Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite
3. Walter Scott.

Walter Scott versteht das dichterische Handwerk,
und gefällt sich darin; daher seine breite, einzelne Aus¬
führung. Seine Romane sind auseinander gezogene,
mit wohlgearbeiteten Verzierungen überladene Novellen.
Er würde aus jeder Novelle des Cervantes, wenn ihm
der Stoff zur Bearbeitung vorgelegen hätte, drei Bände
gemacht haben. Er macht seine Beschreibungen, weil
er will, und weil er seine Bilder für sich selbst, statt
durch innere Züge im Geiste, erst durch äußere auf
dem Papiere gewinnt und festhält. Er ist nicht durch
den Stoff selbst genöthigt zu einer Schilderung, son¬
dern nur immer gemüßigt. Das eigentliche Leben der
dichtenden Kunst fehlt ihm; und wie nahe er daran
hinstreifen möge, die kleinste Scheidelinie bleibt hier
unerfüllbar tiefe Kluft.

4. Genie du Christianisme.

Der Verfasser ist ein Dichter in allen Lebens- und
Geistesrichtungen, mit Ausnahme der -- Dichtkunst.
Das Buch ist das unfrömmste und unchristlichste von
der Welt. Das ganze Christenthum ist darin nur als
eine Vorrathskammer von Zierrath und Prunk ange¬
sehen, den man im Leben noch nicht so nutzbar ange¬
wandt, noch nicht so ergötzlich vorgezeigt habe, als es
hier nun durch den neuen Conservateur und Küster
dieser alten Schätze mit glänzendster Rede und modern¬

3. Walter Scott.

Walter Scott verſteht das dichteriſche Handwerk,
und gefaͤllt ſich darin; daher ſeine breite, einzelne Aus¬
fuͤhrung. Seine Romane ſind auseinander gezogene,
mit wohlgearbeiteten Verzierungen uͤberladene Novellen.
Er wuͤrde aus jeder Novelle des Cervantes, wenn ihm
der Stoff zur Bearbeitung vorgelegen haͤtte, drei Baͤnde
gemacht haben. Er macht ſeine Beſchreibungen, weil
er will, und weil er ſeine Bilder fuͤr ſich ſelbſt, ſtatt
durch innere Zuͤge im Geiſte, erſt durch aͤußere auf
dem Papiere gewinnt und feſthaͤlt. Er iſt nicht durch
den Stoff ſelbſt genoͤthigt zu einer Schilderung, ſon¬
dern nur immer gemuͤßigt. Das eigentliche Leben der
dichtenden Kunſt fehlt ihm; und wie nahe er daran
hinſtreifen moͤge, die kleinſte Scheidelinie bleibt hier
unerfuͤllbar tiefe Kluft.

