etwas erregenden Lebensart überging, eine große Nerven¬ schwäche, und hatte häufige Ohnmachten, und bei jeder Gemüthsbewegung heftiges Nasenbluten. Von dieser Zeit an lernte ich ein Gefühl kennen, was mir bisher völlig fremd war, die Furcht in einsamer Dunkelheit. Ueberall sah ich Gestalten, die ich zwar als Geschöpfe meiner Phantasie anerkannte, die mich aber deßwegen um nichts weniger ängstigten. Gänzliches Verschließen der Augen, oder die Bewaffnung mit meinem Stock, Degen, oder auch nur einen Rappier, waren die Mittel, wodurch ich diese Furcht besiegte. Erleuchtung der Zim¬ mer, oder des Weges, den ich ging, half aber auch nicht immer, wenn ich allein war, und besonders äng¬ stigte mich, wenn ich spät Abends noch Klavier spielte, eine große weibliche Figur in einer schwarzen Saloppe, welche zur Thür herein kam, und über meine Schultern und in die Noten sahe. Diese Figur erschien mir zum letztenmale 1791 in Kopenhagen, wo ich mir ein Klavier gemiethet hatte. So lebhaft die Gesichtsvorstellung von dieser Figur war, so erschien sie doch nie vor meinen Augen. Die Täuschung war hier also nicht unmittelbar von der Schwäche der Augen abhängig, sondern von der Stärke meiner Phantasie, gegen welche die Verneinung ihrer Vorspiegelungen durch meine Augen nichts ver¬ mochte. Die Eindrücke meiner Sinne waren schwächer als meine Vorstellungen, und doch waren meine Sinne sehr reizbar. Wenn ich an einer Mauer ging, so schien
etwas erregenden Lebensart uͤberging, eine große Nerven¬ ſchwaͤche, und hatte haͤufige Ohnmachten, und bei jeder Gemuͤthsbewegung heftiges Naſenbluten. Von dieſer Zeit an lernte ich ein Gefuͤhl kennen, was mir bisher voͤllig fremd war, die Furcht in einſamer Dunkelheit. Ueberall ſah ich Geſtalten, die ich zwar als Geſchoͤpfe meiner Phantaſie anerkannte, die mich aber deßwegen um nichts weniger aͤngſtigten. Gaͤnzliches Verſchließen der Augen, oder die Bewaffnung mit meinem Stock, Degen, oder auch nur einen Rappier, waren die Mittel, wodurch ich dieſe Furcht beſiegte. Erleuchtung der Zim¬ mer, oder des Weges, den ich ging, half aber auch nicht immer, wenn ich allein war, und beſonders aͤng¬ ſtigte mich, wenn ich ſpaͤt Abends noch Klavier ſpielte, eine große weibliche Figur in einer ſchwarzen Saloppe, welche zur Thuͤr herein kam, und uͤber meine Schultern und in die Noten ſahe. Dieſe Figur erſchien mir zum letztenmale 1791 in Kopenhagen, wo ich mir ein Klavier gemiethet hatte. So lebhaft die Geſichtsvorſtellung von dieſer Figur war, ſo erſchien ſie doch nie vor meinen Augen. Die Taͤuſchung war hier alſo nicht unmittelbar von der Schwaͤche der Augen abhaͤngig, ſondern von der Staͤrke meiner Phantaſie, gegen welche die Verneinung ihrer Vorſpiegelungen durch meine Augen nichts ver¬ mochte. Die Eindruͤcke meiner Sinne waren ſchwaͤcher als meine Vorſtellungen, und doch waren meine Sinne ſehr reizbar. Wenn ich an einer Mauer ging, ſo ſchien
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etwas erregenden Lebensart uͤberging, eine große Nerven¬
ſchwaͤche, und hatte haͤufige Ohnmachten, und bei jeder
Gemuͤthsbewegung heftiges Naſenbluten. Von dieſer
Zeit an lernte ich ein Gefuͤhl kennen, was mir bisher
voͤllig fremd war, die Furcht in einſamer Dunkelheit.
Ueberall ſah ich Geſtalten, die ich zwar als Geſchoͤpfe
meiner Phantaſie anerkannte, die mich aber deßwegen
um nichts weniger aͤngſtigten. Gaͤnzliches Verſchließen
der Augen, oder die Bewaffnung mit meinem Stock,
Degen, oder auch nur einen Rappier, waren die Mittel,
wodurch ich dieſe Furcht beſiegte. Erleuchtung der Zim¬
mer, oder des Weges, den ich ging, half aber auch
nicht immer, wenn ich allein war, und beſonders aͤng¬
ſtigte mich, wenn ich ſpaͤt Abends noch Klavier ſpielte,
eine große weibliche Figur in einer ſchwarzen Saloppe,
welche zur Thuͤr herein kam, und uͤber meine Schultern
und in die Noten ſahe. Dieſe Figur erſchien mir zum
letztenmale 1791 in Kopenhagen, wo ich mir ein Klavier
gemiethet hatte. So lebhaft die Geſichtsvorſtellung von
dieſer Figur war, ſo erſchien ſie doch nie vor meinen
Augen. Die Taͤuſchung war hier alſo nicht unmittelbar
von der Schwaͤche der Augen abhaͤngig, ſondern von der
Staͤrke meiner Phantaſie, gegen welche die Verneinung
ihrer Vorſpiegelungen durch meine Augen nichts ver¬
mochte. Die Eindruͤcke meiner Sinne waren ſchwaͤcher
als meine Vorſtellungen, und doch waren meine Sinne
ſehr reizbar. Wenn ich an einer Mauer ging, ſo ſchien
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/242>, abgerufen am 25.11.2024.
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