er seinen Gegenstand nach allen Rubriken, als würden diese durch seine Nachrichten und Behauptungen wirklich erledigt, da er doch im Grunde nichts liefert, als was jedem Fremden von nur nicht verschlossenem Sinn ein gelegentliches Sehen und Hören auch bei kürzerem Auf¬ enthalte von selber zuspielt. Nur solche zufällige Er¬ gebnisse, und zum Theil schon ganz allgemein bekannte, zum Theil einseitige und mangelhafte, sind hier zu fin¬ den, nicht die eines gründlichen, auf eine vollständige Durchdringung gerichteten Studiums, noch die eines genialen Wahrnehmungssinnes.
Die geschichtliche Einleitung ist dürftig. Der Ver¬ fasser sieht in dem Geschehenen nur das Aeußere; die große Folge von Gräueln, welche in der russischen Ge¬ schichte freilich nicht fehlen, läßt ihn diese als eine bar¬ barische tief herabsetzen, wobei er nicht bedenken mag, daß auch die höchstgebildeten Völker, Franzosen, Eng¬ länder und Italiäner, und selbst Griechen und Römer, hierin den Russen ziemlich gleichstehen, und daß also der Werth und der Gehalt der Geschichte wohl in andern Bezügen müsse zu suchen sein, als in diesen. Was der Verfasser behauptet, daß "das russische Volk mit seiner eignen Geschichte bekannt zu machen bisher den Absich¬ ten seiner Herrscher geradezu entgegen gewesen," wird ihm niemand glauben, der aus der großen Reihe for¬ schender, von der Regierung veranlaßter und unterstütz¬ ter Arbeiten über die russische Geschichte auch nur die
er ſeinen Gegenſtand nach allen Rubriken, als wuͤrden dieſe durch ſeine Nachrichten und Behauptungen wirklich erledigt, da er doch im Grunde nichts liefert, als was jedem Fremden von nur nicht verſchloſſenem Sinn ein gelegentliches Sehen und Hoͤren auch bei kuͤrzerem Auf¬ enthalte von ſelber zuſpielt. Nur ſolche zufaͤllige Er¬ gebniſſe, und zum Theil ſchon ganz allgemein bekannte, zum Theil einſeitige und mangelhafte, ſind hier zu fin¬ den, nicht die eines gruͤndlichen, auf eine vollſtaͤndige Durchdringung gerichteten Studiums, noch die eines genialen Wahrnehmungsſinnes.
Die geſchichtliche Einleitung iſt duͤrftig. Der Ver¬ faſſer ſieht in dem Geſchehenen nur das Aeußere; die große Folge von Graͤueln, welche in der ruſſiſchen Ge¬ ſchichte freilich nicht fehlen, laͤßt ihn dieſe als eine bar¬ bariſche tief herabſetzen, wobei er nicht bedenken mag, daß auch die hoͤchſtgebildeten Voͤlker, Franzoſen, Eng¬ laͤnder und Italiaͤner, und ſelbſt Griechen und Roͤmer, hierin den Ruſſen ziemlich gleichſtehen, und daß alſo der Werth und der Gehalt der Geſchichte wohl in andern Bezuͤgen muͤſſe zu ſuchen ſein, als in dieſen. Was der Verfaſſer behauptet, daß „das ruſſiſche Volk mit ſeiner eignen Geſchichte bekannt zu machen bisher den Abſich¬ ten ſeiner Herrſcher geradezu entgegen geweſen,“ wird ihm niemand glauben, der aus der großen Reihe for¬ ſchender, von der Regierung veranlaßter und unterſtuͤtz¬ ter Arbeiten uͤber die ruſſiſche Geſchichte auch nur die
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er ſeinen Gegenſtand nach allen Rubriken, als wuͤrden
dieſe durch ſeine Nachrichten und Behauptungen wirklich
erledigt, da er doch im Grunde nichts liefert, als was
jedem Fremden von nur nicht verſchloſſenem Sinn ein
gelegentliches Sehen und Hoͤren auch bei kuͤrzerem Auf¬
enthalte von ſelber zuſpielt. Nur ſolche zufaͤllige Er¬
gebniſſe, und zum Theil ſchon ganz allgemein bekannte,
zum Theil einſeitige und mangelhafte, ſind hier zu fin¬
den, nicht die eines gruͤndlichen, auf eine vollſtaͤndige
Durchdringung gerichteten Studiums, noch die eines
genialen Wahrnehmungsſinnes.
Die geſchichtliche Einleitung iſt duͤrftig. Der Ver¬
faſſer ſieht in dem Geſchehenen nur das Aeußere; die
große Folge von Graͤueln, welche in der ruſſiſchen Ge¬
ſchichte freilich nicht fehlen, laͤßt ihn dieſe als eine bar¬
bariſche tief herabſetzen, wobei er nicht bedenken mag,
daß auch die hoͤchſtgebildeten Voͤlker, Franzoſen, Eng¬
laͤnder und Italiaͤner, und ſelbſt Griechen und Roͤmer,
hierin den Ruſſen ziemlich gleichſtehen, und daß alſo der
Werth und der Gehalt der Geſchichte wohl in andern
Bezuͤgen muͤſſe zu ſuchen ſein, als in dieſen. Was der
Verfaſſer behauptet, daß „das ruſſiſche Volk mit ſeiner
eignen Geſchichte bekannt zu machen bisher den Abſich¬
ten ſeiner Herrſcher geradezu entgegen geweſen,“ wird
ihm niemand glauben, der aus der großen Reihe for¬
ſchender, von der Regierung veranlaßter und unterſtuͤtz¬
ter Arbeiten uͤber die ruſſiſche Geſchichte auch nur die
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/389>, abgerufen am 24.11.2024.
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