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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

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Selten wagten wir die Hecke des Gärtchens gegen
das Wasser hin zu überschreiten, die Gefahr stellte sich
uns um so erschreckender vor Augen, als eines Morgens
sich ergab, daß ein Rabe, der zahm und redend uns
so vertraut geworden als wunderbar geblieben war, sein
Gitterhaus über Nacht durchbrochen, und wahrscheinlich,
da er nicht fliegen konnte, seinen Tod im Rhein ge¬
funden hatte. Um so reizender war es, wenn wir denn
doch zuweilen, unter Aufsicht des Vaters, über die
strenge Gränze vorgingen, das mit Weiden und Gebüsch
bewachsene Ufer durchstörten, die daran festgelegten
schwimmenden Floßbalken betraten, möglichst nah die
großen Schiffe und die ungeheuern Flöße, die von vie¬
len hundert Armen fortgerudert nach Holland hinabgin¬
gen, stolz vorbeiziehen, Nachen heranrudern, zuweilen
Schwimmer sich ergötzen sahen, oder auch nachsinnend
zu unsern Füßen das lebendige Spiel der Wellen und
Wirbel betrachteten, und wohl gar in das reine Wasser
unsre Stücken Weißbrod eintauchten, die so benetzt uns
das labendste Gericht dünkten.

Von meinem dritten Jahre ungefähr bis über mein
fünftes hinaus sind meine Erinnerungen in dieser Gar¬
tenlust zusammengedrängt, als das Bild eines ununter¬
brochenen großen Sommers, so wie die dazwischenlie¬
genden Winter gleichfalls zu einem zusammenhängenden
Ganzen sich mir ausgeschieden haben. Die Zeitbestim¬
mung meines fünften Jahres wird mir durch den Um¬

Selten wagten wir die Hecke des Gaͤrtchens gegen
das Waſſer hin zu uͤberſchreiten, die Gefahr ſtellte ſich
uns um ſo erſchreckender vor Augen, als eines Morgens
ſich ergab, daß ein Rabe, der zahm und redend uns
ſo vertraut geworden als wunderbar geblieben war, ſein
Gitterhaus uͤber Nacht durchbrochen, und wahrſcheinlich,
da er nicht fliegen konnte, ſeinen Tod im Rhein ge¬
funden hatte. Um ſo reizender war es, wenn wir denn
doch zuweilen, unter Aufſicht des Vaters, uͤber die
ſtrenge Graͤnze vorgingen, das mit Weiden und Gebuͤſch
bewachſene Ufer durchſtoͤrten, die daran feſtgelegten
ſchwimmenden Floßbalken betraten, moͤglichſt nah die
großen Schiffe und die ungeheuern Floͤße, die von vie¬
len hundert Armen fortgerudert nach Holland hinabgin¬
gen, ſtolz vorbeiziehen, Nachen heranrudern, zuweilen
Schwimmer ſich ergoͤtzen ſahen, oder auch nachſinnend
zu unſern Fuͤßen das lebendige Spiel der Wellen und
Wirbel betrachteten, und wohl gar in das reine Waſſer
unſre Stuͤcken Weißbrod eintauchten, die ſo benetzt uns
das labendſte Gericht duͤnkten.

Von meinem dritten Jahre ungefaͤhr bis uͤber mein
fuͤnftes hinaus ſind meine Erinnerungen in dieſer Gar¬
tenluſt zuſammengedraͤngt, als das Bild eines ununter¬
brochenen großen Sommers, ſo wie die dazwiſchenlie¬
genden Winter gleichfalls zu einem zuſammenhaͤngenden
Ganzen ſich mir ausgeſchieden haben. Die Zeitbeſtim¬
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[16/0030] Selten wagten wir die Hecke des Gaͤrtchens gegen das Waſſer hin zu uͤberſchreiten, die Gefahr ſtellte ſich uns um ſo erſchreckender vor Augen, als eines Morgens ſich ergab, daß ein Rabe, der zahm und redend uns ſo vertraut geworden als wunderbar geblieben war, ſein Gitterhaus uͤber Nacht durchbrochen, und wahrſcheinlich, da er nicht fliegen konnte, ſeinen Tod im Rhein ge¬ funden hatte. Um ſo reizender war es, wenn wir denn doch zuweilen, unter Aufſicht des Vaters, uͤber die ſtrenge Graͤnze vorgingen, das mit Weiden und Gebuͤſch bewachſene Ufer durchſtoͤrten, die daran feſtgelegten ſchwimmenden Floßbalken betraten, moͤglichſt nah die großen Schiffe und die ungeheuern Floͤße, die von vie¬ len hundert Armen fortgerudert nach Holland hinabgin¬ gen, ſtolz vorbeiziehen, Nachen heranrudern, zuweilen Schwimmer ſich ergoͤtzen ſahen, oder auch nachſinnend zu unſern Fuͤßen das lebendige Spiel der Wellen und Wirbel betrachteten, und wohl gar in das reine Waſſer unſre Stuͤcken Weißbrod eintauchten, die ſo benetzt uns das labendſte Gericht duͤnkten. Von meinem dritten Jahre ungefaͤhr bis uͤber mein fuͤnftes hinaus ſind meine Erinnerungen in dieſer Gar¬ tenluſt zuſammengedraͤngt, als das Bild eines ununter¬ brochenen großen Sommers, ſo wie die dazwiſchenlie¬ genden Winter gleichfalls zu einem zuſammenhaͤngenden Ganzen ſich mir ausgeſchieden haben. Die Zeitbeſtim¬ mung meines fuͤnften Jahres wird mir durch den Um¬

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/30>, abgerufen am 21.11.2024.