keit reizte, weil sie mir ganz neu war, war das einzige, was ich aus dieser Schule herausbrachte. Ich blieb nur zwei Jahre darin, weil eine erduldete Beschimpfung mir sie so verbitterte, daß ich nicht nachließ, bis mich mein Vater herausnahm. Die Schüler mußten nämlich alle Sonntage in die Predigt gehen, und der Prediger sprach so leise, daß man ihn an dem Ort, wo die Schüler saßen, schlechterdings nicht verstehen konnte; ich nahm daher, um der Langweile zu entgehen, Bücher zum Lesen mit. Dies wurde dem Prediger angezeigt, und er gab mir deßwegen bei der Austheilung einer Stiftung einen öffentlichen Verweis, und darüber ward ich so aufgebracht, daß ich nicht mehr in der Schule bleiben mochte. Dieser Vorfall ist wohl das größte Glück, das mir in meinem Leben aufstieß! denn obgleich mein Vater nicht die Absicht hatte, mich dem gelehrten Stande zu widmen, so würde ein längerer Aufenthalt in der Schule mich doch zum Professionisten verdorben, und mir das Studentenleben als das höchste Gut vor¬ gespiegelt haben, und ich würde dann in meinem sechs¬ zehnten Jahre auf Universität gegangen, und da der Ehrgeiz, mich auszuzeichnen, mich zum beständigen Sitzen über Büchern würde verleitet haben, ein frühes Opfer der sitzenden Lebensart und der einseitigen Ausbildung des Gedächtnisses geworden sein.
Während ich in die lateinische Schule ging, lernte ich in der deutschen Schule rechnen. Ich faßte dies
keit reizte, weil ſie mir ganz neu war, war das einzige, was ich aus dieſer Schule herausbrachte. Ich blieb nur zwei Jahre darin, weil eine erduldete Beſchimpfung mir ſie ſo verbitterte, daß ich nicht nachließ, bis mich mein Vater herausnahm. Die Schuͤler mußten naͤmlich alle Sonntage in die Predigt gehen, und der Prediger ſprach ſo leiſe, daß man ihn an dem Ort, wo die Schuͤler ſaßen, ſchlechterdings nicht verſtehen konnte; ich nahm daher, um der Langweile zu entgehen, Buͤcher zum Leſen mit. Dies wurde dem Prediger angezeigt, und er gab mir deßwegen bei der Austheilung einer Stiftung einen oͤffentlichen Verweis, und daruͤber ward ich ſo aufgebracht, daß ich nicht mehr in der Schule bleiben mochte. Dieſer Vorfall iſt wohl das groͤßte Gluͤck, das mir in meinem Leben aufſtieß! denn obgleich mein Vater nicht die Abſicht hatte, mich dem gelehrten Stande zu widmen, ſo wuͤrde ein laͤngerer Aufenthalt in der Schule mich doch zum Profeſſioniſten verdorben, und mir das Studentenleben als das hoͤchſte Gut vor¬ geſpiegelt haben, und ich wuͤrde dann in meinem ſechs¬ zehnten Jahre auf Univerſitaͤt gegangen, und da der Ehrgeiz, mich auszuzeichnen, mich zum beſtaͤndigen Sitzen uͤber Buͤchern wuͤrde verleitet haben, ein fruͤhes Opfer der ſitzenden Lebensart und der einſeitigen Ausbildung des Gedaͤchtniſſes geworden ſein.
Waͤhrend ich in die lateiniſche Schule ging, lernte ich in der deutſchen Schule rechnen. Ich faßte dies
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keit reizte, weil ſie mir ganz neu war, war das einzige,
was ich aus dieſer Schule herausbrachte. Ich blieb
nur zwei Jahre darin, weil eine erduldete Beſchimpfung
mir ſie ſo verbitterte, daß ich nicht nachließ, bis mich
mein Vater herausnahm. Die Schuͤler mußten naͤmlich
alle Sonntage in die Predigt gehen, und der Prediger
ſprach ſo leiſe, daß man ihn an dem Ort, wo die
Schuͤler ſaßen, ſchlechterdings nicht verſtehen konnte;
ich nahm daher, um der Langweile zu entgehen, Buͤcher
zum Leſen mit. Dies wurde dem Prediger angezeigt,
und er gab mir deßwegen bei der Austheilung einer
Stiftung einen oͤffentlichen Verweis, und daruͤber ward
ich ſo aufgebracht, daß ich nicht mehr in der Schule
bleiben mochte. Dieſer Vorfall iſt wohl das groͤßte
Gluͤck, das mir in meinem Leben aufſtieß! denn obgleich
mein Vater nicht die Abſicht hatte, mich dem gelehrten
Stande zu widmen, ſo wuͤrde ein laͤngerer Aufenthalt
in der Schule mich doch zum Profeſſioniſten verdorben,
und mir das Studentenleben als das hoͤchſte Gut vor¬
geſpiegelt haben, und ich wuͤrde dann in meinem ſechs¬
zehnten Jahre auf Univerſitaͤt gegangen, und da der
Ehrgeiz, mich auszuzeichnen, mich zum beſtaͤndigen Sitzen
uͤber Buͤchern wuͤrde verleitet haben, ein fruͤhes Opfer
der ſitzenden Lebensart und der einſeitigen Ausbildung
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Waͤhrend ich in die lateiniſche Schule ging, lernte
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/234>, abgerufen am 25.11.2024.
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