Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

gebrauchte Kirche war der Akademie überwiesen, und
Schleiermacher zum akademischen Prediger bestellt. In
jetzigen Tagen würde sich niemand über solche Einrich¬
tung wundern, sondern die Meisten sie ganz in der
herrschenden Ordnung finden, und Mancher vielleicht
mit jammerndem Rückblick auf die arge Vergangenheit
sogar die Frage aufstellen, wie man bis dahin ohne
dergleichen nur habe bestehen und einen solchen Mangel
verantworten mögen? Man muß aber in die Stim¬
mung von damals sich zurückversetzen, um zu begreifen,
welch auffallende Neuerung und welch gewagter Versuch
diese Sache war. Das Christenthum war durch philo¬
sophischen Anschluß und poetische Behandlung in der
letzten Zeit allerdings wieder zu größerem Ansehn ge¬
kommen, aber deßhalb glaubte man doch der kirchlichen
Seite noch völlig fremd bleiben zu dürfen. Es gehörte
der ganze Ruf Schleiermachers als eines tiefdenkenden,
geistreichen, gelehrten Mannes dazu, um ein solches
neues Predigtamt bei Ehren zu halten, indem Pro¬
fessoren, Bürger und Studenten, deren Mehrzahl sich
kaum einfallen lassen konnte, eine fromme Erbauung
zu suchen, und doch insgesammt gewiß sein durften,
eine durch Scharfsinn und Gewandtheit merkwürdige
Rede zu vernehmen. Wirklich war die Kirche gepreßt
voll, und eine angemessene Stille ehrte den Redner,
der aber die herrschende Stimmung seiner bunten Ge¬
meinde so gut kannte, daß er einen höheren Stand¬

gebrauchte Kirche war der Akademie uͤberwieſen, und
Schleiermacher zum akademiſchen Prediger beſtellt. In
jetzigen Tagen wuͤrde ſich niemand uͤber ſolche Einrich¬
tung wundern, ſondern die Meiſten ſie ganz in der
herrſchenden Ordnung finden, und Mancher vielleicht
mit jammerndem Ruͤckblick auf die arge Vergangenheit
ſogar die Frage aufſtellen, wie man bis dahin ohne
dergleichen nur habe beſtehen und einen ſolchen Mangel
verantworten moͤgen? Man muß aber in die Stim¬
mung von damals ſich zuruͤckverſetzen, um zu begreifen,
welch auffallende Neuerung und welch gewagter Verſuch
dieſe Sache war. Das Chriſtenthum war durch philo¬
ſophiſchen Anſchluß und poetiſche Behandlung in der
letzten Zeit allerdings wieder zu groͤßerem Anſehn ge¬
kommen, aber deßhalb glaubte man doch der kirchlichen
Seite noch voͤllig fremd bleiben zu duͤrfen. Es gehoͤrte
der ganze Ruf Schleiermachers als eines tiefdenkenden,
geiſtreichen, gelehrten Mannes dazu, um ein ſolches
neues Predigtamt bei Ehren zu halten, indem Pro¬
feſſoren, Buͤrger und Studenten, deren Mehrzahl ſich
kaum einfallen laſſen konnte, eine fromme Erbauung
zu ſuchen, und doch insgeſammt gewiß ſein durften,
eine durch Scharfſinn und Gewandtheit merkwuͤrdige
Rede zu vernehmen. Wirklich war die Kirche gepreßt
voll, und eine angemeſſene Stille ehrte den Redner,
der aber die herrſchende Stimmung ſeiner bunten Ge¬
meinde ſo gut kannte, daß er einen hoͤheren Stand¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0128" n="114"/>
gebrauchte Kirche war der Akademie u&#x0364;berwie&#x017F;en, und<lb/>
Schleiermacher zum akademi&#x017F;chen Prediger be&#x017F;tellt. In<lb/>
jetzigen Tagen wu&#x0364;rde &#x017F;ich niemand u&#x0364;ber &#x017F;olche Einrich¬<lb/>
tung wundern, &#x017F;ondern die Mei&#x017F;ten &#x017F;ie ganz in der<lb/>
