erhaltenen guten Nachrichten zu sprechen. -- Ich blieb! Von diesem Augenblick an sagten sie, ich sei empfindlich und sonderbar wie Jean Jaques Rousseau, -- und diesen Karakter hab' ich hernach behalten.
Indessen war ich verdammt, die schöne Madame de la Chatre vom Morgen bis zum Abend zu betrachten. Ihr Wesen war nicht sanft, nicht gütig, nicht empfindsam, sie war vielmehr rasch, lebhaft, mannhaft, heftig schneidend zuweilen, und diese Frauenzimmer rühren mich sonst nicht; aber sie war ehrlich, fein, offen, hatte die schönste, vollkommenste weibliche Form, Händ' und Füße zum Mahlen, und eine Haut so weiß und fein, daß es sogar in England vergeblich gewesen sein würde, eine schönere aufzusuchen. Ich sah sie morgens ehe sie aufstand, abends ehe sie einschlief, und den ganzen Tag über bald sitzend, bald stehend, bald liegend auf dem Sopha in den schönst-möglichsten Attitüden, immer voll Leichtigkeit und Anmuth in ihren Bewegungen, -- sie begegnete mir überdies sehr freundschaftlich, und hatte die Art von Freud' an mir, die man an einem Wesen von besondrer Art hat, dessen Freimüthigkeit gefällt. -- Es war mir nicht möglich, unter diesen Umständen gleichgültig zu bleiben.
Nach und nach kamen von Paris Talleyrand, Jaucourt, Montmorency, und eine große Menge andrer Herren. Die Zirkel bei Madame de la Chatre wurden sehr brillant. Wir speisten oft zu achtzehn bis zwanzig Personen. Gegenstände aller Art wurden verhandelt, Systeme aller Art wurden vertheidigt, Anek¬ doten aller Art erzählt. Witz und Laune wurden vergossen! -- Natürlicherweise konnt' ich mit diesen Herrn in ihrer Art nicht wetteifern; ich hielt mich daher desto, genauer an meine eigne; ich war so unfranzösisch wie möglich. Meistens kalt, streng wahr in allem, was ich sagte, naiv aufrichtig, unverbindlich in Wor¬ ten, und äußerst zuvorkommend, wo ich gefällig sein konnte,
erhaltenen guten Nachrichten zu ſprechen. — Ich blieb! Von dieſem Augenblick an ſagten ſie, ich ſei empfindlich und ſonderbar wie Jean Jaques Rouſſeau, — und dieſen Karakter hab' ich hernach behalten.
Indeſſen war ich verdammt, die ſchoͤne Madame de la Châtre vom Morgen bis zum Abend zu betrachten. Ihr Weſen war nicht ſanft, nicht guͤtig, nicht empfindſam, ſie war vielmehr raſch, lebhaft, mannhaft, heftig ſchneidend zuweilen, und dieſe Frauenzimmer ruͤhren mich ſonſt nicht; aber ſie war ehrlich, fein, offen, hatte die ſchoͤnſte, vollkommenſte weibliche Form, Haͤnd' und Fuͤße zum Mahlen, und eine Haut ſo weiß und fein, daß es ſogar in England vergeblich geweſen ſein wuͤrde, eine ſchoͤnere aufzuſuchen. Ich ſah ſie morgens ehe ſie aufſtand, abends ehe ſie einſchlief, und den ganzen Tag uͤber bald ſitzend, bald ſtehend, bald liegend auf dem Sopha in den ſchoͤnſt-moͤglichſten Attituͤden, immer voll Leichtigkeit und Anmuth in ihren Bewegungen, — ſie begegnete mir uͤberdies ſehr freundſchaftlich, und hatte die Art von Freud' an mir, die man an einem Weſen von beſondrer Art hat, deſſen Freimuͤthigkeit gefaͤllt. — Es war mir nicht moͤglich, unter dieſen Umſtaͤnden gleichguͤltig zu bleiben.
