liebten Romane zugewendet, sich zu faßartiger Beleibt¬ heit ausgemästet, und war dabei als Schriftsteller so rüstig und rasch geblieben, daß er, wie er mir selbst erzählte, seiner Geschwindigkeit dadurch Hemmketten anlegte, daß er sich nur an zweien Tagen der Woche erlaubte zu schreiben, weil er sonst ganz übermäßig viel schreiben würde, und den Werth seiner Hervorbringungen durch Ueberfülle nur herabzudrücken fürchtete. Er hatte eine häßliche Frau, aber eine artige junge Nichte bei sich, die er sehr eingezogen hielt; er glaubte ihre Un¬ schuld nicht zart genug bewachen zu können, und erlaubte ihr kaum unter Leute zu gehen, nur zu Reichards allen¬ falls, wo die strenge Haltung seine Anforderungen be¬ friedigte und seine Vorurtheile sicher machte; das gute Mädchen hatte nicht einmal den Genuß, an dem reich¬ lichen Hausbrunnen den jugendlichen Durst zu stillen, denn sie durfte keine Zeile von des Oheims Romanen lesen, die er wie das ärgste Gift ihr vorenthielt, mit dem er doch alle fremde Haushaltungen zu überschwem¬ men kein Bedenken trug, wenig schmeichelhaft in der That für das Publikum, das er ohne Umstände mit einer Ladung abfand, deren geistige und moralische Ver¬ daulichkeit er bei den Seinigen mehr als zweifelhaft ver¬ neinte! Er hatte in seinem artigen Landhaus und Garten, an der Saale dicht vor dem Thore, durch die Plünderung hart gelitten, brauchte aber nur einen dritten Tag mehr in der Woche sich zum Schreiben zu gestatten,
liebten Romane zugewendet, ſich zu faßartiger Beleibt¬ heit ausgemaͤſtet, und war dabei als Schriftſteller ſo ruͤſtig und raſch geblieben, daß er, wie er mir ſelbſt erzaͤhlte, ſeiner Geſchwindigkeit dadurch Hemmketten anlegte, daß er ſich nur an zweien Tagen der Woche erlaubte zu ſchreiben, weil er ſonſt ganz uͤbermaͤßig viel ſchreiben wuͤrde, und den Werth ſeiner Hervorbringungen durch Ueberfuͤlle nur herabzudruͤcken fuͤrchtete. Er hatte eine haͤßliche Frau, aber eine artige junge Nichte bei ſich, die er ſehr eingezogen hielt; er glaubte ihre Un¬ ſchuld nicht zart genug bewachen zu koͤnnen, und erlaubte ihr kaum unter Leute zu gehen, nur zu Reichards allen¬ falls, wo die ſtrenge Haltung ſeine Anforderungen be¬ friedigte und ſeine Vorurtheile ſicher machte; das gute Maͤdchen hatte nicht einmal den Genuß, an dem reich¬ lichen Hausbrunnen den jugendlichen Durſt zu ſtillen, denn ſie durfte keine Zeile von des Oheims Romanen leſen, die er wie das aͤrgſte Gift ihr vorenthielt, mit dem er doch alle fremde Haushaltungen zu uͤberſchwem¬ men kein Bedenken trug, wenig ſchmeichelhaft in der That fuͤr das Publikum, das er ohne Umſtaͤnde mit einer Ladung abfand, deren geiſtige und moraliſche Ver¬ daulichkeit er bei den Seinigen mehr als zweifelhaft ver¬ neinte! Er hatte in ſeinem artigen Landhaus und Garten, an der Saale dicht vor dem Thore, durch die Pluͤnderung hart gelitten, brauchte aber nur einen dritten Tag mehr in der Woche ſich zum Schreiben zu geſtatten,
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liebten Romane zugewendet, ſich zu faßartiger Beleibt¬
heit ausgemaͤſtet, und war dabei als Schriftſteller ſo
ruͤſtig und raſch geblieben, daß er, wie er mir ſelbſt
erzaͤhlte, ſeiner Geſchwindigkeit dadurch Hemmketten
anlegte, daß er ſich nur an zweien Tagen der Woche
erlaubte zu ſchreiben, weil er ſonſt ganz uͤbermaͤßig viel
ſchreiben wuͤrde, und den Werth ſeiner Hervorbringungen
durch Ueberfuͤlle nur herabzudruͤcken fuͤrchtete. Er hatte
eine haͤßliche Frau, aber eine artige junge Nichte bei
ſich, die er ſehr eingezogen hielt; er glaubte ihre Un¬
ſchuld nicht zart genug bewachen zu koͤnnen, und erlaubte
ihr kaum unter Leute zu gehen, nur zu Reichards allen¬
falls, wo die ſtrenge Haltung ſeine Anforderungen be¬
friedigte und ſeine Vorurtheile ſicher machte; das gute
Maͤdchen hatte nicht einmal den Genuß, an dem reich¬
lichen Hausbrunnen den jugendlichen Durſt zu ſtillen,
denn ſie durfte keine Zeile von des Oheims Romanen
leſen, die er wie das aͤrgſte Gift ihr vorenthielt, mit
dem er doch alle fremde Haushaltungen zu uͤberſchwem¬
men kein Bedenken trug, wenig ſchmeichelhaft in der
That fuͤr das Publikum, das er ohne Umſtaͤnde mit
einer Ladung abfand, deren geiſtige und moraliſche Ver¬
daulichkeit er bei den Seinigen mehr als zweifelhaft ver¬
neinte! Er hatte in ſeinem artigen Landhaus und
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/147>, abgerufen am 24.11.2024.
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