mir zu weh. Ist nur die Frage, ob der empfindliche Autor, der eine muthwillige Laune so übel nimmt, sich nie einer schlimmern Verhöhnung und Mißhandlung von Schriften schuldig gemacht, deren Inhalt er aus Vor¬ urtheil ungeprüft verworfen, oder gar nicht in seinen Gesichtskreis fallen konnte? --
9.
Im Jahre 1828 schrieb Goethe an Zelter: "Ich freue mich, daß du meiner Anmahnung ein Ohr ge¬ liehen und dich zu Moliere gewendet hast. Die lieben Deutschen glauben nur Geist zu haben, wenn sie pa¬ radox, das heißt ungerecht, sind. Was Schlegel in seinen Vorlesungen über Moliere sagte, hat mich tief gekränkt; ich schwieg viele Jahre, will aber doch nun eins und das andere nachbringen, um zum Trost man¬ cher vor- und rückwärts denkenden Menschen, jetziger und künftiger Zeit, dergleichen Irrsale aufzudecken." Aus derselben Zeit sind ein paar Aufsätze in den nach¬ gelassenen Schriften Goethe's, (W. Thl. 46. S. 151 ff.) wo von Moliere mit großem und wohlbegründetem Lobe gesprochen, und unter andern gesagt wird: "Wenn einmal Komödie sein soll, ist unter denen, welche sich darin übten und hervorthaten, Moliere in die erste Klasse und an einen vorzüglichen Ort zu setzen. Denn was kann man mehr von einem Künstler sagen, als daß vorzügliches Naturell, sorgfältige Ausbildung und
mir zu weh. Iſt nur die Frage, ob der empfindliche Autor, der eine muthwillige Laune ſo uͤbel nimmt, ſich nie einer ſchlimmern Verhoͤhnung und Mißhandlung von Schriften ſchuldig gemacht, deren Inhalt er aus Vor¬ urtheil ungepruͤft verworfen, oder gar nicht in ſeinen Geſichtskreis fallen konnte? —
9.
Im Jahre 1828 ſchrieb Goethe an Zelter: „Ich freue mich, daß du meiner Anmahnung ein Ohr ge¬ liehen und dich zu Molière gewendet haſt. Die lieben Deutſchen glauben nur Geiſt zu haben, wenn ſie pa¬ radox, das heißt ungerecht, ſind. Was Schlegel in ſeinen Vorleſungen uͤber Molière ſagte, hat mich tief gekraͤnkt; ich ſchwieg viele Jahre, will aber doch nun eins und das andere nachbringen, um zum Troſt man¬ cher vor- und ruͤckwaͤrts denkenden Menſchen, jetziger und kuͤnftiger Zeit, dergleichen Irrſale aufzudecken.“ Aus derſelben Zeit ſind ein paar Aufſaͤtze in den nach¬ gelaſſenen Schriften Goethe’s, (W. Thl. 46. S. 151 ff.) wo von Molière mit großem und wohlbegruͤndetem Lobe geſprochen, und unter andern geſagt wird: „Wenn einmal Komoͤdie ſein ſoll, iſt unter denen, welche ſich darin uͤbten und hervorthaten, Molière in die erſte Klaſſe und an einen vorzuͤglichen Ort zu ſetzen. Denn was kann man mehr von einem Kuͤnſtler ſagen, als daß vorzuͤgliches Naturell, ſorgfaͤltige Ausbildung und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0506"n="492"/>
mir zu weh. Iſt nur die Frage, ob der empfindliche<lb/>
Autor, der eine muthwillige Laune ſo uͤbel nimmt, ſich<lb/>
nie einer ſchlimmern Verhoͤhnung und Mißhandlung von<lb/>
Schriften ſchuldig gemacht, deren Inhalt er aus Vor¬<lb/>
urtheil ungepruͤft verworfen, oder gar nicht in ſeinen<lb/>
Geſichtskreis fallen konnte? —</p><lb/></div><divn="3"><head><hirendition="#b">9</hi>.<lb/></head><p>Im Jahre <hirendition="#b">1828</hi>ſchrieb Goethe an Zelter: „Ich<lb/>
freue mich, daß du meiner Anmahnung ein Ohr ge¬<lb/>
liehen und dich zu Molière gewendet haſt. Die lieben<lb/>
Deutſchen glauben nur Geiſt zu haben, wenn ſie pa¬<lb/>
radox, das heißt ungerecht, ſind. Was Schlegel in<lb/>ſeinen Vorleſungen uͤber Molière ſagte, hat mich tief<lb/>
gekraͤnkt; ich ſchwieg viele Jahre, will aber doch nun<lb/>
eins und das andere nachbringen, um zum Troſt man¬<lb/>
cher vor- und ruͤckwaͤrts denkenden Menſchen, jetziger<lb/>
und kuͤnftiger Zeit, dergleichen Irrſale aufzudecken.“<lb/>
Aus derſelben Zeit ſind ein paar Aufſaͤtze in den nach¬<lb/>
gelaſſenen Schriften Goethe’s, (W. Thl. <hirendition="#b">46</hi>. S. <hirendition="#b">151</hi> ff.)<lb/>
wo von Molière mit großem und wohlbegruͤndetem<lb/>
Lobe geſprochen, und unter andern geſagt wird: „Wenn<lb/>
einmal Komoͤdie ſein ſoll, iſt unter denen, welche ſich<lb/>
darin uͤbten und hervorthaten, Molière in die erſte<lb/>
Klaſſe und an einen vorzuͤglichen Ort zu ſetzen. Denn<lb/>
was kann man mehr von einem Kuͤnſtler ſagen, als<lb/>
daß vorzuͤgliches Naturell, ſorgfaͤltige Ausbildung und<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[492/0506]
mir zu weh. Iſt nur die Frage, ob der empfindliche
Autor, der eine muthwillige Laune ſo uͤbel nimmt, ſich
nie einer ſchlimmern Verhoͤhnung und Mißhandlung von
Schriften ſchuldig gemacht, deren Inhalt er aus Vor¬
urtheil ungepruͤft verworfen, oder gar nicht in ſeinen
Geſichtskreis fallen konnte? —
9.
Im Jahre 1828 ſchrieb Goethe an Zelter: „Ich
freue mich, daß du meiner Anmahnung ein Ohr ge¬
liehen und dich zu Molière gewendet haſt. Die lieben
Deutſchen glauben nur Geiſt zu haben, wenn ſie pa¬
radox, das heißt ungerecht, ſind. Was Schlegel in
ſeinen Vorleſungen uͤber Molière ſagte, hat mich tief
gekraͤnkt; ich ſchwieg viele Jahre, will aber doch nun
eins und das andere nachbringen, um zum Troſt man¬
cher vor- und ruͤckwaͤrts denkenden Menſchen, jetziger
und kuͤnftiger Zeit, dergleichen Irrſale aufzudecken.“
Aus derſelben Zeit ſind ein paar Aufſaͤtze in den nach¬
gelaſſenen Schriften Goethe’s, (W. Thl. 46. S. 151 ff.)
wo von Molière mit großem und wohlbegruͤndetem
Lobe geſprochen, und unter andern geſagt wird: „Wenn
einmal Komoͤdie ſein ſoll, iſt unter denen, welche ſich
darin uͤbten und hervorthaten, Molière in die erſte
Klaſſe und an einen vorzuͤglichen Ort zu ſetzen. Denn
was kann man mehr von einem Kuͤnſtler ſagen, als
daß vorzuͤgliches Naturell, ſorgfaͤltige Ausbildung und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/506>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.