Nach und nach kamen von Paris Talleyrand, Jaucourt, Montmorency, und eine große Menge andrer Herren. Die Zirkel bei Madame de la Châtre wurden ſehr brillant. Wir ſpeiſten oft zu achtzehn bis zwanzig Perſonen. Gegenſtaͤnde aller Art wurden verhandelt, Syſteme aller Art wurden vertheidigt, Anek¬ doten aller Art erzaͤhlt. Witz und Laune wurden vergoſſen! — Natuͤrlicherweiſe konnt' ich mit dieſen Herrn in ihrer Art nicht wetteifern; ich hielt mich daher deſto, genauer an meine eigne; ich war ſo unfranzoͤſiſch wie moͤglich. Meiſtens kalt, ſtreng wahr in allem, was ich ſagte, naiv aufrichtig, unverbindlich in Wor¬ ten, und aͤußerſt zuvorkommend, wo ich gefaͤllig ſein konnte,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0056"n="42"/>
erhaltenen guten Nachrichten zu ſprechen. — Ich blieb! Von<lb/>
dieſem Augenblick an ſagten ſie, ich ſei empfindlich und ſonderbar<lb/>
wie Jean Jaques Rouſſeau, — und dieſen Karakter hab' ich<lb/>
hernach behalten.</p><lb/><p>Indeſſen war ich verdammt, die ſchoͤne Madame de la Ch<hirendition="#aq">â</hi>tre<lb/>
vom Morgen bis zum Abend zu betrachten. Ihr Weſen war<lb/>
nicht ſanft, nicht guͤtig, nicht empfindſam, ſie war vielmehr<lb/>
raſch, lebhaft, mannhaft, heftig ſchneidend zuweilen, und dieſe<lb/>
Frauenzimmer ruͤhren mich ſonſt nicht; aber ſie war ehrlich, fein,<lb/>
offen, hatte die ſchoͤnſte, vollkommenſte weibliche Form, Haͤnd'<lb/>
und Fuͤße zum Mahlen, und eine Haut ſo weiß und fein, daß<lb/>
es ſogar in England vergeblich geweſen ſein wuͤrde, eine ſchoͤnere<lb/>
aufzuſuchen. Ich ſah ſie morgens ehe ſie aufſtand, abends ehe<lb/>ſie einſchlief, und den ganzen Tag uͤber bald ſitzend, bald ſtehend,<lb/>
bald liegend auf dem Sopha in den ſchoͤnſt-moͤglichſten Attituͤden,<lb/>
immer voll Leichtigkeit und Anmuth in ihren Bewegungen, —<lb/>ſie begegnete mir uͤberdies ſehr freundſchaftlich, und hatte die<lb/>
Art von Freud' an mir, die man an einem Weſen von beſondrer<lb/>
Art hat, deſſen Freimuͤthigkeit gefaͤllt. — Es war mir nicht<lb/>
moͤglich, unter dieſen Umſtaͤnden gleichguͤltig zu bleiben.</p><lb/><p>Nach und nach kamen von Paris Talleyrand, Jaucourt,<lb/>
Montmorency, und eine große Menge andrer Herren. Die Zirkel<lb/>
bei Madame de la Ch<hirendition="#aq">â</hi>tre wurden ſehr brillant. Wir ſpeiſten<lb/>
oft zu achtzehn bis zwanzig Perſonen. Gegenſtaͤnde aller Art<lb/>
wurden verhandelt, Syſteme aller Art wurden vertheidigt, Anek¬<lb/>
doten aller Art erzaͤhlt. Witz und Laune wurden vergoſſen! —<lb/>
Natuͤrlicherweiſe konnt' ich mit dieſen Herrn in <hirendition="#g">ihrer</hi> Art nicht<lb/>
wetteifern; ich hielt mich daher deſto, genauer an meine <hirendition="#g">eigne</hi>;<lb/>
ich war ſo unfranzoͤſiſch wie moͤglich. Meiſtens kalt, ſtreng wahr<lb/>
in allem, was ich ſagte, naiv aufrichtig, unverbindlich in Wor¬<lb/>
ten, und aͤußerſt zuvorkommend, wo ich gefaͤllig ſein konnte,<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[42/0056]
erhaltenen guten Nachrichten zu ſprechen. — Ich blieb! Von
dieſem Augenblick an ſagten ſie, ich ſei empfindlich und ſonderbar
wie Jean Jaques Rouſſeau, — und dieſen Karakter hab' ich
hernach behalten.
Indeſſen war ich verdammt, die ſchoͤne Madame de la Châtre
vom Morgen bis zum Abend zu betrachten. Ihr Weſen war
nicht ſanft, nicht guͤtig, nicht empfindſam, ſie war vielmehr
raſch, lebhaft, mannhaft, heftig ſchneidend zuweilen, und dieſe
Frauenzimmer ruͤhren mich ſonſt nicht; aber ſie war ehrlich, fein,
offen, hatte die ſchoͤnſte, vollkommenſte weibliche Form, Haͤnd'
und Fuͤße zum Mahlen, und eine Haut ſo weiß und fein, daß
es ſogar in England vergeblich geweſen ſein wuͤrde, eine ſchoͤnere
aufzuſuchen. Ich ſah ſie morgens ehe ſie aufſtand, abends ehe
ſie einſchlief, und den ganzen Tag uͤber bald ſitzend, bald ſtehend,
bald liegend auf dem Sopha in den ſchoͤnſt-moͤglichſten Attituͤden,
immer voll Leichtigkeit und Anmuth in ihren Bewegungen, —
ſie begegnete mir uͤberdies ſehr freundſchaftlich, und hatte die
Art von Freud' an mir, die man an einem Weſen von beſondrer
Art hat, deſſen Freimuͤthigkeit gefaͤllt. — Es war mir nicht
moͤglich, unter dieſen Umſtaͤnden gleichguͤltig zu bleiben.
Nach und nach kamen von Paris Talleyrand, Jaucourt,
Montmorency, und eine große Menge andrer Herren. Die Zirkel
bei Madame de la Châtre wurden ſehr brillant. Wir ſpeiſten
oft zu achtzehn bis zwanzig Perſonen. Gegenſtaͤnde aller Art
wurden verhandelt, Syſteme aller Art wurden vertheidigt, Anek¬
doten aller Art erzaͤhlt. Witz und Laune wurden vergoſſen! —
Natuͤrlicherweiſe konnt' ich mit dieſen Herrn in ihrer Art nicht
wetteifern; ich hielt mich daher deſto, genauer an meine eigne;
ich war ſo unfranzoͤſiſch wie moͤglich. Meiſtens kalt, ſtreng wahr
in allem, was ich ſagte, naiv aufrichtig, unverbindlich in Wor¬
ten, und aͤußerſt zuvorkommend, wo ich gefaͤllig ſein konnte,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/56>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.