Anführung von Englands Beispiel ist schlagend; das Christenthum steht in Englands Verfassung und Sitten im höchsten, begründetsten Ansehn, aber jede fanatische Wirkung auf den Staat und die bürgerliche Gesellschaft ist ihm abgeschnitten; wer schwärmen will, mag es dort auf eigne Hand und Gefahr thun, aber auch frei zu denken ist ihm gesichert, und niemand hat von des Nach¬ bars Fanatismus und Aberglauben einen Zwang für sich zu befürchten. Diesen Zustand wünschte Voltaire auch in Frankreich, ja in der ganzen Welt zu sehen; ist ihm dies zu verdenken? Wir, hierin glücklicher, als er, sehen diesen Zustand über einen großen Theil der Welt verbreitet, wahrlich zum größten Gewinn der Re¬ ligion und Moral, und sollten nicht vergessen, welchen Bemühungen wir dieses auch schon wieder hier und da bedrohte Bessergewordene großentheils mitverdanken! --
7.
Goethe schrieb im Februar 1814 an eine Freundin in Dresden folgende Worte über das Werk von Frau von Stael "de l'Allemagne," das er eine wohlbereitete geistige Speise nannte: "Sie haben das Buch selbst gelesen, und es bedarf also meiner Empfehlung nicht. Ich kannte einen großen Theil desselben im Manuskript, lese es aber immer mit neuem Antheil. Das Buch macht auf die angenehmste Weise denken, und man steht mit der Verfasserin niemals in Widerspruch, wenn man
Anfuͤhrung von Englands Beiſpiel iſt ſchlagend; das Chriſtenthum ſteht in Englands Verfaſſung und Sitten im hoͤchſten, begruͤndetſten Anſehn, aber jede fanatiſche Wirkung auf den Staat und die buͤrgerliche Geſellſchaft iſt ihm abgeſchnitten; wer ſchwaͤrmen will, mag es dort auf eigne Hand und Gefahr thun, aber auch frei zu denken iſt ihm geſichert, und niemand hat von des Nach¬ bars Fanatismus und Aberglauben einen Zwang fuͤr ſich zu befuͤrchten. Dieſen Zuſtand wuͤnſchte Voltaire auch in Frankreich, ja in der ganzen Welt zu ſehen; iſt ihm dies zu verdenken? Wir, hierin gluͤcklicher, als er, ſehen dieſen Zuſtand uͤber einen großen Theil der Welt verbreitet, wahrlich zum groͤßten Gewinn der Re¬ ligion und Moral, und ſollten nicht vergeſſen, welchen Bemuͤhungen wir dieſes auch ſchon wieder hier und da bedrohte Beſſergewordene großentheils mitverdanken! —
7.
Goethe ſchrieb im Februar 1814 an eine Freundin in Dresden folgende Worte uͤber das Werk von Frau von Staël „de l'Allemagne,“ das er eine wohlbereitete geiſtige Speiſe nannte: „Sie haben das Buch ſelbſt geleſen, und es bedarf alſo meiner Empfehlung nicht. Ich kannte einen großen Theil deſſelben im Manuſkript, leſe es aber immer mit neuem Antheil. Das Buch macht auf die angenehmſte Weiſe denken, und man ſteht mit der Verfaſſerin niemals in Widerſpruch, wenn man
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[489/0503]
Anfuͤhrung von Englands Beiſpiel iſt ſchlagend; das
Chriſtenthum ſteht in Englands Verfaſſung und Sitten
im hoͤchſten, begruͤndetſten Anſehn, aber jede fanatiſche
Wirkung auf den Staat und die buͤrgerliche Geſellſchaft
iſt ihm abgeſchnitten; wer ſchwaͤrmen will, mag es dort
auf eigne Hand und Gefahr thun, aber auch frei zu
denken iſt ihm geſichert, und niemand hat von des Nach¬
bars Fanatismus und Aberglauben einen Zwang fuͤr
ſich zu befuͤrchten. Dieſen Zuſtand wuͤnſchte Voltaire
auch in Frankreich, ja in der ganzen Welt zu ſehen;
iſt ihm dies zu verdenken? Wir, hierin gluͤcklicher, als
er, ſehen dieſen Zuſtand uͤber einen großen Theil der
Welt verbreitet, wahrlich zum groͤßten Gewinn der Re¬
ligion und Moral, und ſollten nicht vergeſſen, welchen
Bemuͤhungen wir dieſes auch ſchon wieder hier und da
bedrohte Beſſergewordene großentheils mitverdanken! —
7.
Goethe ſchrieb im Februar 1814 an eine Freundin
in Dresden folgende Worte uͤber das Werk von Frau
von Staël „de l'Allemagne,“ das er eine wohlbereitete
geiſtige Speiſe nannte: „Sie haben das Buch ſelbſt
geleſen, und es bedarf alſo meiner Empfehlung nicht.
Ich kannte einen großen Theil deſſelben im Manuſkript,
leſe es aber immer mit neuem Antheil. Das Buch
macht auf die angenehmſte Weiſe denken, und man ſteht
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/503>, abgerufen am 24.11.2024.
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