herr&#x017F;chenden Ordnung finden, und Mancher vielleicht<lb/>
mit jammerndem Ru&#x0364;ckblick auf die arge Vergangenheit<lb/>
&#x017F;ogar die Frage auf&#x017F;tellen, wie man bis dahin ohne<lb/>
dergleichen nur habe be&#x017F;tehen und einen &#x017F;olchen Mangel<lb/>
verantworten mo&#x0364;gen? Man muß aber in die Stim¬<lb/>
mung von damals &#x017F;ich zuru&#x0364;ckver&#x017F;etzen, um zu begreifen,<lb/>
welch auffallende Neuerung und welch gewagter Ver&#x017F;uch<lb/>
die&#x017F;e Sache war. Das Chri&#x017F;tenthum war durch philo¬<lb/>
&#x017F;ophi&#x017F;chen An&#x017F;chluß und poeti&#x017F;che Behandlung in der<lb/>
letzten Zeit allerdings wieder zu gro&#x0364;ßerem An&#x017F;ehn ge¬<lb/>
kommen, aber deßhalb glaubte man doch der kirchlichen<lb/>
Seite noch vo&#x0364;llig fremd bleiben zu du&#x0364;rfen. Es geho&#x0364;rte<lb/>
der ganze Ruf Schleiermachers als eines tiefdenkenden,<lb/>
gei&#x017F;treichen, gelehrten Mannes dazu, um ein &#x017F;olches<lb/>
neues Predigtamt bei Ehren zu halten, indem Pro¬<lb/>
fe&#x017F;&#x017F;oren, Bu&#x0364;rger und Studenten, deren Mehrzahl &#x017F;ich<lb/>
kaum einfallen la&#x017F;&#x017F;en konnte, eine fromme Erbauung<lb/>
zu &#x017F;uchen, und doch insge&#x017F;ammt gewiß &#x017F;ein durften,<lb/>
eine durch Scharf&#x017F;inn und Gewandtheit merkwu&#x0364;rdige<lb/>
Rede zu vernehmen. Wirklich war die Kirche gepreßt<lb/>
voll, und eine angeme&#x017F;&#x017F;ene Stille ehrte den Redner,<lb/>
der aber die herr&#x017F;chende Stimmung &#x017F;einer bunten Ge¬<lb/>
meinde &#x017F;o gut kannte, daß er einen ho&#x0364;heren Stand¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[114/0128] gebrauchte Kirche war der Akademie uͤberwieſen, und Schleiermacher zum akademiſchen Prediger beſtellt. In jetzigen Tagen wuͤrde ſich niemand uͤber ſolche Einrich¬ tung wundern, ſondern die Meiſten ſie ganz in der herrſchenden Ordnung finden, und Mancher vielleicht mit jammerndem Ruͤckblick auf die arge Vergangenheit ſogar die Frage aufſtellen, wie man bis dahin ohne dergleichen nur habe beſtehen und einen ſolchen Mangel verantworten moͤgen? Man muß aber in die Stim¬ mung von damals ſich zuruͤckverſetzen, um zu begreifen, welch auffallende Neuerung und welch gewagter Verſuch dieſe Sache war. Das Chriſtenthum war durch philo¬ ſophiſchen Anſchluß und poetiſche Behandlung in der letzten Zeit allerdings wieder zu groͤßerem Anſehn ge¬ kommen, aber deßhalb glaubte man doch der kirchlichen Seite noch voͤllig fremd bleiben zu duͤrfen. Es gehoͤrte der ganze Ruf Schleiermachers als eines tiefdenkenden, geiſtreichen, gelehrten Mannes dazu, um ein ſolches neues Predigtamt bei Ehren zu halten, indem Pro¬ feſſoren, Buͤrger und Studenten, deren Mehrzahl ſich kaum einfallen laſſen konnte, eine fromme Erbauung zu ſuchen, und doch insgeſammt gewiß ſein durften, eine durch Scharfſinn und Gewandtheit merkwuͤrdige Rede zu vernehmen. Wirklich war die Kirche gepreßt voll, und eine angemeſſene Stille ehrte den Redner, der aber die herrſchende Stimmung ſeiner bunten Ge¬ meinde ſo gut kannte, daß er einen hoͤheren Stand¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/128
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/128>, abgerufen am 21.11.2024.