gänglicher geworden. Dessenungeachtet hauset sie im Mittelpunkte von Europa noch immer ziemlich verlassen. Dem Auslande behagt sie wenig. Ich fürchte, wenn wir ihr die altgothische Tracht gar zu eng anschnüren, daß sie noch mißfälliger wird. Ihren modernen Schwe¬ stern muß sie sich hüten fremd zu werden. Der leben¬ dige Verkehr zwischen den europäischen Völkern sorgt dafür, und macht eine gänzliche Reform unmöglich. Ist der Vortheilt einer völlig homogeneu Sprache wirk¬ lich so groß, wie wir uns einbilden? Denken die deutschen Köpfe heller in ihrer Ursprache, als der Eng¬ länder in seiner aus den fremdartigsten Elementen zu¬ sammengesetzten? Zu bestimmen wäre, wie weit sich die Spracheinigung erstrecken soll. Bannen wir Wörter, wie Komplott, Magistrat, Proviant, so kann am Ende man auch Kehraus machen mit Ordnung, Fenster, Bi¬ schof und dergleichen. Aufnahme ausländischer Sub¬ stantiven bereichert die deutsche Sprache mit Endigun¬ gen, deren sie keine große Mannigfaltigkeit besitzt. Die meiste Hülfe thut dem Zeitworte noth. Wer das ge¬ lenker machen könnte! Auch ersetzt die Leichtigkeit, Deri¬ vativen zu schaffen, ganz und gar nicht, was uns hier an Stammwörtern gebricht. Zuletzt sähe ich unsre Sprache lebensgern von einer Menge nichtssagender Sylben gereinigt. Vielfach bitte ich um Nachsicht, auf Belehrung hoffe ich." --
gaͤnglicher geworden. Deſſenungeachtet hauſet ſie im Mittelpunkte von Europa noch immer ziemlich verlaſſen. Dem Auslande behagt ſie wenig. Ich fuͤrchte, wenn wir ihr die altgothiſche Tracht gar zu eng anſchnuͤren, daß ſie noch mißfaͤlliger wird. Ihren modernen Schwe¬ ſtern muß ſie ſich huͤten fremd zu werden. Der leben¬ dige Verkehr zwiſchen den europaͤiſchen Voͤlkern ſorgt dafuͤr, und macht eine gaͤnzliche Reform unmoͤglich. Iſt der Vortheilt einer voͤllig homogeneu Sprache wirk¬ lich ſo groß, wie wir uns einbilden? Denken die deutſchen Koͤpfe heller in ihrer Urſprache, als der Eng¬ laͤnder in ſeiner aus den fremdartigſten Elementen zu¬ ſammengeſetzten? Zu beſtimmen waͤre, wie weit ſich die Spracheinigung erſtrecken ſoll. Bannen wir Woͤrter, wie Komplott, Magiſtrat, Proviant, ſo kann am Ende man auch Kehraus machen mit Ordnung, Fenſter, Bi¬ ſchof und dergleichen. Aufnahme auslaͤndiſcher Sub¬ ſtantiven bereichert die deutſche Sprache mit Endigun¬ gen, deren ſie keine große Mannigfaltigkeit beſitzt. Die meiſte Huͤlfe thut dem Zeitworte noth. Wer das ge¬ lenker machen koͤnnte! Auch erſetzt die Leichtigkeit, Deri¬ vativen zu ſchaffen, ganz und gar nicht, was uns hier an Stammwoͤrtern gebricht. Zuletzt ſaͤhe ich unſre Sprache lebensgern von einer Menge nichtsſagender Sylben gereinigt. Vielfach bitte ich um Nachſicht, auf Belehrung hoffe ich.“ —
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gaͤnglicher geworden. Deſſenungeachtet hauſet ſie im
Mittelpunkte von Europa noch immer ziemlich verlaſſen.
Dem Auslande behagt ſie wenig. Ich fuͤrchte, wenn
wir ihr die altgothiſche Tracht gar zu eng anſchnuͤren,
daß ſie noch mißfaͤlliger wird. Ihren modernen Schwe¬
ſtern muß ſie ſich huͤten fremd zu werden. Der leben¬
dige Verkehr zwiſchen den europaͤiſchen Voͤlkern ſorgt
dafuͤr, und macht eine gaͤnzliche Reform unmoͤglich.
Iſt der Vortheilt einer voͤllig homogeneu Sprache wirk¬
lich ſo groß, wie wir uns einbilden? Denken die
deutſchen Koͤpfe heller in ihrer Urſprache, als der Eng¬
laͤnder in ſeiner aus den fremdartigſten Elementen zu¬
ſammengeſetzten? Zu beſtimmen waͤre, wie weit ſich
die Spracheinigung erſtrecken ſoll. Bannen wir Woͤrter,
wie Komplott, Magiſtrat, Proviant, ſo kann am Ende
man auch Kehraus machen mit Ordnung, Fenſter, Bi¬
ſchof und dergleichen. Aufnahme auslaͤndiſcher Sub¬
ſtantiven bereichert die deutſche Sprache mit Endigun¬
gen, deren ſie keine große Mannigfaltigkeit beſitzt. Die
meiſte Huͤlfe thut dem Zeitworte noth. Wer das ge¬
lenker machen koͤnnte! Auch erſetzt die Leichtigkeit, Deri¬
vativen zu ſchaffen, ganz und gar nicht, was uns hier
an Stammwoͤrtern gebricht. Zuletzt ſaͤhe ich unſre
Sprache lebensgern von einer Menge nichtsſagender
Sylben gereinigt. Vielfach bitte ich um Nachſicht, auf
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/186>, abgerufen am 23.11.2024.
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