Goethe's, oft weit zerstreut, über die Absicht und Rich¬ tung, so wie über den Inhalt und Fortgang seines Faust gesagt worden. Wir sehen daraus, daß der Dichter in dem Plane des Ganzen niemals irr geworden, daß dabei die tiefsten Erschaue seines Geistes und die mächtigsten Lebenseindrücke ihn geleitet, daß jede Willkür und zwecklose Laune ihm fern geblieben, und daß er zwar im höchsten Alter noch das Werk dichtend aus¬ geführt, und die neuesten Vorfälle und Anregungen mit darin aufgenommen, allein daß zum Theil grade diejenigen Scenen, die am spätesten bekannt geworden, und die man für das Erzeugniß seiner letzten Jahre, wohl gar als eine nothbehelfliche Auskunft für den doch endlich zu erzielenden Abschluß, gehalten hatte, daß grade diese in der Zeit seines mittleren Lebens und seiner höchsten dichterischen Kraft entstanden sind!
Herr Deycks folgt dem Goethe'schen Gedichte Schritt für Schritt; indem er immerfort den Zusammenhang im Auge behält, beleuchtet er die einzelnen Gestalten. Sein deutlicher und angenehmer Vortrag, der niemals müßig abschweift oder unnütz verweilt, macht dem Leser diese Wanderung leicht, und gewährt ihm als Ertrag das reinere Verständniß, den unendlich gesteigerten Genuß des unabweislichen Gedichtes. Denn so steht Goethe's Faust in der Litteratur und dem Leben einmal fest, daß kein gebildeter Deutscher ihn lassen und auf¬ geben kann; ungern, mühsam, mit Widerwillen sogar
Goethe’s, oft weit zerſtreut, uͤber die Abſicht und Rich¬ tung, ſo wie uͤber den Inhalt und Fortgang ſeines Fauſt geſagt worden. Wir ſehen daraus, daß der Dichter in dem Plane des Ganzen niemals irr geworden, daß dabei die tiefſten Erſchaue ſeines Geiſtes und die maͤchtigſten Lebenseindruͤcke ihn geleitet, daß jede Willkuͤr und zweckloſe Laune ihm fern geblieben, und daß er zwar im hoͤchſten Alter noch das Werk dichtend aus¬ gefuͤhrt, und die neueſten Vorfaͤlle und Anregungen mit darin aufgenommen, allein daß zum Theil grade diejenigen Scenen, die am ſpaͤteſten bekannt geworden, und die man fuͤr das Erzeugniß ſeiner letzten Jahre, wohl gar als eine nothbehelfliche Auskunft fuͤr den doch endlich zu erzielenden Abſchluß, gehalten hatte, daß grade dieſe in der Zeit ſeines mittleren Lebens und ſeiner hoͤchſten dichteriſchen Kraft entſtanden ſind!
Herr Deycks folgt dem Goethe’ſchen Gedichte Schritt fuͤr Schritt; indem er immerfort den Zuſammenhang im Auge behaͤlt, beleuchtet er die einzelnen Geſtalten. Sein deutlicher und angenehmer Vortrag, der niemals muͤßig abſchweift oder unnuͤtz verweilt, macht dem Leſer dieſe Wanderung leicht, und gewaͤhrt ihm als Ertrag das reinere Verſtaͤndniß, den unendlich geſteigerten Genuß des unabweislichen Gedichtes. Denn ſo ſteht Goethe’s Fauſt in der Litteratur und dem Leben einmal feſt, daß kein gebildeter Deutſcher ihn laſſen und auf¬ geben kann; ungern, muͤhſam, mit Widerwillen ſogar
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Goethe’s, oft weit zerſtreut, uͤber die Abſicht und Rich¬
tung, ſo wie uͤber den Inhalt und Fortgang ſeines
Fauſt geſagt worden. Wir ſehen daraus, daß der
Dichter in dem Plane des Ganzen niemals irr geworden,
daß dabei die tiefſten Erſchaue ſeines Geiſtes und die
maͤchtigſten Lebenseindruͤcke ihn geleitet, daß jede Willkuͤr
und zweckloſe Laune ihm fern geblieben, und daß er
zwar im hoͤchſten Alter noch das Werk dichtend aus¬
gefuͤhrt, und die neueſten Vorfaͤlle und Anregungen
mit darin aufgenommen, allein daß zum Theil grade
diejenigen Scenen, die am ſpaͤteſten bekannt geworden,
und die man fuͤr das Erzeugniß ſeiner letzten Jahre,
wohl gar als eine nothbehelfliche Auskunft fuͤr den doch
endlich zu erzielenden Abſchluß, gehalten hatte, daß
grade dieſe in der Zeit ſeines mittleren Lebens und
ſeiner hoͤchſten dichteriſchen Kraft entſtanden ſind!
Herr Deycks folgt dem Goethe’ſchen Gedichte Schritt
fuͤr Schritt; indem er immerfort den Zuſammenhang
im Auge behaͤlt, beleuchtet er die einzelnen Geſtalten.
Sein deutlicher und angenehmer Vortrag, der niemals
muͤßig abſchweift oder unnuͤtz verweilt, macht dem Leſer
dieſe Wanderung leicht, und gewaͤhrt ihm als Ertrag
das reinere Verſtaͤndniß, den unendlich geſteigerten
Genuß des unabweislichen Gedichtes. Denn ſo ſteht
Goethe’s Fauſt in der Litteratur und dem Leben einmal
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/440>, abgerufen am 22.11.2024.
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