punkte, dann Schellings und Fichte's, im Hintergrunde ferner Kants, Leibnitzens und Spinoza's, in vielfachster Wendung betrachteten und handhabten, zu unsäglicher Geistesübung, wenn auch nicht zu sonstigem Stoffertrag.
Eine stets erneute Stärkung und Nahrung für diese Gespräche waren die Abende bei Schleiermacher, die regelmäßig Freitags wieder gehalten wurden, und für die sich hoher Ernst und frei Laune wie Offenheit und feine Rücksicht zum schönsten Gleichmaße verbunden hatten. Schleiermacher war an solchen Abenden meist sehr liebenswürdig, seine Schärfe galt damals mehr den Gegenständen als den Personen, den Anwesenden nie, er sprach sinnig und angenehm über wissenschaftliche Dinge, besonders über die schwierigsten und anziehendsten ethischen Fragen, welche Harscher mit unermüdetem und gewandtem Eifer zur Sprache brachte; dabei wur¬ den auch die politischen Nachrichten, zwar mit stärksten Wünschen und Hoffnungen für Preußen, doch im Gan¬ zen, besonders von Schleiermacher selbst, mit Umsicht und Billigkeit, ihrem Interesse gemäß aufgenommen und beurtheilt.
Wir Jüngern saßen oft schon Nachmittags in ernsten und lebhaften Gesprächen zusammen, bis die Stunde heranrückte und wir zu Schleiermacher gingen, wo wir das heftig Durchgestrittene nun vor der leitenden Ein¬ sicht, gleichsam in höherer Klasse, nochmals ruhiger und feiner besprachen, und schneller und entscheidender zu
punkte, dann Schellings und Fichte’s, im Hintergrunde ferner Kants, Leibnitzens und Spinoza’s, in vielfachſter Wendung betrachteten und handhabten, zu unſaͤglicher Geiſtesuͤbung, wenn auch nicht zu ſonſtigem Stoffertrag.
Eine ſtets erneute Staͤrkung und Nahrung fuͤr dieſe Geſpraͤche waren die Abende bei Schleiermacher, die regelmaͤßig Freitags wieder gehalten wurden, und fuͤr die ſich hoher Ernſt und frei Laune wie Offenheit und feine Ruͤckſicht zum ſchoͤnſten Gleichmaße verbunden hatten. Schleiermacher war an ſolchen Abenden meiſt ſehr liebenswuͤrdig, ſeine Schaͤrfe galt damals mehr den Gegenſtaͤnden als den Perſonen, den Anweſenden nie, er ſprach ſinnig und angenehm uͤber wiſſenſchaftliche Dinge, beſonders uͤber die ſchwierigſten und anziehendſten ethiſchen Fragen, welche Harſcher mit unermuͤdetem und gewandtem Eifer zur Sprache brachte; dabei wur¬ den auch die politiſchen Nachrichten, zwar mit ſtaͤrkſten Wuͤnſchen und Hoffnungen fuͤr Preußen, doch im Gan¬ zen, beſonders von Schleiermacher ſelbſt, mit Umſicht und Billigkeit, ihrem Intereſſe gemaͤß aufgenommen und beurtheilt.
