stehend und unentbehrlich, wie die Lehrsätze der Gram¬ matik, auf die auch der beste Redner zuweilen verwiesen werden muß. -- Das Buch wird eröffnet durch ein¬ zelne Gedanken und Ansichten, in denen sehr viel Schönes und Treffendes vorkommt. Ueber Natur und Kunst in der Poesie, über poetische Karaktere, über die Ausbildung der sinnlichen Anschauung, über den poetischen Stoff und die poetische Form, über die Wahl der letztern z. B. bei dem deutschen Trauerspiel, und über andere Gegenstände dieser Art verbreiten sich die folgenden Aufsätze. Die ausführlichen Bemerkungen über die "Wahlverwandtschaften" machen dem sicheren, durch keinen Wahn bethörten, durch keine Schwäche der Ge¬ wöhnlichkeit geängsteten Kunstsinne des Verfassers, so wie seiner liebevollen Aufmerksamkeit für dieses Goethe'sche Meisterwerk, alle Ehre; doch ließe sich für die Ansicht des Ganzen auch wohl noch ein andrer Gesichtspunkt festhalten, als der hier gewählte, und wir möchten, nicht zum Schaden der tiefen Dichtung, wohl das grade Gegentheil der von dem Verfasser aufgestellten Ergeb¬ nisse ausführen! -- Höchst merkwürdig ist die Rich¬ tung, in welcher der Verfasser die Poesie, nachdem ihre Unabhängigkeit von moralischen Zwecken im Einzelnen nun wohl hinreichend bei den kritischen Richterstühlen feststeht, dennoch im Ganzen wieder auf ein höchstes sittliches Gebiet zurückleitet, und diese sittliche Beziehung in allen Abstufungen sinnreich durch Goethe's Gedichte
ſtehend und unentbehrlich, wie die Lehrſaͤtze der Gram¬ matik, auf die auch der beſte Redner zuweilen verwieſen werden muß. — Das Buch wird eroͤffnet durch ein¬ zelne Gedanken und Anſichten, in denen ſehr viel Schoͤnes und Treffendes vorkommt. Ueber Natur und Kunſt in der Poeſie, uͤber poetiſche Karaktere, uͤber die Ausbildung der ſinnlichen Anſchauung, uͤber den poetiſchen Stoff und die poetiſche Form, uͤber die Wahl der letztern z. B. bei dem deutſchen Trauerſpiel, und uͤber andere Gegenſtaͤnde dieſer Art verbreiten ſich die folgenden Aufſaͤtze. Die ausfuͤhrlichen Bemerkungen uͤber die „Wahlverwandtſchaften“ machen dem ſicheren, durch keinen Wahn bethoͤrten, durch keine Schwaͤche der Ge¬ woͤhnlichkeit geaͤngſteten Kunſtſinne des Verfaſſers, ſo wie ſeiner liebevollen Aufmerkſamkeit fuͤr dieſes Goethe’ſche Meiſterwerk, alle Ehre; doch ließe ſich fuͤr die Anſicht des Ganzen auch wohl noch ein andrer Geſichtspunkt feſthalten, als der hier gewaͤhlte, und wir moͤchten, nicht zum Schaden der tiefen Dichtung, wohl das grade Gegentheil der von dem Verfaſſer aufgeſtellten Ergeb¬ niſſe ausfuͤhren! — Hoͤchſt merkwuͤrdig iſt die Rich¬ tung, in welcher der Verfaſſer die Poeſie, nachdem ihre Unabhaͤngigkeit von moraliſchen Zwecken im Einzelnen nun wohl hinreichend bei den kritiſchen Richterſtuͤhlen feſtſteht, dennoch im Ganzen wieder auf ein hoͤchſtes ſittliches Gebiet zuruͤckleitet, und dieſe ſittliche Beziehung in allen Abſtufungen ſinnreich durch Goethe’s Gedichte
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ſtehend und unentbehrlich, wie die Lehrſaͤtze der Gram¬
matik, auf die auch der beſte Redner zuweilen verwieſen
werden muß. — Das Buch wird eroͤffnet durch ein¬
zelne Gedanken und Anſichten, in denen ſehr viel
Schoͤnes und Treffendes vorkommt. Ueber Natur und
Kunſt in der Poeſie, uͤber poetiſche Karaktere, uͤber
die Ausbildung der ſinnlichen Anſchauung, uͤber den
poetiſchen Stoff und die poetiſche Form, uͤber die Wahl
der letztern z. B. bei dem deutſchen Trauerſpiel, und
uͤber andere Gegenſtaͤnde dieſer Art verbreiten ſich die
folgenden Aufſaͤtze. Die ausfuͤhrlichen Bemerkungen uͤber
die „Wahlverwandtſchaften“ machen dem ſicheren, durch
keinen Wahn bethoͤrten, durch keine Schwaͤche der Ge¬
woͤhnlichkeit geaͤngſteten Kunſtſinne des Verfaſſers, ſo
wie ſeiner liebevollen Aufmerkſamkeit fuͤr dieſes Goethe’ſche
Meiſterwerk, alle Ehre; doch ließe ſich fuͤr die Anſicht
des Ganzen auch wohl noch ein andrer Geſichtspunkt
feſthalten, als der hier gewaͤhlte, und wir moͤchten,
nicht zum Schaden der tiefen Dichtung, wohl das grade
Gegentheil der von dem Verfaſſer aufgeſtellten Ergeb¬
niſſe ausfuͤhren! — Hoͤchſt merkwuͤrdig iſt die Rich¬
tung, in welcher der Verfaſſer die Poeſie, nachdem ihre
Unabhaͤngigkeit von moraliſchen Zwecken im Einzelnen
nun wohl hinreichend bei den kritiſchen Richterſtuͤhlen
feſtſteht, dennoch im Ganzen wieder auf ein hoͤchſtes
ſittliches Gebiet zuruͤckleitet, und dieſe ſittliche Beziehung
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/373>, abgerufen am 24.11.2024.
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