vorzüglich fehlte meiner Madame de la Chatre keine Nadel, kein Etwas, so unbedeutend es auch sei, das ich ihr nicht entgegen¬ trug, -- treffend zuweilen in meinen Bemerkungen, vorzüglich wenn die Herren im Disputiren sich erhitzten und gegenseitig einander nicht verstanden, uneitel, stolz-männlich, verschafft' ich mir eine Art von Existenz, die mir nicht unangenehm war, wobei mein wirklicher Karakter, glaub' ich, gewann, und die sich besser fühlen als beschreiben läßt.
Ob indeß dies Leben auf die Dauer gut für mich gewesen wäre, weiß ich nicht. Ich las Voltaire und Rousseau, studirte die französische Sprache und die Menschen, die um mich waren, aber meine närrische Leidenschaft machte mich zuweilen mißmuthig, und störte die Freiheit meiner Seelenkräfte. Zum Glück zerstreute sich die ganze Gesellschaft. -- Narbonne, Madame de la Chatre, Jaucourt, Montmorency, hatten ein Landhaus gemiethet, wo natürlicherweise für mich nichts zu thun war. Die Uebrigen gingen anderswo hin, und ich selbst ging nach London, wo mein guter Heisch eben angekommen war. --
Kurz zuvor hatt' ich einen sehr freundschaftlichen Brief von Madame de Stael erhalten, worin sie mich bevollmächtigte, zu jeder Zeit meines Lebens, dies sind ihre eignen Worte, die Rechte eines Bruders, eines Freundes, eines Wohlthäters auf sie gel¬ tend zu machen! -- Die Folge hat bewiesen, daß dieser Brief sehr ehrlich geschrieben war.
Ich erhielt auch einen Brief von Zimmermann in Hannover, welcher mich mit Lobsprüchen überhäufte, mir die schönsten Aus¬ sichten öffnete und sogar schrieb, der König würde mich sprechen, und hernach würde mein Glück gemacht sein. -- Ich gab den Brief Narbonne zu lesen, er war gescheidter wie ich, und sagte nur blos: "Der Mann schreibt sehr gut französisch"! -- Wie¬
vorzuͤglich fehlte meiner Madame de la Châtre keine Nadel, kein Etwas, ſo unbedeutend es auch ſei, das ich ihr nicht entgegen¬ trug, — treffend zuweilen in meinen Bemerkungen, vorzuͤglich wenn die Herren im Disputiren ſich erhitzten und gegenſeitig einander nicht verſtanden, uneitel, ſtolz-maͤnnlich, verſchafft’ ich mir eine Art von Exiſtenz, die mir nicht unangenehm war, wobei mein wirklicher Karakter, glaub’ ich, gewann, und die ſich beſſer fuͤhlen als beſchreiben laͤßt.
Ob indeß dies Leben auf die Dauer gut fuͤr mich geweſen waͤre, weiß ich nicht. Ich las Voltaire und Rouſſeau, ſtudirte die franzoͤſiſche Sprache und die Menſchen, die um mich waren, aber meine naͤrriſche Leidenſchaft machte mich zuweilen mißmuthig, und ſtoͤrte die Freiheit meiner Seelenkraͤfte. Zum Gluͤck zerſtreute ſich die ganze Geſellſchaft. — Narbonne, Madame de la Châtre, Jaucourt, Montmorency, hatten ein Landhaus gemiethet, wo natuͤrlicherweiſe fuͤr mich nichts zu thun war. Die Uebrigen gingen anderswo hin, und ich ſelbſt ging nach London, wo mein guter Heiſch eben angekommen war. —
Kurz zuvor hatt’ ich einen ſehr freundſchaftlichen Brief von Madame de Staël erhalten, worin ſie mich bevollmaͤchtigte, zu jeder Zeit meines Lebens, dies ſind ihre eignen Worte, die Rechte eines Bruders, eines Freundes, eines Wohlthaͤters auf ſie gel¬ tend zu machen! — Die Folge hat bewieſen, daß dieſer Brief ſehr ehrlich geſchrieben war.