Wir Juͤngern ſaßen oft ſchon Nachmittags in ernſten und lebhaften Geſpraͤchen zuſammen, bis die Stunde heranruͤckte und wir zu Schleiermacher gingen, wo wir das heftig Durchgeſtrittene nun vor der leitenden Ein¬ ſicht, gleichſam in hoͤherer Klaſſe, nochmals ruhiger und feiner beſprachen, und ſchneller und entſcheidender zu
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0151"n="137"/>
punkte, dann Schellings und Fichte’s, im Hintergrunde<lb/>
ferner Kants, Leibnitzens und Spinoza’s, in vielfachſter<lb/>
Wendung betrachteten und handhabten, zu unſaͤglicher<lb/>
Geiſtesuͤbung, wenn auch nicht zu ſonſtigem Stoffertrag.</p><lb/><p>Eine ſtets erneute Staͤrkung und Nahrung fuͤr dieſe<lb/>
Geſpraͤche waren die Abende bei Schleiermacher, die<lb/>
regelmaͤßig Freitags wieder gehalten wurden, und fuͤr<lb/>
die ſich hoher Ernſt und frei Laune wie Offenheit und<lb/>
feine Ruͤckſicht zum ſchoͤnſten Gleichmaße verbunden<lb/>
hatten. Schleiermacher war an ſolchen Abenden meiſt<lb/>ſehr liebenswuͤrdig, ſeine Schaͤrfe galt damals mehr den<lb/>
Gegenſtaͤnden als den Perſonen, den Anweſenden nie,<lb/>
er ſprach ſinnig und angenehm uͤber wiſſenſchaftliche<lb/>
Dinge, beſonders uͤber die ſchwierigſten und anziehendſten<lb/>
ethiſchen Fragen, welche Harſcher mit unermuͤdetem<lb/>
und gewandtem Eifer zur Sprache brachte; dabei wur¬<lb/>
den auch die politiſchen Nachrichten, zwar mit ſtaͤrkſten<lb/>
Wuͤnſchen und Hoffnungen fuͤr Preußen, doch im Gan¬<lb/>
zen, beſonders von Schleiermacher ſelbſt, mit Umſicht<lb/>
und Billigkeit, ihrem Intereſſe gemaͤß aufgenommen<lb/>
und beurtheilt.</p><lb/><p>Wir Juͤngern ſaßen oft ſchon Nachmittags in ernſten<lb/>
und lebhaften Geſpraͤchen zuſammen, bis die Stunde<lb/>
heranruͤckte und wir zu Schleiermacher gingen, wo wir<lb/>
das heftig Durchgeſtrittene nun vor der leitenden Ein¬<lb/>ſicht, gleichſam in hoͤherer Klaſſe, nochmals ruhiger und<lb/>
feiner beſprachen, und ſchneller und entſcheidender zu<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[137/0151]
punkte, dann Schellings und Fichte’s, im Hintergrunde
ferner Kants, Leibnitzens und Spinoza’s, in vielfachſter
Wendung betrachteten und handhabten, zu unſaͤglicher
Geiſtesuͤbung, wenn auch nicht zu ſonſtigem Stoffertrag.
Eine ſtets erneute Staͤrkung und Nahrung fuͤr dieſe
Geſpraͤche waren die Abende bei Schleiermacher, die
regelmaͤßig Freitags wieder gehalten wurden, und fuͤr
die ſich hoher Ernſt und frei Laune wie Offenheit und
feine Ruͤckſicht zum ſchoͤnſten Gleichmaße verbunden
hatten. Schleiermacher war an ſolchen Abenden meiſt
ſehr liebenswuͤrdig, ſeine Schaͤrfe galt damals mehr den
Gegenſtaͤnden als den Perſonen, den Anweſenden nie,
er ſprach ſinnig und angenehm uͤber wiſſenſchaftliche
Dinge, beſonders uͤber die ſchwierigſten und anziehendſten
ethiſchen Fragen, welche Harſcher mit unermuͤdetem
und gewandtem Eifer zur Sprache brachte; dabei wur¬
den auch die politiſchen Nachrichten, zwar mit ſtaͤrkſten
Wuͤnſchen und Hoffnungen fuͤr Preußen, doch im Gan¬
zen, beſonders von Schleiermacher ſelbſt, mit Umſicht
und Billigkeit, ihrem Intereſſe gemaͤß aufgenommen
und beurtheilt.
Wir Juͤngern ſaßen oft ſchon Nachmittags in ernſten
und lebhaften Geſpraͤchen zuſammen, bis die Stunde
heranruͤckte und wir zu Schleiermacher gingen, wo wir
das heftig Durchgeſtrittene nun vor der leitenden Ein¬
ſicht, gleichſam in hoͤherer Klaſſe, nochmals ruhiger und
feiner beſprachen, und ſchneller und entſcheidender zu
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/151>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.