gewandte Ausführung bei ihm zur vollkommensten Har¬ monie gelangten. Dies Zeugniß geben ihm schou über ein Jahrhundert seine Stücke, die ja noch, obschon sei¬ ner persönlichen Darstellung entbehrend, die talentvoll¬ sten, geistreichsten Künstler aufregen, ihnen durch frische Lebendigung genug zu thun." Und vom Misanthropen desselben Autors wird bemerkt: "Man beschaue ihn, und frage sich, ob jemals ein Dichter sein Inneres vollkommener und liebenswürdiger dargestellt habe. Wir möchten gern Inhalt und Behandlung dieses Stücks tragisch nennen, weil dasjenige vor Blick und Geist gebracht wird, was uns selbst oft zur Verzweiflung bringt, und wie ihn aus der Welt jagen möchte. Hier stellt sich der reine Mensch dar, welcher bei gewonnener großer Bildung doch unnatürlich geblieben ist, und wie mit sich, so auch mit Andern, nur gar zu gern wahr und gründlich sein möchte; wir sehn ihn aber im Con¬ flikt mit der sozialen Welt, in der man ohne Verstellung und Falschheit nicht umhergehen kann." In Eckerman's Gesprächen (Thl. I. S. 241) findet sich dieses Urtheil über Moliere und die Bewunderung seiner Großheit und Macht schon zu Anfang des Jahres 1826 ausge¬ sprochen, und wir sehen aus allen diesen verschiedenen Stellen, daß Goethe's Anerkennung so großer Verdienste von keinen Tageseinflüssen abhängig, sondern immer auf's neue aus wahrer Würdigung hervorging. Gegen die Schlegel'schen tadlendes Urtheil hatten auch andre
gewandte Ausfuͤhrung bei ihm zur vollkommenſten Har¬ monie gelangten. Dies Zeugniß geben ihm ſchou uͤber ein Jahrhundert ſeine Stuͤcke, die ja noch, obſchon ſei¬ ner perſoͤnlichen Darſtellung entbehrend, die talentvoll¬ ſten, geiſtreichſten Kuͤnſtler aufregen, ihnen durch friſche Lebendigung genug zu thun.“ Und vom Miſanthropen deſſelben Autors wird bemerkt: „Man beſchaue ihn, und frage ſich, ob jemals ein Dichter ſein Inneres vollkommener und liebenswuͤrdiger dargeſtellt habe. Wir moͤchten gern Inhalt und Behandlung dieſes Stuͤcks tragiſch nennen, weil dasjenige vor Blick und Geiſt gebracht wird, was uns ſelbſt oft zur Verzweiflung bringt, und wie ihn aus der Welt jagen moͤchte. Hier ſtellt ſich der reine Menſch dar, welcher bei gewonnener großer Bildung doch unnatuͤrlich geblieben iſt, und wie mit ſich, ſo auch mit Andern, nur gar zu gern wahr und gruͤndlich ſein moͤchte; wir ſehn ihn aber im Con¬ flikt mit der ſozialen Welt, in der man ohne Verſtellung und Falſchheit nicht umhergehen kann.“ In Eckerman's Geſpraͤchen (Thl. I. S. 241) findet ſich dieſes Urtheil uͤber Molière und die Bewunderung ſeiner Großheit und Macht ſchon zu Anfang des Jahres 1826 ausge¬ ſprochen, und wir ſehen aus allen dieſen verſchiedenen Stellen, daß Goethe's Anerkennung ſo großer Verdienſte von keinen Tageseinfluͤſſen abhaͤngig, ſondern immer auf's neue aus wahrer Wuͤrdigung hervorging. Gegen die Schlegel'ſchen tadlendes Urtheil hatten auch andre
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gewandte Ausfuͤhrung bei ihm zur vollkommenſten Har¬
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ein Jahrhundert ſeine Stuͤcke, die ja noch, obſchon ſei¬
ner perſoͤnlichen Darſtellung entbehrend, die talentvoll¬
ſten, geiſtreichſten Kuͤnſtler aufregen, ihnen durch friſche
Lebendigung genug zu thun.“ Und vom Miſanthropen
deſſelben Autors wird bemerkt: „Man beſchaue ihn,
und frage ſich, ob jemals ein Dichter ſein Inneres
vollkommener und liebenswuͤrdiger dargeſtellt habe. Wir
moͤchten gern Inhalt und Behandlung dieſes Stuͤcks
tragiſch nennen, weil dasjenige vor Blick und Geiſt
gebracht wird, was uns ſelbſt oft zur Verzweiflung
bringt, und wie ihn aus der Welt jagen moͤchte. Hier
ſtellt ſich der reine Menſch dar, welcher bei gewonnener
großer Bildung doch unnatuͤrlich geblieben iſt, und wie
mit ſich, ſo auch mit Andern, nur gar zu gern wahr
und gruͤndlich ſein moͤchte; wir ſehn ihn aber im Con¬
flikt mit der ſozialen Welt, in der man ohne Verſtellung
und Falſchheit nicht umhergehen kann.“ In Eckerman's
Geſpraͤchen (Thl. I. S. 241) findet ſich dieſes Urtheil
uͤber Molière und die Bewunderung ſeiner Großheit
und Macht ſchon zu Anfang des Jahres 1826 ausge¬
ſprochen, und wir ſehen aus allen dieſen verſchiedenen
Stellen, daß Goethe's Anerkennung ſo großer Verdienſte
von keinen Tageseinfluͤſſen abhaͤngig, ſondern immer
auf's neue aus wahrer Wuͤrdigung hervorging. Gegen
die Schlegel'ſchen tadlendes Urtheil hatten auch andre
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/507>, abgerufen am 24.11.2024.
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