können. Um zu erfahren in wiefern dieses möglich sei, wollen wir die ersten Zeiten des bald zu hoffenden Frie¬ dens abwarten." Goethe urtheilte zu allen Zeiten sehr billig über Frau von Stael, und war von ihren großen Gaben leicht eingenommen; in ihren Schriften sah er mehr das Weltwirkende, Konversatorische, als das Kunst¬ gebild oder Wissenschaftliche, und gewiß kann man alles, was sie dichtend oder untersuchend und lehrend geschrie¬ ben, als eine Fortsetzung und Erweiterung ihres Ge¬ sprächs und ihres persönlichen Gesellschaft-Einflusses betrachten.
8.
Auf einem uns zufällig vor Augen gekommenen Denkblatt fanden wir folgende wehmüthig-unwillige Klage von Ludwig Robert niedergeschrieben: "Hast du nie etwas von deinen Arbeiten Goethe'n geschickt?" fragte mich ein Freund; "Niemals, antwortete ich; denn, als ich einst, ich glaube im Jahre 1804, bei ihm zu Tische war, kamen Almanache, der Chamisso-Varn¬ hagen'sche war auch darunter, und Goethe nahm einen nach dem andern, hielt sie an seine und seiner Frau Ohren, und fragte: "Hörst du was? ich höre nichts. Nun! wir wollen die Kupfer betrachten, das ist doch das Beste;" und so legte man die Almanache bei Seite. Da nahm ich mir vor, nie ihm etwas zu schicken, und hab's auch gehalten, diese Art von Verachtung that
koͤnnen. Um zu erfahren in wiefern dieſes moͤglich ſei, wollen wir die erſten Zeiten des bald zu hoffenden Frie¬ dens abwarten.“ Goethe urtheilte zu allen Zeiten ſehr billig uͤber Frau von Staël, und war von ihren großen Gaben leicht eingenommen; in ihren Schriften ſah er mehr das Weltwirkende, Konverſatoriſche, als das Kunſt¬ gebild oder Wiſſenſchaftliche, und gewiß kann man alles, was ſie dichtend oder unterſuchend und lehrend geſchrie¬ ben, als eine Fortſetzung und Erweiterung ihres Ge¬ ſpraͤchs und ihres perſoͤnlichen Geſellſchaft-Einfluſſes betrachten.
8.
Auf einem uns zufaͤllig vor Augen gekommenen Denkblatt fanden wir folgende wehmuͤthig-unwillige Klage von Ludwig Robert niedergeſchrieben: „Haſt du nie etwas von deinen Arbeiten Goethe'n geſchickt?” fragte mich ein Freund; „Niemals, antwortete ich; denn, als ich einſt, ich glaube im Jahre 1804, bei ihm zu Tiſche war, kamen Almanache, der Chamiſſo-Varn¬ hagen'ſche war auch darunter, und Goethe nahm einen nach dem andern, hielt ſie an ſeine und ſeiner Frau Ohren, und fragte: „Hoͤrſt du was? ich hoͤre nichts. Nun! wir wollen die Kupfer betrachten, das iſt doch das Beſte;“ und ſo legte man die Almanache bei Seite. Da nahm ich mir vor, nie ihm etwas zu ſchicken, und hab's auch gehalten, dieſe Art von Verachtung that
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koͤnnen. Um zu erfahren in wiefern dieſes moͤglich ſei,
wollen wir die erſten Zeiten des bald zu hoffenden Frie¬
dens abwarten.“ Goethe urtheilte zu allen Zeiten ſehr
billig uͤber Frau von Staël, und war von ihren großen
Gaben leicht eingenommen; in ihren Schriften ſah er
mehr das Weltwirkende, Konverſatoriſche, als das Kunſt¬
gebild oder Wiſſenſchaftliche, und gewiß kann man alles,
was ſie dichtend oder unterſuchend und lehrend geſchrie¬
ben, als eine Fortſetzung und Erweiterung ihres Ge¬
ſpraͤchs und ihres perſoͤnlichen Geſellſchaft-Einfluſſes
betrachten.
8.
Auf einem uns zufaͤllig vor Augen gekommenen
Denkblatt fanden wir folgende wehmuͤthig-unwillige
Klage von Ludwig Robert niedergeſchrieben: „Haſt du
nie etwas von deinen Arbeiten Goethe'n geſchickt?”
fragte mich ein Freund; „Niemals, antwortete ich;
denn, als ich einſt, ich glaube im Jahre 1804, bei ihm
zu Tiſche war, kamen Almanache, der Chamiſſo-Varn¬
hagen'ſche war auch darunter, und Goethe nahm einen
nach dem andern, hielt ſie an ſeine und ſeiner Frau
Ohren, und fragte: „Hoͤrſt du was? ich hoͤre nichts.
Nun! wir wollen die Kupfer betrachten, das iſt doch
das Beſte;“ und ſo legte man die Almanache bei Seite.
Da nahm ich mir vor, nie ihm etwas zu ſchicken, und
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 491. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/505>, abgerufen am 21.11.2024.
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