*Jedes Herrschgebäude zur Unterjochung der Menschen, von Machthabern ausgebildet, sei's in Staat oder Kirche, muß end¬ lich den freien, immer regen, nie ganz schlummernden Geistes¬ kräften des Menschen weichen. Werden diese ganz wach und laut, so bleibt nichts übrig, als nur mit ihnen zu wirken, oder, war man früh genug schon weise und vorsehend, so ließen sie auch ursprünglich sofort bloß auf einen bestimmt edlen Zweck sich leiten. Erst der Widerstand zwingt ihnen eine gefährliche Rich¬ tung auf, und spielt sie Leuten in die Hand, die solche Zeitum¬ stände persönlich zu nützen verstehn. General von Klinger.
5. Zung' und Ohr, Waltung und Volksinn.
Zum schulgerechten Singen wie Reden führt unsrer Klang- und Hörwerkzeuge Brudergefühl nur: zwar häufet bloße Stimmgebärkraft manch derben Versuch; doch mitfühlender Sinn erst misset ihn sicher, leitet ihn streng, bis zur Höhe menschlicher Kunst: täglicher An¬ reiz zum Prüfen bildet das Ohr; wie allprüfendes Horchen die Stimme.
Anders nicht erklimmt sein Hochziel auch Waltungs¬ beruf: darf prüfen kein Waltungshöriger, woher dann jedes Prüfsinns gedeihlicher Wachsthum? und woher je Vollreife der Waltung, darf ihrer Häupter Prüfschau sich einschanzen für immer? Schon zu hören dachte Holberg's Kannengießer, wo Keiner ihm vorsang; eben so glaubt richtig zu singen, wer kaum hört.
*Jedes Herrſchgebäude zur Unterjochung der Menſchen, von Machthabern ausgebildet, ſei’s in Staat oder Kirche, muß end¬ lich den freien, immer regen, nie ganz ſchlummernden Geiſtes¬ kräften des Menſchen weichen. Werden dieſe ganz wach und laut, ſo bleibt nichts übrig, als nur mit ihnen zu wirken, oder, war man früh genug ſchon weiſe und vorſehend, ſo ließen ſie auch urſprünglich ſofort bloß auf einen beſtimmt edlen Zweck ſich leiten. Erſt der Widerſtand zwingt ihnen eine gefährliche Rich¬ tung auf, und ſpielt ſie Leuten in die Hand, die ſolche Zeitum¬ ſtände perſönlich zu nützen verſtehn. General von Klinger.
5. Zung’ und Ohr, Waltung und Volkſinn.
Zum ſchulgerechten Singen wie Reden fuͤhrt unſrer Klang- und Hoͤrwerkzeuge Brudergefuͤhl nur: zwar haͤufet bloße Stimmgebaͤrkraft manch derben Verſuch; doch mitfuͤhlender Sinn erſt miſſet ihn ſicher, leitet ihn ſtreng, bis zur Hoͤhe menſchlicher Kunſt: taͤglicher An¬ reiz zum Pruͤfen bildet das Ohr; wie allpruͤfendes Horchen die Stimme.
Anders nicht erklimmt ſein Hochziel auch Waltungs¬ beruf: darf pruͤfen kein Waltungshoͤriger, woher dann jedes Pruͤfſinns gedeihlicher Wachsthum? und woher je Vollreife der Waltung, darf ihrer Haͤupter Pruͤfſchau ſich einſchanzen fuͤr immer? Schon zu hoͤren dachte Holberg’s Kannengießer, wo Keiner ihm vorſang; eben ſo glaubt richtig zu ſingen, wer kaum hoͤrt.
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*Jedes Herrſchgebäude zur Unterjochung der Menſchen, von
Machthabern ausgebildet, ſei’s in Staat oder Kirche, muß end¬
lich den freien, immer regen, nie ganz ſchlummernden Geiſtes¬
kräften des Menſchen weichen. Werden dieſe ganz wach und
laut, ſo bleibt nichts übrig, als nur mit ihnen zu wirken, oder,
war man früh genug ſchon weiſe und vorſehend, ſo ließen ſie
auch urſprünglich ſofort bloß auf einen beſtimmt edlen Zweck ſich
leiten. Erſt der Widerſtand zwingt ihnen eine gefährliche Rich¬
tung auf, und ſpielt ſie Leuten in die Hand, die ſolche Zeitum¬
ſtände perſönlich zu nützen verſtehn.
General von Klinger.
5. Zung’ und Ohr, Waltung und
Volkſinn.
Zum ſchulgerechten Singen wie Reden fuͤhrt unſrer
Klang- und Hoͤrwerkzeuge Brudergefuͤhl nur: zwar
haͤufet bloße Stimmgebaͤrkraft manch derben Verſuch;
doch mitfuͤhlender Sinn erſt miſſet ihn ſicher, leitet ihn
ſtreng, bis zur Hoͤhe menſchlicher Kunſt: taͤglicher An¬
reiz zum Pruͤfen bildet das Ohr; wie allpruͤfendes
Horchen die Stimme.
Anders nicht erklimmt ſein Hochziel auch Waltungs¬
beruf: darf pruͤfen kein Waltungshoͤriger, woher dann
jedes Pruͤfſinns gedeihlicher Wachsthum? und woher je
Vollreife der Waltung, darf ihrer Haͤupter Pruͤfſchau
ſich einſchanzen fuͤr immer? Schon zu hoͤren dachte
Holberg’s Kannengießer, wo Keiner ihm vorſang; eben
ſo glaubt richtig zu ſingen, wer kaum hoͤrt.
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/197>, abgerufen am 23.11.2024.
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