bracht, wenn irgend ein geistreiches, scharfes oder scherz¬ haftes Wort gegen ihn laut wurde, und ein spöttisches Lied, ein schmähender Witz konnte ihn zu wahrer Wuth bringen. In jener Zeit ging ein Lied auf seine zweite Vermählung umher, das ganz im untersten Volkston gedichtet, doch ohne Zweifel seinen Ursprung in der höheren Klasse haben mußte. Der Kaiser sah seinen Glanz und seine Macht durch ein gemeines Lied befleckt, und schnaubte Rache; aber die Polizei wußte den Ver¬ fasser so wenig als die Verbreiter zu entdecken. Auch mir war dasselbe durch die Stadtpost ohne Namen in schlechter Abschrift zugeschickt worden, ich hatte mich mit den vertrauteren Freunden heimlich an den lustigen Versen ergötzt, und konnte sie schon auswendig hersagen. Sehr ungelegen traten mir jetzt, als grade der Kaiser übellaunig und finster an mir vorüberging, unwillkürlich Worte und Melodie jenes Liedes in den Sinn, und jemehr ich sie abweisen wollte, desto heftiger drängten sie sich hervor, so daß die von der Spannung des Augen¬ blicks gereizte Einbildungskraft schon schwindelte, und bei dem geringsten Anstoß unvermeidlich in das tödt¬ lichste Aergerniß stürzen zu müssen glaubte, -- als glücklicherweise die Audienz ihr Ende erreichte, und wie¬ derholte tiefe Verbeugungen das Abtreten Napoleons begleiteten, der an mich keines seiner Worte, sondern nur einen durchdringenden Blick gewendet hatte, mit
II. 20
bracht, wenn irgend ein geiſtreiches, ſcharfes oder ſcherz¬ haftes Wort gegen ihn laut wurde, und ein ſpoͤttiſches Lied, ein ſchmaͤhender Witz konnte ihn zu wahrer Wuth bringen. In jener Zeit ging ein Lied auf ſeine zweite Vermaͤhlung umher, das ganz im unterſten Volkston gedichtet, doch ohne Zweifel ſeinen Urſprung in der hoͤheren Klaſſe haben mußte. Der Kaiſer ſah ſeinen Glanz und ſeine Macht durch ein gemeines Lied befleckt, und ſchnaubte Rache; aber die Polizei wußte den Ver¬ faſſer ſo wenig als die Verbreiter zu entdecken. Auch mir war daſſelbe durch die Stadtpoſt ohne Namen in ſchlechter Abſchrift zugeſchickt worden, ich hatte mich mit den vertrauteren Freunden heimlich an den luſtigen Verſen ergoͤtzt, und konnte ſie ſchon auswendig herſagen. Sehr ungelegen traten mir jetzt, als grade der Kaiſer uͤbellaunig und finſter an mir voruͤberging, unwillkuͤrlich Worte und Melodie jenes Liedes in den Sinn, und jemehr ich ſie abweiſen wollte, deſto heftiger draͤngten ſie ſich hervor, ſo daß die von der Spannung des Augen¬ blicks gereizte Einbildungskraft ſchon ſchwindelte, und bei dem geringſten Anſtoß unvermeidlich in das toͤdt¬ lichſte Aergerniß ſtuͤrzen zu muͤſſen glaubte, — als gluͤcklicherweiſe die Audienz ihr Ende erreichte, und wie¬ derholte tiefe Verbeugungen das Abtreten Napoleons begleiteten, der an mich keines ſeiner Worte, ſondern nur einen durchdringenden Blick gewendet hatte, mit
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bracht, wenn irgend ein geiſtreiches, ſcharfes oder ſcherz¬
haftes Wort gegen ihn laut wurde, und ein ſpoͤttiſches
Lied, ein ſchmaͤhender Witz konnte ihn zu wahrer Wuth
bringen. In jener Zeit ging ein Lied auf ſeine zweite
Vermaͤhlung umher, das ganz im unterſten Volkston
gedichtet, doch ohne Zweifel ſeinen Urſprung in der
hoͤheren Klaſſe haben mußte. Der Kaiſer ſah ſeinen
Glanz und ſeine Macht durch ein gemeines Lied befleckt,
und ſchnaubte Rache; aber die Polizei wußte den Ver¬
faſſer ſo wenig als die Verbreiter zu entdecken. Auch
mir war daſſelbe durch die Stadtpoſt ohne Namen in
ſchlechter Abſchrift zugeſchickt worden, ich hatte mich mit
den vertrauteren Freunden heimlich an den luſtigen
Verſen ergoͤtzt, und konnte ſie ſchon auswendig herſagen.
Sehr ungelegen traten mir jetzt, als grade der Kaiſer
uͤbellaunig und finſter an mir voruͤberging, unwillkuͤrlich
Worte und Melodie jenes Liedes in den Sinn, und
jemehr ich ſie abweiſen wollte, deſto heftiger draͤngten
ſie ſich hervor, ſo daß die von der Spannung des Augen¬
blicks gereizte Einbildungskraft ſchon ſchwindelte, und
bei dem geringſten Anſtoß unvermeidlich in das toͤdt¬
lichſte Aergerniß ſtuͤrzen zu muͤſſen glaubte, — als
gluͤcklicherweiſe die Audienz ihr Ende erreichte, und wie¬
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begleiteten, der an mich keines ſeiner Worte, ſondern
nur einen durchdringenden Blick gewendet hatte, mit
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/319>, abgerufen am 27.11.2024.
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