theilnahme ein Deut¬<lb/>
&#x017F;cher, ein Preuße und noch insbe&#x017F;ondere ein Schle&#x017F;ier<lb/>
zu &#x017F;ein, als ob er immerfort im Vaterlande geblieben<lb/>
wa&#x0364;re, und er wußte und kannte alles genau, was dort<lb/>
in <choice><sic>Staatsverwaltuug</sic><corr>Staatsverwaltung</corr></choice>, Rechtspflege, Erziehung, Sitten¬<lb/>
art und Literatur gethan und betrieben wurde. Kant,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0168] rechtſchaffenen Wandel verfolgte, nichts insgeheim und auf Nebenwegen herbeizufuͤhren ſuchte, fuͤr ſich ſelbſt nichts Weltliches erſtrebte, keinen Einfluͤſterungen unbe¬ dacht Gehoͤr gab, an keinerlei Raͤnken jemals Theil nahm und dabei als ein Sonderling erſchien, duͤnkte den damaligen Gewalthabern eher zu belachen als zu fuͤrchten, und die Polizei Napoleons, die mit dringen¬ deren Sachen beſchaͤftigt war, ließ ihn unangefochten. Seine bedeutenden Einkuͤnfte wendete er, da er fuͤr ſich faſt gar nichts brauchte, meiſt ganz im Stillen zu wohlthaͤtigen Zwecken. Als er in Preußen wegen ſeines Außenbleibens mit dem Verluſte faſt ſeines ganzen Ver¬ moͤgens bedroht war, blieb ſein gleichmuͤthiger Sinn ungeſtoͤrt, und ſelbſt die fuͤr eine Zeit wirklich einge¬ tretene Entziehung der Einkuͤnfte konnte ihn nicht be¬ wegen, durch irgend einen Schritt, der ihm als Zwang erſchien, ſolchen Nachtheil abzuwenden. Er geſtand je¬ doch ſelbſt, daß er die Verguͤnſtigung, die einem Staats¬ buͤrger zum Aufenthalt im Auslande billigerweiſe gewaͤhrt ſein mag, fuͤr ſich bis zum Mißbrauche verwendet habe. In beinahe vierzigjaͤhriger Abweſenheit hoͤrte er indeß nicht auf, durch Geſinnung und Theilnahme ein Deut¬ ſcher, ein Preuße und noch insbeſondere ein Schleſier zu ſein, als ob er immerfort im Vaterlande geblieben waͤre, und er wußte und kannte alles genau, was dort in Staatsverwaltung, Rechtspflege, Erziehung, Sitten¬ art und Literatur gethan und betrieben wurde. Kant,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/168
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/168>, abgerufen am 10.05.2024.