Selten mögen einem Menschen so beglückte Lebensauen sich ausbreiten, als mir der Zeitraum darbot, in wel¬ chen ich, vom Ende des Maimonats bis tief in den Sommer hinab, mit allen Kräften und Entzückungen der Jugend jetzt einging! Durch mein Verhältniß fand ich mich grade nur in so weit gebunden, um Anhalt und Maß für das höchste Freiheitsgefühl zu haben, meine Pflichten bezeugten mir nur meine Selbstständigkeit, ich genoß zum erstenmal die Vollempfindung des persön¬ lichen Dastehens und Geltens. Was ich war, dachte, urtheilte, wünschte und that, rechnete mir niemand mit fremder Vorschrift in der Hand nach, suchte niemand durch äußere Rücksichten und Zwecke beengend nieder¬ zuhalten; meine Eigenschaften, die bisher gleichsam hin¬ ter ihrem Ertrag und ihrer Leistung hatten zurückstehen müssen, konnten nun als sie selbst hervortreten, mein eignes ungestörtes Wesen durfte mir Quell und Spie¬
Jugendfreunde.
Berlin, 1803. 1804.
Selten moͤgen einem Menſchen ſo begluͤckte Lebensauen ſich ausbreiten, als mir der Zeitraum darbot, in wel¬ chen ich, vom Ende des Maimonats bis tief in den Sommer hinab, mit allen Kraͤften und Entzuͤckungen der Jugend jetzt einging! Durch mein Verhaͤltniß fand ich mich grade nur in ſo weit gebunden, um Anhalt und Maß fuͤr das hoͤchſte Freiheitsgefuͤhl zu haben, meine Pflichten bezeugten mir nur meine Selbſtſtaͤndigkeit, ich genoß zum erſtenmal die Vollempfindung des perſoͤn¬ lichen Daſtehens und Geltens. Was ich war, dachte, urtheilte, wuͤnſchte und that, rechnete mir niemand mit fremder Vorſchrift in der Hand nach, ſuchte niemand durch aͤußere Ruͤckſichten und Zwecke beengend nieder¬ zuhalten; meine Eigenſchaften, die bisher gleichſam hin¬ ter ihrem Ertrag und ihrer Leiſtung hatten zuruͤckſtehen muͤſſen, konnten nun als ſie ſelbſt hervortreten, mein eignes ungeſtoͤrtes Weſen durfte mir Quell und Spie¬
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Jugendfreunde.
Berlin, 1803. 1804.
Selten moͤgen einem Menſchen ſo begluͤckte Lebensauen
ſich ausbreiten, als mir der Zeitraum darbot, in wel¬
chen ich, vom Ende des Maimonats bis tief in den
Sommer hinab, mit allen Kraͤften und Entzuͤckungen
der Jugend jetzt einging! Durch mein Verhaͤltniß fand
ich mich grade nur in ſo weit gebunden, um Anhalt
und Maß fuͤr das hoͤchſte Freiheitsgefuͤhl zu haben, meine
Pflichten bezeugten mir nur meine Selbſtſtaͤndigkeit, ich
genoß zum erſtenmal die Vollempfindung des perſoͤn¬
lichen Daſtehens und Geltens. Was ich war, dachte,
urtheilte, wuͤnſchte und that, rechnete mir niemand mit
fremder Vorſchrift in der Hand nach, ſuchte niemand
durch aͤußere Ruͤckſichten und Zwecke beengend nieder¬
zuhalten; meine Eigenſchaften, die bisher gleichſam hin¬
ter ihrem Ertrag und ihrer Leiſtung hatten zuruͤckſtehen
muͤſſen, konnten nun als ſie ſelbſt hervortreten, mein
eignes ungeſtoͤrtes Weſen durfte mir Quell und Spie¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. [25]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/39>, abgerufen am 21.11.2024.
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