Merkwürdig ist vor allem das Verhältniß Goethe's zu der sogenannten neuen Schule, den beiden Schlegel, Tieck, Novalis und ihren Freunden. Er wird von ihnen gepriesen und vergöttert, so viel sie nur können; sie suchen alle andern gerühmten Namen um ihn her auszulöschen, um den seinen allein übrig zu lassen, dem hinfort ausschließlich aller Weihrauch duften soll. Be¬ sonders gehen sie darauf aus, den Nächsten nach ihm, den ihnen Gefährlichsten und Ungünstigsten unter allen Namhaften, seinen Freund Schiller zu untergraben. Dies gelingt ihnen auch zum Theil, zwar nicht bei dem großen Publikum, wohl aber bei den ästhetisch Gebil¬ deten, wo Schillers Ansehn noch jetzt an jenen Herab¬ setzungen leidet, deren Ziel er so lange Zeit gewesen. Und wie treiben sie es? Greifen sie ihn wissenschaftlich an? durch gründliche Untersuchungen, tief eingehende Prüfung seiner Erzeugnisse? durch Beweisführungen, denen nicht zu widersprechen ist? schreiben sie Bücher, Abhandlungen, Kritiken gegen ihn? Nichts von allem diesen. Sie setzen mit lächelnder Selbstgefälligkeit fest, Schiller tauge nichts, sie bemitleiden die Schwachen, die das nicht einsehn, sie wiederholen ihren Satz uner¬ müdet, in Versen, in Prosa, in Vorlesungen, im Ge¬ spräch, sie rufen ihn besonders der Jugend zu, die leicht¬ sinnig und prüfungslos das Vernommene tausendfach wiederholt. Erst mit Schillers Tode, da seine Neben¬
I.
Merkwuͤrdig iſt vor allem das Verhaͤltniß Goethe's zu der ſogenannten neuen Schule, den beiden Schlegel, Tieck, Novalis und ihren Freunden. Er wird von ihnen geprieſen und vergoͤttert, ſo viel ſie nur koͤnnen; ſie ſuchen alle andern geruͤhmten Namen um ihn her auszuloͤſchen, um den ſeinen allein uͤbrig zu laſſen, dem hinfort ausſchließlich aller Weihrauch duften ſoll. Be¬ ſonders gehen ſie darauf aus, den Naͤchſten nach ihm, den ihnen Gefaͤhrlichſten und Unguͤnſtigſten unter allen Namhaften, ſeinen Freund Schiller zu untergraben. Dies gelingt ihnen auch zum Theil, zwar nicht bei dem großen Publikum, wohl aber bei den aͤſthetiſch Gebil¬ deten, wo Schillers Anſehn noch jetzt an jenen Herab¬ ſetzungen leidet, deren Ziel er ſo lange Zeit geweſen. Und wie treiben ſie es? Greifen ſie ihn wiſſenſchaftlich an? durch gruͤndliche Unterſuchungen, tief eingehende Pruͤfung ſeiner Erzeugniſſe? durch Beweisfuͤhrungen, denen nicht zu widerſprechen iſt? ſchreiben ſie Buͤcher, Abhandlungen, Kritiken gegen ihn? Nichts von allem dieſen. Sie ſetzen mit laͤchelnder Selbſtgefaͤlligkeit feſt, Schiller tauge nichts, ſie bemitleiden die Schwachen, die das nicht einſehn, ſie wiederholen ihren Satz uner¬ muͤdet, in Verſen, in Proſa, in Vorleſungen, im Ge¬ ſpraͤch, ſie rufen ihn beſonders der Jugend zu, die leicht¬ ſinnig und pruͤfungslos das Vernommene tauſendfach wiederholt. Erſt mit Schillers Tode, da ſeine Neben¬
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I.
Merkwuͤrdig iſt vor allem das Verhaͤltniß Goethe's
zu der ſogenannten neuen Schule, den beiden Schlegel,
Tieck, Novalis und ihren Freunden. Er wird von
ihnen geprieſen und vergoͤttert, ſo viel ſie nur koͤnnen;
ſie ſuchen alle andern geruͤhmten Namen um ihn her
auszuloͤſchen, um den ſeinen allein uͤbrig zu laſſen, dem
hinfort ausſchließlich aller Weihrauch duften ſoll. Be¬
ſonders gehen ſie darauf aus, den Naͤchſten nach ihm,
den ihnen Gefaͤhrlichſten und Unguͤnſtigſten unter allen
Namhaften, ſeinen Freund Schiller zu untergraben. Dies
gelingt ihnen auch zum Theil, zwar nicht bei dem
großen Publikum, wohl aber bei den aͤſthetiſch Gebil¬
deten, wo Schillers Anſehn noch jetzt an jenen Herab¬
ſetzungen leidet, deren Ziel er ſo lange Zeit geweſen.
Und wie treiben ſie es? Greifen ſie ihn wiſſenſchaftlich
an? durch gruͤndliche Unterſuchungen, tief eingehende
Pruͤfung ſeiner Erzeugniſſe? durch Beweisfuͤhrungen,
denen nicht zu widerſprechen iſt? ſchreiben ſie Buͤcher,
Abhandlungen, Kritiken gegen ihn? Nichts von allem
dieſen. Sie ſetzen mit laͤchelnder Selbſtgefaͤlligkeit feſt,
Schiller tauge nichts, ſie bemitleiden die Schwachen,
die das nicht einſehn, ſie wiederholen ihren Satz uner¬
muͤdet, in Verſen, in Proſa, in Vorleſungen, im Ge¬
ſpraͤch, ſie rufen ihn beſonders der Jugend zu, die leicht¬
ſinnig und pruͤfungslos das Vernommene tauſendfach
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/487>, abgerufen am 24.11.2024.
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