Ich erhielt auch einen Brief von Zimmermann in Hannover, welcher mich mit Lobſpruͤchen uͤberhaͤufte, mir die ſchoͤnſten Aus¬ ſichten oͤffnete und ſogar ſchrieb, der Koͤnig wuͤrde mich ſprechen, und hernach wuͤrde mein Gluͤck gemacht ſein. — Ich gab den Brief Narbonne zu leſen, er war geſcheidter wie ich, und ſagte nur blos: „Der Mann ſchreibt ſehr gut franzoͤſiſch“! — Wie¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0057"n="43"/>
vorzuͤglich fehlte meiner Madame de la Châtre keine Nadel, kein<lb/>
Etwas, ſo unbedeutend es auch ſei, das ich ihr nicht entgegen¬<lb/>
trug, — treffend zuweilen in meinen Bemerkungen, vorzuͤglich<lb/>
wenn die Herren im Disputiren ſich erhitzten und gegenſeitig<lb/>
einander nicht verſtanden, uneitel, ſtolz-maͤnnlich, verſchafft’<lb/>
ich mir eine Art von Exiſtenz, die mir nicht unangenehm war,<lb/>
wobei mein wirklicher Karakter, glaub’ ich, gewann, und die<lb/>ſich beſſer fuͤhlen als beſchreiben laͤßt.</p><lb/><p>Ob indeß dies Leben auf die Dauer gut fuͤr mich geweſen<lb/>
waͤre, weiß ich nicht. Ich las Voltaire und Rouſſeau, ſtudirte<lb/>
die franzoͤſiſche Sprache und die Menſchen, die um mich waren,<lb/>
aber meine naͤrriſche Leidenſchaft machte mich zuweilen mißmuthig,<lb/>
und ſtoͤrte die Freiheit meiner Seelenkraͤfte. Zum Gluͤck zerſtreute<lb/>ſich die ganze Geſellſchaft. — Narbonne, Madame de la Châtre,<lb/>
Jaucourt, Montmorency, hatten ein Landhaus gemiethet, wo<lb/>
natuͤrlicherweiſe fuͤr mich nichts zu thun war. Die Uebrigen<lb/>
gingen anderswo hin, und ich ſelbſt ging nach London, wo mein<lb/>
guter Heiſch eben angekommen war. —</p><lb/><p>Kurz zuvor hatt’ ich einen ſehr freundſchaftlichen Brief von<lb/>
Madame de Staël erhalten, worin ſie mich bevollmaͤchtigte, zu<lb/>
jeder Zeit meines Lebens, dies ſind ihre eignen Worte, die Rechte<lb/>
eines Bruders, eines Freundes, eines Wohlthaͤters auf ſie gel¬<lb/>
tend zu machen! — Die Folge hat bewieſen, daß dieſer Brief<lb/>ſehr ehrlich geſchrieben war.</p><lb/><p>Ich erhielt auch einen Brief von Zimmermann in Hannover,<lb/>
welcher mich mit Lobſpruͤchen uͤberhaͤufte, mir die ſchoͤnſten Aus¬<lb/>ſichten oͤffnete und ſogar ſchrieb, der Koͤnig wuͤrde mich ſprechen,<lb/>
und hernach wuͤrde mein Gluͤck gemacht ſein. — Ich gab den<lb/>
Brief Narbonne zu leſen, er war geſcheidter wie ich, und ſagte<lb/>
nur blos: „Der Mann ſchreibt ſehr gut franzoͤſiſch“! — Wie¬<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[43/0057]
vorzuͤglich fehlte meiner Madame de la Châtre keine Nadel, kein
Etwas, ſo unbedeutend es auch ſei, das ich ihr nicht entgegen¬
trug, — treffend zuweilen in meinen Bemerkungen, vorzuͤglich
wenn die Herren im Disputiren ſich erhitzten und gegenſeitig
einander nicht verſtanden, uneitel, ſtolz-maͤnnlich, verſchafft’
ich mir eine Art von Exiſtenz, die mir nicht unangenehm war,
wobei mein wirklicher Karakter, glaub’ ich, gewann, und die
ſich beſſer fuͤhlen als beſchreiben laͤßt.
Ob indeß dies Leben auf die Dauer gut fuͤr mich geweſen
waͤre, weiß ich nicht. Ich las Voltaire und Rouſſeau, ſtudirte
die franzoͤſiſche Sprache und die Menſchen, die um mich waren,
aber meine naͤrriſche Leidenſchaft machte mich zuweilen mißmuthig,
und ſtoͤrte die Freiheit meiner Seelenkraͤfte. Zum Gluͤck zerſtreute
ſich die ganze Geſellſchaft. — Narbonne, Madame de la Châtre,
Jaucourt, Montmorency, hatten ein Landhaus gemiethet, wo
natuͤrlicherweiſe fuͤr mich nichts zu thun war. Die Uebrigen
gingen anderswo hin, und ich ſelbſt ging nach London, wo mein
guter Heiſch eben angekommen war. —
Kurz zuvor hatt’ ich einen ſehr freundſchaftlichen Brief von
Madame de Staël erhalten, worin ſie mich bevollmaͤchtigte, zu
jeder Zeit meines Lebens, dies ſind ihre eignen Worte, die Rechte
eines Bruders, eines Freundes, eines Wohlthaͤters auf ſie gel¬
tend zu machen! — Die Folge hat bewieſen, daß dieſer Brief
ſehr ehrlich geſchrieben war.
Ich erhielt auch einen Brief von Zimmermann in Hannover,
welcher mich mit Lobſpruͤchen uͤberhaͤufte, mir die ſchoͤnſten Aus¬
ſichten oͤffnete und ſogar ſchrieb, der Koͤnig wuͤrde mich ſprechen,
und hernach wuͤrde mein Gluͤck gemacht ſein. — Ich gab den
Brief Narbonne zu leſen, er war geſcheidter wie ich, und ſagte
nur blos: „Der Mann ſchreibt ſehr gut franzoͤſiſch“! — Wie¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/57>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.