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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

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geführt, besonders auch zuletzt, wo die Worte des Kanz¬
lers ernst und würdig das Tragische zu höherer Beziehung
ausschließen:

"Der Weisheit Schüler, die ihr mich umsteht,
Seht hier des Todes grause Majestät!
Im Schoß der alma mater, die gegründet
Auf Frieden, hat sich Krieg entzündet.
Es soll der Hörsaal heut geschlossen sein,
Ein jeder kehre prüfend bei sich ein;
Denn tiefre Lehren, als des Lehrers Mund
Zu geben weiß, macht dies Verhängniß kund."
Dagegen können wir dem, was in der Universität sich
als Studentenwesen, und, zum Gegensatz desselben, aus
dem Bürgerleben als Philisterei darstellt, nicht vollen
Beifall geben; es finden sich glückliche Umrisse eines
ächten Humors, einzelne treffende Züge, aber das Ganze
läßt unbefriedigt, man fühlt darin ein Zuwenig, und
doch zugleich ein Zuviel, woraus man schließen muß,
daß hier das rechte Maß noch nicht vorhanden. Völlig
tadelhaft aber dünkt uns die Art, wie der vierte jener
Bestandtheile, die Zauberei, den übrigen beigemischt
worden. Sie erscheint uns gar nicht dramatisch, son¬
dern macht den an sich ganz dramatischen Stoff durch
ihre Beimischung novellenartig. Das Geisterreich wird
bei Shakspeare auf ganz andere Weise in's Spiel gebracht,
als Bild und Ausdruck für das Menschlich-Wirkliche,
nicht aber an dessen Statt; wir sprechen natürlich nicht

II. 23

gefuͤhrt, beſonders auch zuletzt, wo die Worte des Kanz¬
lers ernſt und wuͤrdig das Tragiſche zu hoͤherer Beziehung
auſſchließen:

„Der Weisheit Schuͤler, die ihr mich umſteht,
Seht hier des Todes grauſe Majeſtaͤt!
Im Schoß der alma mater, die gegruͤndet
Auf Frieden, hat ſich Krieg entzuͤndet.
Es ſoll der Hoͤrſaal heut geſchloſſen ſein,
Ein jeder kehre pruͤfend bei ſich ein;
Denn tiefre Lehren, als des Lehrers Mund
Zu geben weiß, macht dies Verhaͤngniß kund.“
Dagegen koͤnnen wir dem, was in der Univerſitaͤt ſich
als Studentenweſen, und, zum Gegenſatz deſſelben, aus
dem Buͤrgerleben als Philiſterei darſtellt, nicht vollen
Beifall geben; es finden ſich gluͤckliche Umriſſe eines
aͤchten Humors, einzelne treffende Zuͤge, aber das Ganze
laͤßt unbefriedigt, man fuͤhlt darin ein Zuwenig, und
doch zugleich ein Zuviel, woraus man ſchließen muß,
daß hier das rechte Maß noch nicht vorhanden. Voͤllig
tadelhaft aber duͤnkt uns die Art, wie der vierte jener
Beſtandtheile, die Zauberei, den uͤbrigen beigemiſcht
worden. Sie erſcheint uns gar nicht dramatiſch, ſon¬
dern macht den an ſich ganz dramatiſchen Stoff durch
ihre Beimiſchung novellenartig. Das Geiſterreich wird
bei Shakſpeare auf ganz andere Weiſe in's Spiel gebracht,
als Bild und Ausdruck fuͤr das Menſchlich-Wirkliche,
nicht aber an deſſen Statt; wir ſprechen natuͤrlich nicht

II. 23
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[353/0367] gefuͤhrt, beſonders auch zuletzt, wo die Worte des Kanz¬ lers ernſt und wuͤrdig das Tragiſche zu hoͤherer Beziehung auſſchließen: „Der Weisheit Schuͤler, die ihr mich umſteht, Seht hier des Todes grauſe Majeſtaͤt! Im Schoß der alma mater, die gegruͤndet Auf Frieden, hat ſich Krieg entzuͤndet. Es ſoll der Hoͤrſaal heut geſchloſſen ſein, Ein jeder kehre pruͤfend bei ſich ein; Denn tiefre Lehren, als des Lehrers Mund Zu geben weiß, macht dies Verhaͤngniß kund.“ Dagegen koͤnnen wir dem, was in der Univerſitaͤt ſich als Studentenweſen, und, zum Gegenſatz deſſelben, aus dem Buͤrgerleben als Philiſterei darſtellt, nicht vollen Beifall geben; es finden ſich gluͤckliche Umriſſe eines aͤchten Humors, einzelne treffende Zuͤge, aber das Ganze laͤßt unbefriedigt, man fuͤhlt darin ein Zuwenig, und doch zugleich ein Zuviel, woraus man ſchließen muß, daß hier das rechte Maß noch nicht vorhanden. Voͤllig tadelhaft aber duͤnkt uns die Art, wie der vierte jener Beſtandtheile, die Zauberei, den uͤbrigen beigemiſcht worden. Sie erſcheint uns gar nicht dramatiſch, ſon¬ dern macht den an ſich ganz dramatiſchen Stoff durch ihre Beimiſchung novellenartig. Das Geiſterreich wird bei Shakſpeare auf ganz andere Weiſe in's Spiel gebracht, als Bild und Ausdruck fuͤr das Menſchlich-Wirkliche, nicht aber an deſſen Statt; wir ſprechen natuͤrlich nicht II. 23

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/367>, abgerufen am 24.11.2024.