lernen, und ich begriff dadurch sehr leicht Haller's kleine Physiologie. Die Anlage meines Geistes, von synthe¬ tischer Darstellung vorzüglich angezogen zu werden, die der Wolfischen Methode bei mir sogleich Eingang ver¬ schaffte, mußte mich in der Heilkunde so bald für Boer¬ have'n gewinnen, als ich ihn kennen lernte, und Gau¬ bius mir in der Medicin werden, was mir Baumgarten in der Philosophie war. Doch konnte meine Anhäng¬ lichkeit, da ich einmal zweifeln gelernt hatte, nicht so lange dauern, und nachdem ich mir einige Kenntnisse in den theoretischen Theilen der Heilkunde erworben hatte, wandte ich meine Dialektik gegen die Heilkunde an, und fand sie sehr schwach begründet. Dies for¬ derte mich zur Untersuchung ihrer Grundsätze auf, und diese Untersuchung wurde der Gegenstand mehrerer im Jahre 1786 mit meinem Osterhausen gewechselten Briefe. Mit den Resultaten, die ich damals fand, bin ich noch einverstanden, und was ich nachher von meinen ent¬ worfenen Organen der Heilkunde bekannt machte, ist eine weitere Ausführung der Briefe. Eine Beschäfti¬ gung des Geistes, die durch die Zeitgeschichte veranlaßt wurde, lenkte mich von der Fortsetzung dieser Unter¬ suchungen ab; nämlich durch die damalige Verfolgung und Aufhebung des Illuminatenordens wurde meine Aufmerksamkeit auf geheime Gesellschaften gelenkt, und ich unterhielt mich mit meinen Freunden darüber. Da es so sehr leicht ist, zu bemerken, daß die Menschen
lernen, und ich begriff dadurch ſehr leicht Haller’s kleine Phyſiologie. Die Anlage meines Geiſtes, von ſynthe¬ tiſcher Darſtellung vorzuͤglich angezogen zu werden, die der Wolfiſchen Methode bei mir ſogleich Eingang ver¬ ſchaffte, mußte mich in der Heilkunde ſo bald fuͤr Boer¬ have’n gewinnen, als ich ihn kennen lernte, und Gau¬ bius mir in der Medicin werden, was mir Baumgarten in der Philoſophie war. Doch konnte meine Anhaͤng¬ lichkeit, da ich einmal zweifeln gelernt hatte, nicht ſo lange dauern, und nachdem ich mir einige Kenntniſſe in den theoretiſchen Theilen der Heilkunde erworben hatte, wandte ich meine Dialektik gegen die Heilkunde an, und fand ſie ſehr ſchwach begruͤndet. Dies for¬ derte mich zur Unterſuchung ihrer Grundſaͤtze auf, und dieſe Unterſuchung wurde der Gegenſtand mehrerer im Jahre 1786 mit meinem Oſterhauſen gewechſelten Briefe. Mit den Reſultaten, die ich damals fand, bin ich noch einverſtanden, und was ich nachher von meinen ent¬ worfenen Organen der Heilkunde bekannt machte, iſt eine weitere Ausfuͤhrung der Briefe. Eine Beſchaͤfti¬ gung des Geiſtes, die durch die Zeitgeſchichte veranlaßt wurde, lenkte mich von der Fortſetzung dieſer Unter¬ ſuchungen ab; naͤmlich durch die damalige Verfolgung und Aufhebung des Illuminatenordens wurde meine Aufmerkſamkeit auf geheime Geſellſchaften gelenkt, und ich unterhielt mich mit meinen Freunden daruͤber. Da es ſo ſehr leicht iſt, zu bemerken, daß die Menſchen
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lernen, und ich begriff dadurch ſehr leicht Haller’s kleine
Phyſiologie. Die Anlage meines Geiſtes, von ſynthe¬
tiſcher Darſtellung vorzuͤglich angezogen zu werden, die
der Wolfiſchen Methode bei mir ſogleich Eingang ver¬
ſchaffte, mußte mich in der Heilkunde ſo bald fuͤr Boer¬
have’n gewinnen, als ich ihn kennen lernte, und Gau¬
bius mir in der Medicin werden, was mir Baumgarten
in der Philoſophie war. Doch konnte meine Anhaͤng¬
lichkeit, da ich einmal zweifeln gelernt hatte, nicht ſo
lange dauern, und nachdem ich mir einige Kenntniſſe
in den theoretiſchen Theilen der Heilkunde erworben
hatte, wandte ich meine Dialektik gegen die Heilkunde
an, und fand ſie ſehr ſchwach begruͤndet. Dies for¬
derte mich zur Unterſuchung ihrer Grundſaͤtze auf, und
dieſe Unterſuchung wurde der Gegenſtand mehrerer im
Jahre 1786 mit meinem Oſterhauſen gewechſelten Briefe.
Mit den Reſultaten, die ich damals fand, bin ich noch
einverſtanden, und was ich nachher von meinen ent¬
worfenen Organen der Heilkunde bekannt machte, iſt
eine weitere Ausfuͤhrung der Briefe. Eine Beſchaͤfti¬
gung des Geiſtes, die durch die Zeitgeſchichte veranlaßt
wurde, lenkte mich von der Fortſetzung dieſer Unter¬
ſuchungen ab; naͤmlich durch die damalige Verfolgung
und Aufhebung des Illuminatenordens wurde meine
Aufmerkſamkeit auf geheime Geſellſchaften gelenkt, und
ich unterhielt mich mit meinen Freunden daruͤber. Da
es ſo ſehr leicht iſt, zu bemerken, daß die Menſchen
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/260>, abgerufen am 24.11.2024.
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