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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

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fesselt hat. Seine, nicht eben hackele, Sinnlichkeit zu
reizen und zu beschäftigen, hielt nicht schwer. Zu sei¬
nen Idealen gehörte eine kinderreiche Ehe. Ihm wäre
sie ein wahrer Segen gewesen. Bei meinem ersten
Aufenthalte in Paris lernte er durch mich eine junge,
sehr anziehende Schottländerin kennen, Miß Christie,
die, vor einiger Zeit noch, glücklich verheirathet zu
Inverneß lebte. Mit ihr versprach er sich. Die Pässe
lagen bereit, sie, ihrem Bruder und ihre Schwägerin
nach der Schweiz zu begleiten, um dort die Ehe zu
schließen, als Schlabrendorf verhaftet ward. Durch
seine Gefangenschaft und ihre nothgedrungene Abreise
aus Frankreich zerschlug sich die Sache. Dieses Mi߬
geschick scheint ihm nicht sonderlich zu Herzen gegangen
zu sein. Persönliche Anhänglichkeiten waren bei ihm
nie sehr stark. Destomehr besaß er allgemeines Wohl¬
wollen. Er sahe mich gern, er schätzte mich und be¬
zeigte Achtung für meine Ansichten und Urtheile; auch
war er zu jeder Gefälligkeit geneigt, die ich hätte ver¬
langen können. Allein ich konnte wegbleiben, ihn un¬
besucht lassen, so lang ich wollte, ohne daß er es be¬
merkte. Unser hauptsächlicher Verkehr bestand in Con¬
versation. Ich brauche Ihnen seinen Umgang nicht zu
schildern. Nachsicht und Verträglichkeit, offener, für
jede mögliche Situation empfänglicher Sinn, Theil¬
nahme und Mittheilung aus einer reichmöblirten Denk¬
kraft machten Schlabrendorf zu dem anmuthigsten und

feſſelt hat. Seine, nicht eben hackele, Sinnlichkeit zu
reizen und zu beſchaͤftigen, hielt nicht ſchwer. Zu ſei¬
nen Idealen gehoͤrte eine kinderreiche Ehe. Ihm waͤre
ſie ein wahrer Segen geweſen. Bei meinem erſten
Aufenthalte in Paris lernte er durch mich eine junge,
ſehr anziehende Schottlaͤnderin kennen, Miß Chriſtie,
die, vor einiger Zeit noch, gluͤcklich verheirathet zu
Inverneß lebte. Mit ihr verſprach er ſich. Die Paͤſſe
lagen bereit, ſie, ihrem Bruder und ihre Schwaͤgerin
nach der Schweiz zu begleiten, um dort die Ehe zu
ſchließen, als Schlabrendorf verhaftet ward. Durch
ſeine Gefangenſchaft und ihre nothgedrungene Abreiſe
aus Frankreich zerſchlug ſich die Sache. Dieſes Mi߬
geſchick ſcheint ihm nicht ſonderlich zu Herzen gegangen
zu ſein. Perſoͤnliche Anhaͤnglichkeiten waren bei ihm
nie ſehr ſtark. Deſtomehr beſaß er allgemeines Wohl¬
wollen. Er ſahe mich gern, er ſchaͤtzte mich und be¬
zeigte Achtung fuͤr meine Anſichten und Urtheile; auch
war er zu jeder Gefaͤlligkeit geneigt, die ich haͤtte ver¬
langen koͤnnen. Allein ich konnte wegbleiben, ihn un¬
beſucht laſſen, ſo lang ich wollte, ohne daß er es be¬
merkte. Unſer hauptſaͤchlicher Verkehr beſtand in Con¬
verſation. Ich brauche Ihnen ſeinen Umgang nicht zu
ſchildern. Nachſicht und Vertraͤglichkeit, offener, fuͤr
jede moͤgliche Situation empfaͤnglicher Sinn, Theil¬
nahme und Mittheilung aus einer reichmoͤblirten Denk¬
kraft machten Schlabrendorf zu dem anmuthigſten und

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[167/0181] feſſelt hat. Seine, nicht eben hackele, Sinnlichkeit zu reizen und zu beſchaͤftigen, hielt nicht ſchwer. Zu ſei¬ nen Idealen gehoͤrte eine kinderreiche Ehe. Ihm waͤre ſie ein wahrer Segen geweſen. Bei meinem erſten Aufenthalte in Paris lernte er durch mich eine junge, ſehr anziehende Schottlaͤnderin kennen, Miß Chriſtie, die, vor einiger Zeit noch, gluͤcklich verheirathet zu Inverneß lebte. Mit ihr verſprach er ſich. Die Paͤſſe lagen bereit, ſie, ihrem Bruder und ihre Schwaͤgerin nach der Schweiz zu begleiten, um dort die Ehe zu ſchließen, als Schlabrendorf verhaftet ward. Durch ſeine Gefangenſchaft und ihre nothgedrungene Abreiſe aus Frankreich zerſchlug ſich die Sache. Dieſes Mi߬ geſchick ſcheint ihm nicht ſonderlich zu Herzen gegangen zu ſein. Perſoͤnliche Anhaͤnglichkeiten waren bei ihm nie ſehr ſtark. Deſtomehr beſaß er allgemeines Wohl¬ wollen. Er ſahe mich gern, er ſchaͤtzte mich und be¬ zeigte Achtung fuͤr meine Anſichten und Urtheile; auch war er zu jeder Gefaͤlligkeit geneigt, die ich haͤtte ver¬ langen koͤnnen. Allein ich konnte wegbleiben, ihn un¬ beſucht laſſen, ſo lang ich wollte, ohne daß er es be¬ merkte. Unſer hauptſaͤchlicher Verkehr beſtand in Con¬ verſation. Ich brauche Ihnen ſeinen Umgang nicht zu ſchildern. Nachſicht und Vertraͤglichkeit, offener, fuͤr jede moͤgliche Situation empfaͤnglicher Sinn, Theil¬ nahme und Mittheilung aus einer reichmoͤblirten Denk¬ kraft machten Schlabrendorf zu dem anmuthigſten und

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/181>, abgerufen am 24.11.2024.