4. Génie du Christianisme.

Der Verfaſſer iſt ein Dichter in allen Lebens- und
Geiſtesrichtungen, mit Ausnahme der — Dichtkunſt.
Das Buch iſt das unfroͤmmſte und unchriſtlichſte von
der Welt. Das ganze Chriſtenthum iſt darin nur als
eine Vorrathskammer von Zierrath und Prunk ange¬
ſehen, den man im Leben noch nicht ſo nutzbar ange¬
wandt, noch nicht ſo ergoͤtzlich vorgezeigt habe, als es
hier nun durch den neuen Conſervateur und Kuͤſter
dieſer alten Schaͤtze mit glaͤnzendſter Rede und modern¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0347" n="333"/>
          </div>
          <div n="3">
            <head>3. <hi rendition="#g">Walter Scott.</hi><lb/></head>
            <p>Walter Scott ver&#x017F;teht das dichteri&#x017F;che Handwerk,<lb/>
und gefa&#x0364;llt &#x017F;ich darin; daher &#x017F;eine breite, einzelne Aus¬<lb/>
fu&#x0364;hrung. Seine Romane &#x017F;ind auseinander gezogene,<lb/>
mit wohlgearbeiteten Verzierungen u&#x0364;berladene Novellen.<lb/>
Er wu&#x0364;rde aus jeder Novelle des Cervantes, wenn ihm<lb/>
der Stoff zur Bearbeitung vorgelegen ha&#x0364;tte, drei Ba&#x0364;nde<lb/>
gemacht haben. Er macht &#x017F;eine Be&#x017F;chreibungen, weil<lb/>
er will, und weil er &#x017F;eine Bilder fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;tatt<lb/>
durch innere Zu&#x0364;ge im Gei&#x017F;te, er&#x017F;t durch a&#x0364;ußere auf<lb/>
dem Papiere gewinnt und fe&#x017F;tha&#x0364;lt. Er i&#x017F;t nicht durch<lb/>
den Stoff &#x017F;elb&#x017F;t geno&#x0364;thigt zu einer Schilderung, &#x017F;on¬<lb/>
dern nur immer gemu&#x0364;ßigt. Das eigentliche Leben der<lb/>
dichtenden Kun&#x017F;t fehlt ihm; und wie nahe er daran<lb/>
hin&#x017F;treifen mo&#x0364;ge, die klein&#x017F;te Scheidelinie bleibt hier<lb/>
unerfu&#x0364;llbar tiefe Kluft.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head><hi rendition="#b">4</hi>. <hi rendition="#aq #g">Génie du Christianisme</hi><hi rendition="#aq">.</hi></head><lb/>
            <p>Der Verfa&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t ein Dichter in allen Lebens- und<lb/>
Gei&#x017F;tesrichtungen, mit Ausnahme der &#x2014; Dichtkun&#x017F;t.<lb/>
Das Buch i&#x017F;t das unfro&#x0364;mm&#x017F;te und unchri&#x017F;tlich&#x017F;te von<lb/>
der Welt. Das ganze Chri&#x017F;tenthum i&#x017F;t darin nur als<lb/>
eine Vorrathskammer von Zierrath und Prunk ange¬<lb/>
&#x017F;ehen, den man im Leben noch nicht &#x017F;o nutzbar ange¬<lb/>
wandt, noch nicht &#x017F;o ergo&#x0364;tzlich vorgezeigt habe, als es<lb/>
hier nun durch den neuen Con&#x017F;ervateur und Ku&#x0364;&#x017F;ter<lb/>
die&#x017F;er alten Scha&#x0364;tze mit gla&#x0364;nzend&#x017F;ter Rede und modern¬<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[333/0347] 3. Walter Scott. Walter Scott verſteht das dichteriſche Handwerk, und gefaͤllt ſich darin; daher ſeine breite, einzelne Aus¬ fuͤhrung. Seine Romane ſind auseinander gezogene, mit wohlgearbeiteten Verzierungen uͤberladene Novellen. Er wuͤrde aus jeder Novelle des Cervantes, wenn ihm der Stoff zur Bearbeitung vorgelegen haͤtte, drei Baͤnde gemacht haben. Er macht ſeine Beſchreibungen, weil er will, und weil er ſeine Bilder fuͤr ſich ſelbſt, ſtatt durch innere Zuͤge im Geiſte, erſt durch aͤußere auf dem Papiere gewinnt und feſthaͤlt. Er iſt nicht durch den Stoff ſelbſt genoͤthigt zu einer Schilderung, ſon¬ dern nur immer gemuͤßigt. Das eigentliche Leben der dichtenden Kunſt fehlt ihm; und wie nahe er daran hinſtreifen moͤge, die kleinſte Scheidelinie bleibt hier unerfuͤllbar tiefe Kluft. 4. Génie du Christianisme. Der Verfaſſer iſt ein Dichter in allen Lebens- und Geiſtesrichtungen, mit Ausnahme der — Dichtkunſt. Das Buch iſt das unfroͤmmſte und unchriſtlichſte von der Welt. Das ganze Chriſtenthum iſt darin nur als eine Vorrathskammer von Zierrath und Prunk ange¬ ſehen, den man im Leben noch nicht ſo nutzbar ange¬ wandt, noch nicht ſo ergoͤtzlich vorgezeigt habe, als es hier nun durch den neuen Conſervateur und Kuͤſter dieſer alten Schaͤtze mit glaͤnzendſter Rede und modern¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/347
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/347>, abgerufen am 24.11.2024.