kühnen Exegese aus. Dies schwächte in mir den Glau¬ ben an die unbedingte Gültigkeit der Lutherischen Ueber¬ setzung, an der richtigen Ableitung der in den Luthe¬ rischen Katechismus aufgenommenen Dogmatik aus der Bibel, und an der Richtigkeit meiner Religionsbegriffe. In meinem dreizehnten Jahre empfing ich mit vieler Andacht das Abendmahl, und bis in mein fünfzehntes hatte ich keinen Begriff, daß man in dem Dogma der Eucharistie anders denken könne, als die evangelische Lutherische Kirche, und doch noch an die Bibel glauben. Diesen Begriff erhielt ich durch Dörrbaums Exegese, aber ich ging schnell weiter, und bald folgten auf meh¬ rere Hypothesen über den wahren Zweck des Todes Jesu kühnere an der gänzlichen Ungewißheit dieser Ge¬ schichte an sich, und der Akkomodation derselben nach den Begriffen der an Opfer gewöhnten Völker. Ich sahe in der Erzählung, daß aus der Seite Jesu Blut und Wasser floß; die Nachahmung des Homers, der den Göttern auch kein rothes Blut vergießen läßt, und die Absicht, dadurch, daß Blut und Wasser floß, den Heiden recht einleuchtend zu machen, daß er Gott und Mensch sei, und dergleichen Erklärungen, warum so oder anders erzählt würde, fand ich sehr viele; kurz, wie mein Aufklärer starb, war ich gegen ihn schon ein Freigeist. Aus diesem Beispiel mag man sehen, wie schwer es ist, den Glauben zu läutern, ohne ihn auf¬ zuheben. Der meinige wurde nicht veredelt, nicht mit
kuͤhnen Exegeſe aus. Dies ſchwaͤchte in mir den Glau¬ ben an die unbedingte Guͤltigkeit der Lutheriſchen Ueber¬ ſetzung, an der richtigen Ableitung der in den Luthe¬ riſchen Katechismus aufgenommenen Dogmatik aus der Bibel, und an der Richtigkeit meiner Religionsbegriffe. In meinem dreizehnten Jahre empfing ich mit vieler Andacht das Abendmahl, und bis in mein fuͤnfzehntes hatte ich keinen Begriff, daß man in dem Dogma der Euchariſtie anders denken koͤnne, als die evangeliſche Lutheriſche Kirche, und doch noch an die Bibel glauben. Dieſen Begriff erhielt ich durch Doͤrrbaums Exegeſe, aber ich ging ſchnell weiter, und bald folgten auf meh¬ rere Hypotheſen uͤber den wahren Zweck des Todes Jeſu kuͤhnere an der gaͤnzlichen Ungewißheit dieſer Ge¬ ſchichte an ſich, und der Akkomodation derſelben nach den Begriffen der an Opfer gewoͤhnten Voͤlker. Ich ſahe in der Erzaͤhlung, daß aus der Seite Jeſu Blut und Waſſer floß; die Nachahmung des Homers, der den Goͤttern auch kein rothes Blut vergießen laͤßt, und die Abſicht, dadurch, daß Blut und Waſſer floß, den Heiden recht einleuchtend zu machen, daß er Gott und Menſch ſei, und dergleichen Erklaͤrungen, warum ſo oder anders erzaͤhlt wuͤrde, fand ich ſehr viele; kurz, wie mein Aufklaͤrer ſtarb, war ich gegen ihn ſchon ein Freigeiſt. Aus dieſem Beiſpiel mag man ſehen, wie ſchwer es iſt, den Glauben zu laͤutern, ohne ihn auf¬ zuheben. Der meinige wurde nicht veredelt, nicht mit
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kuͤhnen Exegeſe aus. Dies ſchwaͤchte in mir den Glau¬
ben an die unbedingte Guͤltigkeit der Lutheriſchen Ueber¬
ſetzung, an der richtigen Ableitung der in den Luthe¬
riſchen Katechismus aufgenommenen Dogmatik aus der
Bibel, und an der Richtigkeit meiner Religionsbegriffe.
In meinem dreizehnten Jahre empfing ich mit vieler
Andacht das Abendmahl, und bis in mein fuͤnfzehntes
hatte ich keinen Begriff, daß man in dem Dogma der
Euchariſtie anders denken koͤnne, als die evangeliſche
Lutheriſche Kirche, und doch noch an die Bibel glauben.
Dieſen Begriff erhielt ich durch Doͤrrbaums Exegeſe,
aber ich ging ſchnell weiter, und bald folgten auf meh¬
rere Hypotheſen uͤber den wahren Zweck des Todes
Jeſu kuͤhnere an der gaͤnzlichen Ungewißheit dieſer Ge¬
ſchichte an ſich, und der Akkomodation derſelben nach
den Begriffen der an Opfer gewoͤhnten Voͤlker. Ich
ſahe in der Erzaͤhlung, daß aus der Seite Jeſu Blut
und Waſſer floß; die Nachahmung des Homers, der
den Goͤttern auch kein rothes Blut vergießen laͤßt, und
die Abſicht, dadurch, daß Blut und Waſſer floß, den
Heiden recht einleuchtend zu machen, daß er Gott und
Menſch ſei, und dergleichen Erklaͤrungen, warum ſo
oder anders erzaͤhlt wuͤrde, fand ich ſehr viele; kurz,
wie mein Aufklaͤrer ſtarb, war ich gegen ihn ſchon ein
Freigeiſt. Aus dieſem Beiſpiel mag man ſehen, wie
ſchwer es iſt, den Glauben zu laͤutern, ohne ihn auf¬
zuheben. Der meinige wurde nicht veredelt, nicht mit
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/247>, abgerufen am 24.11.2024.
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